Analyse & Kritik, Nr. 642, 16.10.2018
Die Kapitalismus hat sich an den Rand der Weltzerstörung produziert – nun liefert die faschistische Rechte die mörderische Ideologie für den Extremismus des Kapitals
Es gibt eine Maxime politischer Praxis, der linke Bewegungen, Gruppen oder Parteien im 21. Jahrhundert folgen müssten, wenn sie in der gegenwärtigen Umbruchs- und Krisenepoche noch als fortschrittliche gesellschaftliche Kräfte wirken wollen. Der Kapitalismus muss schnellstmöglich in Geschichte überführt werden, das Kapitalverhältnis muss aufgehoben werden. An diesem kategorischen Imperativ hätten sich alle linken Aktionen, alle Taktik, alle Reformvorschläge, alle Strategien zu orientieren. Dies ist kein linker Radikalismus, sondern das vernünftige, gemäßigte Minimum. Fortschritt kann nur noch jenseits des Kapitals realisiert werden.
Dass das spätkapitalistische Weltsystem im Zerfall begriffen ist, offenbart ein Blick auf die Zusammenbruchsregionen der Peripherie, auf die Fluchtbewegungen, auf die global wachsenden Schuldenberge, auf die munter wachsenden Emissionen von Treibhausgasen. Das Kapital, an die inneren Schranke seiner Entwicklungsfähigkeit gelangt, zerbricht an sich selbst – und es droht, die Menschheit mit in den Abgrund zu reißen. Nicht die revolutionäre Beseitigung des spätkapitalistischen Weltsystems stellt deshalb die historische Herausforderung im 21. Jahrhundert dar, sondern der Kampf um das, was der Weltkrise des Kapitals folgen wird.
Es sind die eskalierenden inneren Widersprüche des Kapitalverhältnisses, die sowohl die ökonomische, wie die ökologische Krise antreiben. Ökonomisch bedeutet dies, dass der Spätkapitalismus schlicht zu produktiv für sich selbst geworden ist. Das System produziert aufgrund beständiger Rationalisierungsschübe eine ökonomisch überflüssige Menschheit. Die aktuellen Fluchtbewegungen machen diesen Zusammenhang evident. Jene, die die lebensgefährliche Fahrt nach Europa oder in die USA wagen, fliehen vor ihrer ökonomischen »Überflüssigkeit« aus Regionen, in denen selbst die Staatsapparate zusammenbrechen, weil dort nicht mehr genügend Kapitalverwertung generiert werden kann.
Diese längst wirkende Krisentendenz wurde (und wird) im untergehenden neoliberalen Zeitalter durch die Verschuldungsexzesse überbrückt, die in die letzte Weltwirtschaftskrise führten. Seitdem hat sich am Problem nichts geändert. Das System läuft nur noch auf pump bis zum nächsten Crash, es ist gemäß seiner eigenen bornierten betriebswirtschaftlichen Logik »unrentabel«.
Ressourcenveschwendung als Selbstzweck / Der Hunger des Kapitals
Die Effizienzsteigerungen, die mit dem kapitalistischen Wachstumszwang einhergehen, fachen auch die ökologische Krise an, bei der das Kapital an seine äußere, ökologische Schranke stößt. Die kapitalistische Warenproduktion dient einem irrationalen Selbstzweck – der uferlosen Vermehrung des eingesetzten Kapitals: Der Kapitalist investiert sein als Kapital fungierendes Geld in Arbeitskräfte, Ressourcen, Maschinen etc., um die hiermit produzierten Waren mit Gewinn zu verkaufen. Hiernach wird das vergrößerte Kapital reinvestiert. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene entfaltet diese ökonomisch »vernünftige« betriebswirtschaftliche Logik ihr verheerendes Potenzial, da mit erfolgreicher Kapitalakkumulation auch die Aufwendungen für den Produktionsprozess – Rohstoffe und Energie – permanent erhöht werden müssen. Die schwindenden Ressourcen dieser Welt bilden das immer enger werdende Nadelöhr, durch das sich der irrationale Prozess der Kapitalverwertung hindurchzwängen muss.
