Von grünen und braunen Faschisten

Erschien ursprünglich ende 2014

Rechtsextremisten und Salafisten stehen sich näher, als es den Anhängern beider Gruppen klar sein dürfte.

Der Islamismus als praktisches Feindbild der extremistischen, gewaltbereiten Rechten hatte schon vor Pegida und AfD eine große Zugkraft. Bertis im Oktober 2014 konnten rechtsextreme Hooligans marodierend durch Köln ziehen und Jagt auf „Ausländer“ machen. Die sogenannten „Hooligans gegen Salafisten“ wollten angeblich gegen islamistischen Terror demonstrieren. Tatsächlich nahmen aber gerade die Ausschreitungen und Übergriffe des rechten Mobs in Köln offensichtlich einen terroristischen Charakter an. Stundenlang machte sich Pogromstimmung in der Kölner Innenstadt breit. Unter dem Vorwand einer Demonstration gegen den „islamistischen Terror“ terrorisierten gerade die rechtsextremen Schläger all jene Menschen in Köln, die nicht in ihr verblendetes Weltbild passen.

Die gewalttätige Praxis der militanten Rechtsextremisten näherte sich somit bereits in ihrer ersten öffentlichen Manifestation 2014 den Praktiken ihrer vorgeblichen neuen Erzfeinde – eben der Salafisten – an. Die Pogromstimmung, die deutsche Rechtsextremisten stundenlang in Köln gegenüber Ausländern und insbesondere Muslimen entfachten, wurde in den vom Islamischen Staat (IS) eroberten Gebieten Syriens und Iraks zu blutiger Praxis gegenüber „Ungläubigen“. Im Hinblick auf die Ausschreitungen in Köln ließe sich somit sagen, bei den rechtsextremen Hools handele es sich letztendlich um Salafisten im Wartestand – nur die Ideologie, die den Vorwand für die potenziell massenmörderische Praxis liefert, scheint sich zu unterscheiden. Ein ins Extrem getriebener Nationalismus gerät bei diesem vermeidlichen „Clash of Civilisations“ in Konflikt mit einer extremistisch-religiösen Ideologie. Während der deutsche Nazischläger den Volkskörper von allen artfremden Einflüssen säubern möchte, wird der Salafist von dem manischen Bestreben um die Reinhaltung des religiösen Kultes verzehrt.

Extremismus der Mitte

Und dennoch weisen beide Ideologien – Salafismus wie Rechtsextremismus – gerade dieselbe krisenbedingte Genese und Funktion auf. Sowohl der Islamismus wie der europäische Rechtsextremismus stellen einen Extremismus der Mitte dar, der die in der Gesellschaft dominierenden ideologischen Vorstellungen und Anschauungen, die vorherrschende Identitätsbildung ins geschlossene weltanschauliche Extrem treibt. Im Fall des Islamismus ist es die Religion, die in der „Mitte“ der arabischen Gesellschaften eine hegemoniale Stellung einnimmt, beim Rechtsextremismus ist es die längst zu einem ökonomistischen Standortdenken mutierte nationale Identität, die ins Extrem getrieben wird. Es handelt sich um „konformistische Rebellionen“, deren Akteure all das zu verwirklichen trachten, was ohnehin insgeheim alle denken. Der brandschatzende Rechtsextremist sieht sich als Erfüllungsgehilfe des an Stammtischen herrschenden Ressentiments gegen Ausländer, während der Salafist sich als den Exekutor des einzig wahren Glaubens begreift, nach dem alle Muslime zu streben haben. Diesen konformistischen Rebellen geht es nicht um die Befreiung, sondern um eine verstärkte Unterwerfung unter die herrschenden, sich zu einer potenziell eliminatorischen Ideologie verdichtenden Ressentiments.

Ob nun in Europas Metropolen oder in den Zusammenbruchsregionen des Zweistromlandes – der Konstitutionsprozess des rassistischen wie des religiösen Rechtsextremismus verläuft in sehr ähnlichen Bahnen. In Reaktion auf Krisenerschütterungen, auf das Auseinanderbrechen der bestehenden Gesellschaftsordnung, setzt oftmals eine verstärkte Identitätsproduktion in den betroffenen Gesellschaften ein. Wenn alles in Fluss, in Unordnung gerät, suchen die autoritär disponierten Individuen Halt – und den finden sie nur noch in der Identität, in dem, was sie scheinbar sind: Deutscher, Franzose, Sunnit, Schiit. Die Angst vor der Zukunft und den unverstandenen Umbrüchen führt zu einer Sehnsucht nach früheren, als idyllisch imaginierten Gesellschaftszuständen; sei es der rassereine Nationalstaat, die anscheinend heile Wirtschaftswunderwelt der 50er Jahre oder das frühmittelalterliche Kalifat.

