Telepolis, 22. Dezember 2016
Die Frontfrau der Linkspartei provoziert weiterhin mit rechtspopulistischen Sprüchen. Linkspartei droht, zu einem politischen Oxymoron zu verkommen
Sahra Wagenknecht, Spitzenkandidatin der Linkspartei im langsam aufziehenden Bundestagswahlkampf, kann das Fischen im braunen Sumpf einfach nicht lassen. Die rechtspopulistischen Sprüche der „linken“ Spitzenpolitikerin die eindeutig die Ressentiments der aufsteigenden deutschen Rechten bedienen, sorgten bereits im vergangenen Sommer für heftige Auseinandersetzungen in der Linkspartei (Die Sarrazin der Linkspartei).
Nach den massiven Konflikten Mitte 2016 herrschte eine Zeit lang Funkstille im national-sozialen Flügel der „Linkspartei“. Nachdem sich Sahra Wagenknecht, gemeinsam mit dem Realo Dietmar Bartsch, die Spitzenkandidatur sichern konnte, wagt sie sich wieder – im Rahmen der bewährten Salamitaktik – mit mitunter an ordinär nationalsozialistische Ideologie anknüpfenden Bemerkungen aus der nationalen Deckung.
Diesmal zog Wagenknecht am 18. Dezember den großen nationalsozialistischen Trennstrich zwischen der hart arbeitenden deutschen Mehrheit und den unseligen Minderheiten und Ausländern, für die sich Linke viel zu sehr engagiert haben sollen. In einem Sonntagsinterview für die Springerzeitung Die Welt erklärte sie:
Ich glaube, dass die Einordnung in rechts und links nach wie vor ihre Gültigkeit hat. Für mich ist links, die Verteilungsfrage in den Mittelpunkt zu stellen und sich für weniger Ungleichheit und mehr soziale Sicherheit einzusetzen. Im Konflikt zwischen Beschäftigten und Kapital heißt das, auf der Seite höherer Löhne statt höherer Rendite zu stehen. Leider verbinden heute viele mit „links“ etwas ganz anderes, etwa die Befürwortung von möglichst viel Zuwanderung oder abgehobene Gender-Diskurse, die mit dem Kampf um echte Gleichstellung wenig zu tun haben. Das bedauere ich sehr.
Sahra Wagenknecht
Diese ideologische Frontstellung, die Wagenknecht hier aufbaut, ist charakteristisch für nationalsozialistische Neidpropaganda, die sich nicht nur gegen die Finanzmärkte (raffendes Kapital), sondern vor allem gegen Minderheiten richtet. Es gibt keinen sinnvollen ökonomischen Zusammenhang zwischen dem Asylrecht, der Schwulenemanzipation („Gender-Diskurse“) und der Mindestlohndebatte – oder dem Ausgang einer Tarifrunde in der Metallindustrie. Dieser Zusammenhang existiert nur im Kopf des Nazis oder des Rechtspopulisten. Und Wagenknecht, die in der veröffentlichten Meinung das Label „links“ trägt, tut nichts weiter, als diese Ressentiments zu bestätigen.
Was Wagenknecht hier letztendlich macht, ist verhängnisvoll: Sie verfestigt diesen faschistoiden Diskurs, der die deutsche Mehrheitsbevölkerung von parasitären Minderheiten und Ausländern ausgesaugt sieht, indem sie diesen von „Links“ bestätigt, indem sie ihm eine soziale Dimension verschafft. Es scheint dann so, als ob das Engagement für Minderheitenrechte und das Recht auf Flucht mit den notwendigen sozialen Kämpfen in der Bundesrepublik unvereinbar wären. Mal ganz abgesehen davon, dass Wagenknecht das Menschenrecht zur Flucht vor (islamistischer) Unterdrückung und Bürgerkrieg zu einer bloßen Frage der „Zuwanderung“ erklärt. Die AfD hätte es nicht besser formulieren können.