Es sind gerade die ungeheuren Produktivitätssteigerungen, die zur Eskalation der ökologischen Krise maßgeblich beitragen. Sie nötigen den Spätkapitalismus dazu, die »effiziente« Verschwendung von Ressourcen und Rohstoffen ins Extrem zu treiben. Im Rahmen der Kapitalverwertung sind alle ökologischen Ressourcen und Rohstoffe nur als Träger von Wert – also abstrakter menschlicher Arbeit – von Belang. Je höher aber die Steigerung der Produktivität, desto weniger abstrakte Arbeit ist in einem gegebenen Quantum Ware verdinglicht. Um den Verwertungsprozess des Kapitals aufrechtzuerhalten, müssen daher bei steigender Produktivität entsprechend mehr Waren produziert und abgesetzt werden. Deswegen gilt: Je größer die Produktivität der globalen Industriemaschinerie, desto größer auch ihr Ressourcenhunger. Ein Versuch, in der kapitalistischen Wirtschaft eine ressourcenschonende Produktionsweise einzuführen, ist tatsächlich unmöglich – er käme einer Kapitalvernichtung gleich. Eine nachhaltige Lebensweise ist nur jenseits des Kapitals denkbar.
Ein unbewohnbarer Planet
Deswegen verhallen alle Appelle und politischen Initiativen zur Ressourcenschonung – auch wenn die Klimakrise sich unerbittlich entfaltet. Der jüngste Bericht des Weltklimarats warnt, wenn der Ausstoß von Treibhausgasen auf dem jetzigen Niveau weitergeht, werde die Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius schon im Jahr 2040 erreicht. Die Folgen wären extreme Dürren und Überschwemmungen, Hungerkatastrophen und wachsende Armut – sowie das Massensterben der Korallenriffe. Wohlgemerkt, selbst dieses vergleichsweise optimistische Szenario ist kaum noch zu erreichen.
Klimawandel findet nicht graduell über Jahrhunderte statt, sondern plötzlich, sprunghaft. Langfristige, quantitative Veränderungen im globalen Klimasystem, wie der historische Anstieg der CO2-Konzentration im Rahmen der kapitalistischen Weltverbrennungsmaschine, führen ab dem Überschreiten bestimmter Schwellwerte zum raschen Umschlag des gesamten Systems in einen anderen Zustand.
Gerade die Arktis gilt als Region, in der zuerst solche »Tipping Points« überschritten werden könnten, indem das Sommereis verschwindet oder die grönländischen Gletscher abschmelzen. Die Eisdecke der Arktis spielt eine wichtige Rolle bei der Minderung des Treibhauseffekts. Sobald das Sommereis in der Region tatsächlich weitgehend abschmilzt, wird sich dieser »Kühlschrank« des Weltklimas in eine »Heizung« verwandeln, da Wasser ein guter Wärmeträger ist. Im arktischen Permafrost und auf dem Grund arktischer Meere lagern zudem gigantische Mengen an Treibhausgasen, die in einem solchen Fall unkontrollierbar freigesetzt würden.
Weite Teile der kapitalistischen Welt drohen, binnen Dekaden buchstäblich unbewohnbar zu werden. Die globale Hitzewelle diese Sommers hat hiervon eine Ahnung vermittelt, sie erreichte insbesondere im globalen Süden lebensbedrohliche Ausmaße. Schon ab 37 Grad Außentemperatur kann der Körper die Wärme nicht mehr effizient abgeben, Gesundheitsschäden sind die Folge. In vielen Ländern kletterte das Quecksilber diesen Sommer zeitweilig auf mehr als 50 Grad Celsius.