Der islamistische „Extremismus der Mitte“ kann somit – analog zum europäischen Faschismus – als eine Abart des Klerikalfaschismus begriffen werden. Faschismus – ob nun der deutsche Nationalsozialismus, Francos katholischer Faschismus in Spanien oder die faschistische Diktatur Pinochets in Chile – stellt eine offen terroristische Krisenform kapitalistischer Herrschaft dar. Rechtsextreme und faschistische Tendenzen gewinnen immer dann an Dynamik, wenn die bürgerlich-liberale kapitalistische Gesellschaft in eine ökonomische oder politische Krise gerät, die das Fortbestehen des Gesamtsystems gefährdet oder auch nur zu gefährden scheint (Weltwirtschaftskrise 1929, Sieg der Volksfront 1936 in Spanien oder Allendes Wahlerfolg 1970 in Chile).

Und selbstverständlich muss der derzeitige europaweite Aufschwung rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien gerade auf den großen Krisenschub zurückgeführt werden, der mit der Weltwirtschaftskrise 2008 einsetzte, sich mit der jahrelangen Eurokrise verfestigte und mit der Pandemie seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Wenn die Zeiten krisenbedingt härter werden, steigt die Nachfrage nach Ideologien, die die Marginalisierung, Diskriminierung und letztendlich die Vernichtung von Bevölkerungsgruppen oder Minderheiten legitimieren. Der europaweit krisenbedingt zunehmende Rassismus und Rechtsextremismus, der sich in den Wahlerfolgen der AfD, der Schweizerischen Volkspartei, der britischen UKIP oder des französischen Front National manifestiert, zielt ja letztendlich auf den ökonomischen Ausschluss derjenigen Gruppen, die nicht als Teil der „Volksgemeinschaft“ oder des „Wirtschaftsstandortes“ verstanden werden. Der Rechtsextremismus, der den Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen propagiert, stellt somit eine ideologische Waffe im krisenbedingt zunehmenden Konkurrenzkampf dar. Es ist eine Krisendieologie.

Im Identitätswahn

Die Hinwendung zum extremistischen Islam unter Muslimen stellt somit eine Parallelentwicklung zu dem krisenbedingt zunehmenden Rechtsextremismus in Europa dar. Gerade in den europäischen Gesellschaften reagieren viele Muslime auf die zunehmende Rückbesinnung auf die – nationale – Identität der Mehrheitsgesellschaft mit einer verstärkten – religiösen – Identitätsproduktion. Je stärker die Marginalisierung und Diskriminierung von Minderheiten sich ausbildet, desto eher greifen Tendenzen zu ihrer Abschottung, die im Fall muslimischer Gemeinschaften dem Salafismus erst den Boden bereiten. Es verwundert somit nicht, dass der IS das europaweit größte Kontingent an Kämpfern in Frankreich, im krisengeplagten Land der Banlieues und des Front National, rekrutieren konnte.

Und selbstverständlich ist die Krise im arabischen Raum, der eine Peripherie des kapitalistischen Weltsystems darstellt, viel weiter vorangeschritten als in den westeuropäischen Zentren, wo die Krisendynamik sich noch in einem Anfangsstadium befindet. Die irre Hinwendung an den extremistischen Islam als einer totalitären Heilslehre, die absurde Sehnsucht nach dem frühmittelalterlichen Kalifat – dies sind nur Folgen des totalen Scheiterns der kapitalistischen Modernisierung in dieser Region. Deswegen kann beim Salafismus von einer postmodernen Krisenideologie gesprochen werden. Er ist das, was nach dem Scheitern der Moderne im arabischen Kulturkreis an wahnhafter Ideologie aufkommt.

Die dem Dschihadismus innewohnende grenzenlose Brutalität, der offensichtliche Vernichtungswille seiner Akteure spiegelt auch den gegenüber Europa viel weiter vorangeschrittenen Krisenprozess in der Region wieder, der für viele Menschen in diesem Zusammenbruchsgebiet existenzgefährdende Ausmaße erreicht hat – und folglich zu einer ungleich heftigeren Krisenkonkurrenz als in Europa führt. Je heftiger die Krise wütet, desto stärker tritt der massenmörderische Charakter dieses religiös motivierten Extremismus der Mitte zutage.

Deswegen müssen die europäischen Rechtspopulisten wie die AfD oder die Schweizerische Volkspartei als reaktionäre Übergangsphänomene begriffen werden, die der forcierten Faschisierung der europäischen Gesellschaften im weiteren Krisenverlauf, etwa bei einem Absturz der Eurozone in die Deflation, erst den Boden bereiten. Spätestens bei vollem Krisenausbruch mitsamt ökonomischem Absturz wird das Ressentiment der angstschwitzenden Mittelklasse, das sich derzeit in den Wahlerfolgen der AfD äußert, in offenen Vernichtungswillen umschlagen. Ein Blick ins Geschichtsbuch offenbart, wozu Europas – und insbesondere Deutschlands – Rechtsextremisten fähig sind, wenn einmal eine schwere Systemkrise voll einsetzt.

