Telepolis, 04. Dezember 2016
„Man ist immer auch ein klein wenig selbst russischer Staatschef“ – eine kleine Psychopathologie des gemeinen Putintrolls
Jeder, der es sich immer noch nicht abgewöhnt hat, unzensierte Kommentarforen oder die üblichen sozialen Netzwerke zu durchstöbern, kennt sie zur Genüge: die frenetische deutsche Anhängerschaft des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die bei einschlägigen geopolitischen Themen leidenschaftlich Partei ergreift für Russland und den Kreml. Dabei handelt es sich gerade nicht um das Produkt einer finsteren Putinischen Trollfabrik, wie dies in den westlichen Medienmainstream immer wieder lanciert wird. Der deutsche Putinschwarm weist eine Eigendynamik auf, die auf innerdeutsche ideologische wie auch machtpolitische Faktoren zurückzuführen ist.
Die Mitgliederschaft des putinischen Fanclubs rekrutiert sich quer aus dem politischen Spektrum, es sind neurechte Bürger, rechtsextreme Agitatoren wie auch orthodoxe, in Regression begriffene Linke hierunter zu finden. Ohne Übertreibung kann die politische Figur des russischen Präsidenten als eine der wichtigsten ideologischen Brutstätten der neuen deutschen Querfront bezeichnet werden. Das liegt vor allem daran, dass der arme Wladimir Wladimirowitsch als ideologische Projektionsfläche deutscher Querschläger aller Art fungiert (vgl. Sehnsucht nach dem „Starken Mann“).
Des Kremls ideologischer Gebrauchtwarenladen
Für den traditionsverliebten orthodoxen Linken ist die Solidarität mit dem putinischen Russland die Fortsetzung der unverbrüchlichen Freundschaft mit der untergegangenen Sowjetunion. Die gegenwärtige russische Geschichtspolitik, die auch die Sowjetperiode – im Sinne einer nachholenden Modernisierung Russlands – positiv besetzt, bietet hier genügend symbolische Anknüpfungspunkte. Die roten Fahnen am Tag des Sieges in Moskau lassen die Sowjetmacht kurz aufleben – vielen Traditionskommunisten und heimatlosen Sozialisten reicht das als herbeigesehnter nebulöser Identifikationspunkt.
Für die neue deutsche Rechte bietet Russland hingegen auf ideologischer wie praktischer Ebene vielfache handfeste Identifikationsmöglichkeiten. Zum einen ist ja der Kreml tatsächlich bemüht, in etlichen Ländern des Westens aus taktischen Gründen die extreme Rechte durch Finanzzuwendungen zu stärken (etwa in Frankreich), um hierdurch geopolitische Vorteile zu erlangen. Zum anderen wird Russland von der deutschen extremen Rechten als ein Verbündeter im Kampf um ein reaktionäres Rollback der BRD angesehen.
Das putinische Eurasien, vom Kreml als ein autoritär-kulturalistisches Gegenstück zum angeblich liberalen Westen aufgebaut, wird von weiten Teilen der Rechten als reaktionäre Vision einer von jeglichen Emanzipationsansätzen, wie der Schwulenemanzipation oder dem Feminismus, gereinigten Gesellschaft geteilt.
Fazit: Der ideologische Gebrauchtwarenladen, aus dem der Kreml nach dem Untergang der Sowjetunion eine neue russische Identität bastelte, hat somit für jeden – vom Altstalinisten bis zum Jungnazi – etwas zu bieten. Und es sind gerade die sozialen Netzwerke und die Internetforen mit ihrer scheinbaren Anonymität, die bei der Ausformung dieser Querfront mithalfen, da die Diskussionen mit anonymen Gleichgesinnten die ideologischen Unterschiede sehr schnell nivellierten.
Die nervige Penetranz und die Energie vieler Putintrolle rechter wie linker Herkunft, die mitunter regelrechte virtuelle Kreuzzüge gegen eine größtenteils imaginierte Feindessschar in den sozialen Netzwerken führen, deutet auf starke psychische, mitunter pathogene Treibkräfte, die diese Irrlichter dazu bringen, einen großen Teil ihrer Freizeit hierfür zu opfern.
Der Putinismus als Alltagsreligion
Zum einen fungiert die Figur Putin in diesem Spektrum ganz klar als eine Führerersatzfigur, wie sie autoritäre Charaktere vor allem in Krisenzeiten herbeisehnen. Der urdeutsche Drang nach einem Führer, der einfache Lösungen anbietet, den rechten Weg weist und mit starker Hand aufräumt wird abermals auf den armen Wladimir Wladimirowitsch projiziert. Da es derzeit in Deutschland an entsprechend qualifizierten Figuren noch mangelt, sieht man auf Demos von Pegida und AfD halt Plakate mit der Aufschrift: „Putin Hilf!“.