Das Kapital fungiert somit einerseits als Klimakiller, da sein Wachstumszwang die Welt als bloßes Material uferloser Akkumulation begreift. Andererseits hinterlässt der ökonomische Krisenprozess eine unterfinanzierte, marode gesellschaftliche Infrastruktur, die effektive Reaktionen auf die Folgen des Klimawandels erschwert – so im austeritätsgeplagten »Deutschen Europa«, das vom ehemaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble auf eine rabiate Spardiät gesetzt wurde. Zuletzt wurde dies bei den mörderischen Waldbränden in Griechenland während der Hitzewelle im Sommer 2018 offensichtlich. Diese Wechselwirkung eskalierender Klimakrise und sozioökonomischen Krisenfolgen, bei der die innere und äußere Schranke des Kapitals ineinander greifen, bringt einen regelrechten Katastrophenkapitalismus hervor.
Dabei droht mit der präfaschistischen Rechten gerade diejenige Kräfte von der ökologischen Krise zu profitieren, die sie am verbissensten leugnet. Mit ihrer neonationalistischen Ideologie liefert die Rechte die Legitimierung für den Absturz in die Barbarei. Sie brutalisiert den öffentlichen Diskurs, bringt rassistische, kulturalistische und antisemitische Ressentiments in Anschlag, um die Abschottung der »Festung Europa« zu befördern, die Errichtung eines Lagerregimes an dessen südlicher Grenze zu forcieren und das massenhafte Absaufenlassen von Menschen zu rechtfertigen.
Der rechte Identitätswahn hat seine böse binnenkapitalistische Rationalität: Die Klimaflüchtlinge der kommenden Dekaden, die vor einem buchstäblich tödlichen Klimawandel fliehen werden, sollen an der Flucht gehindert werden. Die Menschen des globalen Südens sollen dort dem Hitzetod erliegen, statt in den Norden zu fliehen. In seiner aktuellen Krise taumelt das Kapital somit in die faschistische Barbarei, letztendlich in die Weltvernichtung. Es ist die Konsequenz eines Extremismus der Mitte, des zum monströsen Scheitern verurteilten Versuchs, am Bestehenden festzuhalten. Die Neue Rechte ist das politische Subjekt, das diese objektive Tendenz zur Barbarei exekutieren soll.
Extremismus de Kapitals
Im Kampf gegen diese mörderischen Krisenideologien könnten progressive Kräfte gerade deren Anachronismus und deren barbarische Konsequenz betonen: Erfolgversprechende Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise können tatsächlich nur auf globaler Ebene ergriffen werden. Der nationale Mief führt buchstäblich in den Klimatod.
In den Versuchen, Widerstand entlang der globalisierten Ausbeutungs- und Verwertungsketten zu organisieren, um eine globale Oppositionsbewegung in Angriff zu nehmen, kann die Linke eine strategische Perspektive entwickeln, in der Praxis des Widerstands neue postkapitalistische Organisationsformen erproben. Das aktuelle Beispiel des Kampfes um den Hambacher Forst zeigt erste Ansätze hierzu.
Radikalität bedeutet, dass ein radikaler Ausbruch aus dem kapitalistischen Gedankengefängnis notwendig ist. Dies gilt auch bei der Auseinandersetzung mit der »imperialen Lebensweise« der globalen Mittelklasse. Hierbei geht es nicht um Verzichtsdebatten, da der kapitalistische Ressourcenhunger gerade nicht der Bedürfnisbefriedigung dient. Im Gegenteil: Das Kapital, das an seiner Produktivität zu ersticken droht, produziert zunehmend für die Müllhalde (Stichwort: geplante Obdoleszenz), um den Verwertungsprozess zu verlängern. Die Befreiung vom Zwang zur Kapitalverwertung würde auch den Gebrauchswert »befreien«, der derzeit vom Wert der Warenform kontaminiert wird. Die materiellen und sozialen Grundbedürfnisse aller Menschen können auf dem erreichten technologisch-organisatorischen Niveau befriedigt werden – nur eben nicht in Warenform.
Tomasz Konicz publizierte jüngst im Heise-Verlag das Ebook »Faschismus im 21. Jahrhundert. Skizzen der drohenden Barbarei«.