Der militante und terroristische Dschihadismus stellt also nur eine dem arabischen Kulturkreis eigene, religiös verbrämte Modifikation des Rechtsextremismus, den besagten „grünen“ Klerikalfaschismus dar. Während im Westen die nationale Identität als ein Nährboden dient, aus dem rechtsextreme und faschistische Ideologien erwachsen, fungiert im arabischen Kulturkreis die Religion als eben dieser Nährboden, der Vernichtungsfantasien hervorbringt. Die Kategorie der Rasse, die in Europa die faschistische Vernichtungswut befeuerte, wurde im klerikalfaschistischen Dschihadismus durch die Kategorie des „Ungläubigen“ ersetzt.

Der große Selbstbetrug bei dieser europäisch-arabischen Hinwendung zur Identitätspolitik besteht selbstverständlich darin, dass diese Identitäten sich nur in Wechselwirkung mit der kriselnden kapitalistischen Gesellschaft konstituieren und somit nur identischer Ausdruck des spätkapitalistischen Krisenprozesses sind. Das, was unter „deutscher Identität“ in der gegenwärtigen Deutschland AG landläufig verstanden wird (Ackern bis zum Burnout für Deutschland), hat recht wenig zu tun mit den Deutschlandvorstellungen des frühen Kaiserreichs oder gar mit denen der Paulskirchenversammlung. Dasselbe gilt für den Islam, der gerade im frühen Mittelalter oftmals viel toleranter war, als es die gegenwärtigen Gotteskrieger und postmodernen Kalifatsbauer je wahrhaben wollten. Es reicht hier etwa daran zu erinnern, dass die Juden Spaniens gerade in der Frühphase der maurischen Herrschaft (von 711 bis zum Zusammenbruch des Kalifats von Córdoba 1031) weitgehende Religionsfreiheit und Rechtssicherheit genossen; vertrieben wurden sie erst durch die „Katholischen Könige“ nach der endgültigen Reconquista 1492.

Die gegenwärtige krisenbedingte Hinwendung zur nationalen oder religiösen Identität, die als ein ahistorisches und unabänderliches Kontinuum halluziniert wird, geht fast immer mit einer autoritären Charakterstruktur bei den betroffenen Personen einher. Der postmoderne Islamist unterwirft sich genauso blind der rigiden Koranauslegung, wie es die postmodernen Rechtsparteien mit den geheiligten Gesetzen des Marktes und des Kapitalkultes (in Gestalt der zum Wirtschaftsstandort verkommenen Nation) praktizieren. In beiden Fällen führt die Unterwerfung zum Hass auf all diejenigen, die dies anscheinend nicht genauso praktizieren (Ungläubige, „Sozialschmarotzer“, Arbeitslose, Ausländer, etc.).

Der den europäischen wie islamischen Faschismus charakterisierende Gleichklang von Unterwerfung und Hass resultiert daraus, dass diese Unterwerfung mit Triebverzicht erkauft wird – was die Wut auf alle jene nährt, die sich dem anscheinend oder tatsächlich nicht unterwerfen. Die Träger dieser Ideologien leiden insgeheim unter den absurden Vorgaben und Geboten, die der Fetischdienst an Koran und Kapital diktiert, wobei die autoritäre Charakterstruktur ein Aufbegehren gegen diese Leidensquellen ausschließt. Deswegen richtet sich die so aufgestaute Wut gegen imaginierte äußere Feinde. Beiden Ideologien wohnt überdies auch ein analcharakterhafter Reinheitswahn inne, der sich beim Rechtsextremismus auf die Reinhaltung des Volkes, der Nation oder des Wirtschaftsstandortes von „Parasiten“ erstreckt, während der Islamismus von der Manie um die Reinhaltung des religiösen Kultes verzehrt wird.

Gegen den „Krieg der Kulturen“

Nichts wäre folglich verkehrter, als sich in diesem aufkommenden „Krieg der Kulturen“ auf eine Seite schlagen zu wollen. Es handelt sich bei den Kontrahenten um zwei gleichermaßen irre Ideologien, die auf den unverstandenen Krisenprozess mit verstärkter Identitätsproduktion, mit einer erzreaktionären Sehnsucht nach einer herbeihalluzinierten heilen Vergangenheit und dem eliminatorischen Hass auf alles Andersartige reagieren (Und die sie wechselseitig hochzuschaukeln versuchen). Diese Form der Konfrontation kann eine verhängnisvolle Dynamik in Gang setzen, die den krisenbedingten Barbarisierungsprozess entscheidend befördern würde. Die Überreste demokratischer, ja zivilisatorischer Errungenschaften würden in einem solchen Konflikt zwischen konkurrierenden Wahnsystemen zerrieben.

Wohin die Flucht in diesen identitären Extremismus der Mitte führt, kann historisch etwa anhand des Zerfalls Jugoslawiens studiert werden – oder am Bürgerkrieg im Irak.

Denn dies ist letztendlich die zentrale ideologische Leistung der europäischen wie arabischen Rechten in jeder schweren Krise: Sie liefert autoritären Persönlichkeiten ein irres Motiv, andere Menschen aufgrund irgendwelcher Belanglosigkeiten – religiöse Überzeugungen, Hautfarbe, nationale Identität – auszulöschen.

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