Das Chaos umarmen

jungle world, 28.07.2022

Die rüden Lobby- und Geschäftspraktiken des App-basierten Beförde­rungs­diensts Uber stehen in Übereinstimmung mit seinem brutalen Geschäftsmodell. Und sie sind Ausdruck der krisenbedingten Verwil­derungsprozesse in den Zentren.

Rund 124 000 interne Dokumente umfassen die sogenannten Uber Files, die Mark MacGann, der ehemalige Cheflobbyist des Beförderungsdiensts für Europa, den Mittleren Osten und Afrika, an die Presse weitergegeben hat. Die vom britischen Guardian ausgewertete Unternehmenskorrespondenz legt die rüden, frühkapitalistisch anmutenden Methoden offen, mit denen der wohl bekannteste Konzern der internetbasierten Gig Economy seine aggressive Expansionsstrategie zwischen 2013 und 2017 verfolgte.

Link: https://jungle.world/artikel/2022/30/das-chaos-umarmen

Das Kerngeschäft von Uber besteht aus der Organisierung und Ausbeutung von Tagelöhnern, die auf einem digitalen Marktplatz für Fahrgastbeförderung vermittelt werden. Der Konzern kassiert eine Provision von 25 Prozent des Fahr­preises bei allen Beförderungen, die über seine App abgewickelt werden, wobei es sich bei den Anbietern dieser Dienstleistung in vielen Ländern um Scheinselbständige handelt, die das ganze Risiko tragen und ihre eigenen Fahrzeuge stellen müssen.

In manchen Fällen war es dem Management Ubers vollkommen klar, dass der Beförderungsdienst schlicht jenseits der geltenden Gesetze und Vorschriften operiert. In der Korrespondenz des oberen Managements hieß es etwa, dass der Konzern »antagonistische Erklärungen« unterlassen solle, da sein Geschäftsmodell »in vielen Ländern nicht legal« sei. Manager witzelten in internen E-Mails, man sei nun »offiziell zu Piraten« geworden. Die Kommunikationschefin des Unternehmens erklärte in einer E-Mail 2014, dass das Unternehmen oftmals schlicht deswegen Probleme bekomme, weil seine Praktiken »verfickt noch mal illegal« seien.

Um die eigene rechtliche Position abzusichern, bemühte sich Uber der ausgewerteten Korrespondenz zufolge, im Rahmen einer aufwendigen Lobbykampagne auf entsprechende Gesetzesänderungen zu dringen. Allein im Jahr 2016 soll das mit üppigem Risikokapital ausgestattete Unternehmen rund 90 Millionen US-Dollar für das Schmieren der Politmaschine eingeplant haben. Führende Politiker aus den USA und der EU sollen sich empfänglich für die Forderungen des rasch expandierenden Gig-Konzerns gezeigt haben, der laut Guardian gerne »inoffizielle Wege zur Macht« suchte, indem auf »Freunde und Vermittler« von Entscheidungsträgern einwirkte und Politiker lieber »ohne Präsenz von Beratern« zu intimen Gesprächen aufsuchte. Einflussreiche Funktionsträger wurden zu »strategischen Investoren« gemacht, um ihre Unterstützung in Ländern wie Russland und Italien zu gewährleisten. Zudem kaufte sich Uber Wissenschaftler, die dem Konzern in Auftragsgutachten ein gutes Zeugnis über ­seine Geschäftspraktiken ausstellten.

Hunderte Politikerinnen und Politiker sollen von den Uber-Lobbyisten bearbeitet worden sein. Unter den Prominenten Zielen der Lobbykampagne findet sich sogar der heutige US-Prä­sident Joe Biden, der den Leaks zufolge 2016 als Vizepräsident einen Gesprächstermin mit dem Uber-Mitgründer Travis Kalanick am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos hatte. In einer E-Mail beschwerte sich Kalanick, dass Biden sich verspäte und er den Vizepräsidenten wissen lasse, dass »jede Minute, die er zu spät kommt, eine Minute weniger mit mir sein wird«. Biden, der damals Uber unterstützte, schwärmte nach dem Treffen in Davos, Uber gebe Millionen Arbeitern die Freiheit, »so viele Stunden zu arbeiten, wie sie wollen, ihr eigenes Leben zu führen, wie sie wollen«.

Ein weiterer prominenter Unterstützer Ubers residiert derzeit im Élysée-Palast. Die Uber Files legen offen, dass der französische Präsident Emmanuel ­Macron sich in seiner Amtszeit als Wirtschaftsminister mehrere Male mit Vertretern des Beförderungsdienstes traf und 2015 zu dessen Gunsten in der südfranzösischen Hafenstadt Marseille intervenierte, wo nach Auseinander­setzungen und Protesten von Taxifahrern ein faktisches Beförderungsverbot gegen Uber verhängt werden sollte. Macron soll nach einer Intervention MacGanns zugesagt haben, sich »die Sache persönlich anzusehen«. Kurz dar­auf wurde die Verfügung des Polizei­präfekten von Marseille entschärft. In einer Einschätzung des Konzerns ­wurde das als ein Erfolg verbucht, der durch »massiven Druck Ubers« erzielt worden sei. Die Treffen zwischen Macron und Uber-Vertretern sollen sich der internen Korrespondenz zufolge in einer »warmherzigen, freundlichen und konstruktiven Atmosphäre« abgespielt haben.