Verkürzte Kapitalismuskritik und Investitionsprogramme
Die Signale, die in der Springerzeitung Die Welt mit solchen Ressentiments an die Rechte gesendet werden, sind eindeutig: Sie richten sich gegen Ausländer („Zuwanderung“), gegen die Emanzipation von sexuellen Minderheiten („Gender-Debatte“), und sie wollen gute Arbeit zuerst für Deutsche. Und selbstverständlich zählt auch Wagenknecht zu den schärfsten „Finanzmarktkritikern“ Deutschlands, die eine nationalsozialistisch verkürzte Kapitalismuskritik am „raffenden Kapital“ formulieren, ohne die krisengebeutelte reelle Mehrwertproduktion in der Warenindustrie auch nur zu thematisieren. Das macht sie selbstverständlich nicht zu einem Nazi (trotz des überschwänglichen Applauses seitens der AfD). Aber es fehlt inzwischen nicht mehr viel.
Dieses neuerliche Blinken nach rechts setzt aber schon früher ein. Bereits Ende November outete sich Frau Wagenknecht in einer Parlamentsdebatte als Bewunderin des designierten US-Präsidenten, des xenophoben Donald Trump (Trumps politische Freakshow). Trump habe „wirtschaftspolitisch mehr drauf“ als die Bundesregierung, so Wagenknecht, da er eine aktive Wirtschaftspolitik betreiben wolle – durch ein „groß angelegtes öffentliches Investitionsprogramm“.
Ob die Linke nun alle groß angelegten Investitionsprogramme der Wirtschaftsgeschichte, die in der gegenwärtigen Systemkrise letztendlich nur kurzfristige konjunkturelle Strohfeuer erzeugen können, frenetisch bejubeln soll, ohne den politischen Charakter des jeweiligen Regimes zu beachten, ließ die Finanzmarktkritikerin offen. Wenn Frau Wagenknecht lobende wirtschaftspolitische Worte für einen Rechtspopulisten findet, der Arbeitsmigranten in Lagern konzentrieren und millionenfach abschieben will, dann ließen sich auch die massiven Investitionsprogramme des neoliberalen Präsidenten Ronald Reagan in den 80ern (SDI, aka „Star Wars“) bejubeln. Und, so ließe sich ganz tabufrei fragen, was ist mit den mutigen Investitionsprogrammen des nationalsozialistischen Keynesianers Adolf Hitler, der Deutschland immerhin seine Autobahnen bescherte? (Man wird ja wohl noch fragen dürfen!)
Linkspartei ohne Parteilinke
Im Gegensatz zu den ersten rechtspopulistischen Ausfällen Wagenknechts, die noch für Zoff in der Linken sorgten, herrscht nun in der Partei, die für sich beansprucht, links zu sein, nahezu totale Funkstille. Niemand protestiert mehr, es gibt keine Aufrufe zum Rücktritt der Spitzenkandidatin, der rechte Ungeist scheint auch in der „Linkspartei“ hegemonial. Es ist aber mehr als nur ein „Gewöhnungseffekt“, der durch die gesamtgesellschaftliche Rechtsentwicklung befördert wird. Dieser „Waffenstillstand“, der Wagenknecht nun ihre populistische Ellenbogenfreiheit gewährt, resultiert auch aus wahltaktischen Überlegungen.
Die Linkspartei geht de facto ohne linken Flügel in den Wahlkampf. Wagenknecht ist Vertreterin des national-sozialdemokratischen Populistenflügels, während Bartsch ein Exponent der Realos in der Partei ist, die auf Regierungsbeteiligungen (wie aktuell in Berlin) setzen. Emanzipatorische, gar antikapitalistische Akzente während des Wahlkampfs – der ja während einer tiefen Systemkrise stattfindet – sind von diesem Spitzenpersonal nicht zu erwarten.
Stattdessen zeichnet sich bereits überdeutlich die Arbeitsteilung zwischen diesen beiden mächtigen rechten Flügeln der Linkspartei ab, die Gefahr läuft, zu einem politischen Oxymoron zu verkommen: Einer „Linkspartei“ ohne Parteilinke. Der national-soziale Populismus soll die Wählerstimmen heranschaffen, die eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei im Bund ermöglichen würden. Während Wagenknecht den Stammtisch fleißig bedienen soll, dürfte Bartsch beständig die Koalitionswilligkeit und Regierungsfähigkeit der „Linken“ beteuern. Auf der Strecke wird jedweder Begriff dessen bleiben, was seit der Französischen Revolution als politisch Links bezeichnet wurde: fortschrittliche Politik, die auf die emanzipatorische Überwindung des Bestehenden abzielt.
