Neues Deutschland, 08.11.2017
Beschlossene Emissionsgrenzen sind jetzt schon Makulatur, meint Tomasz Konicz. Und das liege nicht nur an der Politik
Beim Klima kommt es immer wieder schlimmer als befürchtet – selbst die negativsten Szenarien der Klimawissenschaft werden alle paar Jahre aufgrund neuer Erkenntnisse überboten. Die aktuellen Desaster: Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist im vergangenen Jahr in einem Rekordtempo auf 403 parts per million geklettert, während neue Studien zu der Erkenntnis gelangten, dass die Dynamik der Meereserwärmung massiv unterschätzt wurde und diese bereits ein Niveau erreichte, wie es in den vergangen 100 Millionen Jahren nicht mehr der Fall gewesen sei. Trotz dieser sich häufenden dramatischen Warnsignale, trotz immer neuer Hiobsbotschaften von der Klimafront scheitert die globale Klimapolitik an der diesbezüglichen Unreformierbarkeit des Kapitalismus. Die auf Klimagipfeln beschlossenen Emissionsgrenzen sind jetzt schon Makulatur – und dies liegt gerade nicht nur an der Unfähigkeit oder Ignoranz der politischen Klasse.
Das innere Bewegungsgesetz des nach höchstmöglicher Mehrwerterzeugung strebenden Kapitalverhältnisses, das aus Geld mehr Geld machen muss, steht jeglicher Ressourcenschonung und dem Überleben der menschlichen Zivilisation im Weg. Mehrwert kann letztlich aber nur mittels Lohnarbeit in der Warenproduktion erzeugt werden. Somit ist das Kapital konkret an eine stoffliche Grundlage bei seiner uferlosen Verwertungsbewegung gebunden, die mit jedem Verwertungskreislauf erhöht werden muss: Die Aufwendungen für Arbeit, Rohstoffe und Energie müssen bei gleichbleibender Produktivität bei jedem erfolgreichen »Investitionskreislauf« ansteigen, um das vergrößerte Kapital erneut im vollen Umfang verwerten zu können. Je höher die Profitrate, desto höher der Ressourcenhunger der Mehrwertmaschine.
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Verhängnisvoll wirkt sich hierbei der Anstieg der Produktivität in der Warenproduktion aus, die eigentlich die Grundlage einer nachhaltigen Wirtschaftsweise bilden müsste. Unter dem Kapital fungieren Innovationen aber als Verbrennungsbeschleuniger: Je höher die Produktivität, desto geringer der Wert einer jeden Ware, der sich ja nach dem Quantum der darin vergegenständlichten Lohnarbeit richtet. Deswegen führt die permanente Steigerung der Produktivität dazu, dass immer mehr Waren hergestellt werden müssen, um dieselbe Wertmasse zu verwerten, wodurch der Ressourcenverbrauch in der Produktion zusätzlich ansteigt. Eine Steigerung der Produktivität um zehn Prozent in der Autobranche führt dazu, dass der Absatz von Autos um zehn Prozent erhöht werden muss, da sonst Entlassungen drohen.
Da das Kapital auf gesamtgesellschaftlicher, globaler Ebene eine marktvermittelte fetischistische Eigendynamik entwickelt, scheint sich folglich auch die Klimakrise mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes zu entfalten – als ob es nicht anders ginge. Diese Verschränkung aus struktureller ökonomischer Überproduktionskrise und dem eskalierenden ökologischen Krisenprozess lässt den ohnmächtigen Lohnabhängigen nur eine Scheinwahl: Arbeitslosigkeit jetzt oder Klimakollaps später. Dieses Ausspielen der Ökonomie gegen die Ökologie könnte von der Linken nur bei einem radikalen Ausbruch aus dem kapitalistischen Gedankengefängnis überwunden werden. Bei radikaler Kritik und einem solidarischen Klimakampf, der Wege nach einer sozioökologischen Transformation suchen müsste. Letztendlich wäre dies ein Kampf um die Aufrechterhaltung des Zivilisationsprozesses.