Wie die berüchtigte Drehtür zwischen Politik und Wirtschaft konkret funktioniert, macht die Unternehmenskorrespondenz über die ehemalige EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes deutlich, die noch in ihrer Karenzzeit nach dem Ausscheiden aus ihrem Amt informell für Uber als Lobbyistin auftrat – obwohl ihr die EU-Kommis­sion dies untersagt hatte. Dem E-Mail-Verkehr des Konzerns zufolge soll die Niederländerin Kroes während einer Polizeirazzia bei Uber in Amsterdam bei der niederländischen Regierung interveniert haben, um die Behörden »zum Rückzug zu zwingen«. Die Zusammenarbeit mit der ehemaligen EU-Kommissarin sei aber »streng vertraulich«, sie dürfe in Unternehmensdo­kumenten keine Erwähnung finden, hieß es weiter in der E-Mail.

Aufgrund der rechtlichen Konflikte mit Behörden und häufiger Polizei­razzien sollen Uber-Niederlassungen in ihrer EDV sogar »kill switches« installiert haben, durch deren Betätigung sich alle sensiblen Daten unzugänglich machen ließen. Diese Software soll bei Durchsuchungen in mehreren Ländern – darunter Frankreich, Belgien und die Niederlande – auch zum Einsatz gekommen sein. Überdies soll die ­Unternehmensführung bereit gewesen sein, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Uber- und Taxifahrern zu riskieren oder gar zu provozieren. Nach Ausschreitungen von Taxifahrern in Paris forderte Kalanick, Gegenproteste zu organisieren. Warnungen vor Angriffen, die von »rechtsextremen Schlägern« ausgehen könnten, bagatellisierte Kalanick, da »Gewalt den Erfolg« der Proteste garantieren würde.

Ubers Strategie habe, so der Guardian, darin bestanden, die Fahrer als »Waffen« zu instrumentalisieren und die gegen sie gerichtete Gewalt auszunutzen, um politisch bei entsprechenden Vorschriften und Regelungen Zugeständnisse zu erwirken. Diese Methode kam demnach in Italien, Spanien, Belgien, der Schweiz und den Niederlanden zur Anwendung. Man solle das »Gewaltnarrativ über einige Tage laufen lassen«, hieß es in E-Mails zu Ausschreitungen in den Niederlanden, »bevor wir eine Lösung anbieten«. In der internen Korrespondenz wurde das Management mitunter dazu ermuntert, das Chaos einer krisengebeutelten spätkapitalistischen Welt zu »umarmen«, in der auch die legalen Geschäftspraktiken immer mehr verrohen und mafiöse Züge annehmen. Uber müsse Wachstum generieren, selbst wenn »Feuer ausbrechen«, so Kalanick in einer Moti­vations-E-Mail an Manager; das sei »ein normaler Teil« des Uber-Geschäfts: »Umarme das Chaos. Es bedeutet, dass du etwas Sinnvolles tust.«

Obwohl die derart forcierte Expan­sion nicht in allen Ländern und Städten gelang, waren die Lobbyinvestitionen insgesamt erfolgreich: Uber weist inzwischen einen Wert von 43 Milliarden US-Dollar bei einem jährlichen Umsatz von 17 Milliarden US-Dollar aus und wickelt täglich 19 Millionen Beförderungen in 72 Ländern ab. Zehntausende Scheinselbständige, die mitunter aufgrund ihrer Elendsentlohnung in ihren Autos übernachten müssen, schlagen sich als Tagelöhner der Internetplattform durch.

Den kometenhaften Aufstieg Ubers haben rechtliche Regelungen und ein für Lobbygelder stets offener Politikbetrieb somit kaum bremsen können – das tat erst die Pandemie, die zu Umsatzrückgang und satten Verlusten führte. Zudem hat die Kritik am digitalen Tagelöhnertum, auf dem die Plattformökonomie von Uber & Co. basiert, durch die Veröffentlichung der Uber Files neue Nahrung erhalten. In Italien protestierten Taxifahrer in Reaktion auf die Enthüllungen gegen den Konzern und die Liberalisierungspläne der Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi. Im Schweizer Kanton Genf forderten zur selben Zeit Gewerkschaften den Staat zum Einschreiten auf, da Uber die arbeitsrechtlichen Regelungen, denen zufolge Uber-Fahrer Angestellte seien, faktisch weiterhin umgehe.

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