Stattdessen wird der Blick auf die Vergangenheit fixiert: Der nationale Sozialstaat der 50er bis 70er gilt nun als keynesianisches Ideal – als ob die Krisenuhr der vergangenen Dekaden einfach so zurückgedreht werden könnte. Somit droht der Bundesrepublik im kommenden Jahr ein Wahlkampf, bei dem Sahra Wagenknecht mit Frauke Petry im Wettstreit um die effektivste Absonderung von Ressentiments treten könnte – was die bereits überdeutlich aufziehende reaktionäre Hegemonie in Deutschland zementieren dürfte.
Dass die Linke bei diesem Wettstreit mit der Rechten nur verlieren kann, belegt die deutsche Geschichte, insbesondere die Zeit des Vorfaschismus in der Endphase der Weimarer Republik, eindeutig. Damals war es die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die den aufstrebenden Nazis durch die Übernahme nationalsozialistischer Argumentationsmuster – etwa im 1930 verabschiedeten Programm zur „nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ – das Wasser abgraben wollte. Die Ergebnisse sind bekannt: Die Massen wählten das braune Original, nicht die rote Kopie.
Zwischen Anbiederei und Populismus
Als ob die damalige kommunistische Tragödie nun als sozialdemokratische Komödie neu aufgeführt werden sollte, will die Linkspartei jetzt offensichtlich mit rechten Sprüchen wiederum rechte Wähler ködern. Anstatt in Opposition zum dominanten reaktionären Krisendiskurs in der Bundesrepublik zu gehen, schwenkt diese Wahlallianz aus Populisten und Opportunisten auf einen stromlinienförmigen Kurs ein, der zwischen Anbiederei und Populismus oszilliert. Der Begriff dessen, was „links“ ist, droht somit dem politischen Karrierestreben der Führung der Linkspartei geopfert zu werden.
Zugleich gilt Rot-Rot-Grün in Berlin als Testlauf für eine entsprechende Koalition auf Bundesebene, der die Linkspartei offensichtlich unter Zuhilfenahme rechter Stammtischparolen näherkommen will. Hierbei werden auch Signale in die Linke hinein gesendet.
Als ein genialer Schachzug hat sich hierbei die Ernennung des verdienten Aktivisten und Gentrifizierungskritikers Andrej Holm zum Staatssekretär erweisen. Hierbei werden auch potenzielle Karrierechancen innerhalb einer linken Regierungsmannschaft signalisiert, die gerade im prekären Umfeld der Linkspartei große Anziehungskraft entfalten. Im akademischen Vorfeld der Linkspartei droht somit das große Staatssekretärsfieber auszubrechen, wie einstmals innerhalb der Partei der Grünen am Vorabend von Rot-Grün unter Schröder-Fischer. Die Tendenz innerhalb der vielfältigen Aktivistenszene, notwendige Kritik an diesen national-sozialen Sprüchen Wagenknechts dem potenziellen Karrierekalkül zu opfern, wird so befördert.
Für die verbliebenen Linken innerhalb wie außerhalb der „Linkspartei“ stellt sich aber akut die Frage, wie der Widerstand gegen diese rechtspopulistischen Ausfälle zu organisieren ist, der den gesamten Wahlkampf zu vergiften droht. Innerhalb der üblichen Salamitaktik kann davon ausgegangen werden, dass diese rechtspopulistischen Sprüche der Spitzenkandidatin der „Linkspartei“ noch zunehmen werden. Angesichts der historischen Erfahrungen, wie auch der weit vorangeschrittenen Krisendynamik, kann Passivität keine Option sein. Dies würde nur die rechte Hegemonie in der Bundesrepublik zementieren.