Und es ist genau dieser Führernachwuchsmangel (eine Folge des deutschen Fachkräftemangels?), der die extremistische deutsche Rechte so verzehrt. Überall sprießen Führerfiguren aus dem politischen Morast, doch ausgerechnet im historischen Heimatland des Führerkults scheint es daran zu mangeln.
Die Überidentifikation mit Wladimir Wladimirowitsch lässt im autoritären Charakter auch Allmachtsphantasien aufkommen: Egal, was Putin konkret tut, welche Kehrtwendungen die Machtpolitik des Kremls vollzieht (etwa bei den Beziehungen zur Türkei) – Putin tut immer genau das, was man selber tun würde. Man ist immer auch ein klein wenig selbst russischer Staatschef.
Diese am bemitleidenswerten Wladimir Wladimirowitsch ausgelebten irrationalen Allmachtsphantasien deuten selbstverständlich nur auf die reelle uneingestandene Ohnmacht hin. Und genau dies ist des Putintrolls klebriger Kern, der sich unter der harten Schale aus Hetze und Wahn verbirgt: Ohnmachtsgefühle und Angst angesichts der eskalierenden und nicht mehr ignorierbaren Krisendynamik, die zur Identifikation mit einer importierten Führerfigur führen, zur Identifikation mit der Macht, um die eigene Ohnmacht verdrängen zu können.
Die religiöse Inbrunst, mit der viele Putintrolle in ihrer Freizeit für ihren Wladimir Wladimirowitsch bis zur Selbstaufopferung streiten, verweist auf den pseudoreligiösen Charakter dieser Erweckungsbewegung. Es ist eine flüchtige, säkularisierte Alltagsreligion, die sich im Internet um die Erlöserfigur des russischen Staatschefs herausbildete. Der Manichäismus, dem die Putintrolle verfallen sind, hat klar religiöse Wurzeln – er wird aber an diesseitigen Figuren und Objekten abreagiert.
Putin und das Reich des traditionsverhafteten Lichts, das ja bekanntlich im Osten aufgeht, stehen hier im ewigen Kampf gegen die Mächte der Finsternis und Verkommenheit, die mit Globalismus, Kosmopolitismus und Wurzellosigkeit assoziiert werden. Die Parallelen zur nationalsozialistischen Ideologie sind offensichtlich, wobei – zumindest bislang – der implizit gegebene Antisemitismus in diesem Milieu nicht manifest wird. Noch wird er kaschiert im Geraune über die amerikanische Ostküste, die Globallisten oder das wurzellose Finanzkapital.
Die Alltagsreligion des Putinismus ist aber nicht monotheistisch, wie der Wahlsieg Trumps belegt. Sie kann polytheistisch um weitere autoritäre Erlöser- und Führerfiguren erweitert werden. Trump fasziniert den Putintroll durch seine offen antidemokratischen Züge, seine Drohung mit faschistischer Politik, mit dem Aufbau eines Lagersystems und massenhafter Jagd auf „illegale Menschen“, die abgeschoben oder in Lagern zu Millionen konzentriert werden sollen.
Zugleich ist es gerade die Fokussierung Trumps auf die Innenpolitik, die seine plötzliche Popularität in der deutschen Rechten erklärt. Der Weg zu einem Platz an der Sonne scheint nun frei zu sein, glaubt man zumindest am Stammtisch.
Die Linke und das Fehlen des progressiven Machtpols
Der gesamte deutsche Putin-Fanclub – von pseudolinks bis rechtsaußen – ist schlicht an der eigenen Ohnmacht irre gegangen. Die Krisendynamik treibt die spätkapitalistichen Staatsmonster ja tatsächlich auf geopolitischer Ebene in die Konfrontation, die in einem verheerenden Großkrieg zu kumulieren droht.
Das zerrüttete Weltsystem befindet sich eindeutig in einer Vorkriegszeit – und daran geht die „konservative“, rückwärts fixierte Linke in Deutschland zugrunde. Denn es gibt keinen auch nur nominell progressiven Machtpol, keine neue Sowjetunion, die als ein Gegengewicht zu den zunehmenden neoimperialistischen Konflikten fungieren könnten.
Der konservativ-traditionslistische Teil des linken Szenesumpfs geht somit in offene Auflösung über. Da es keine „Sowjetmacht“ mehr gibt, erfindet sich der reaktionäre Teil der ohnmächtigen „Antiimps“ eine neue Identifikationsfigur im Ex-Genossen Putin. Unter Rückgriff auf die üblichen Argumente von „objektiv fortschrittlichen“ Regimes, die seit den 1980ern ohnehin nur das Scheitern der meisten Entwicklungsregimes im globalen Süden kaschierten, fällt der reaktionäre Teil des Antiimperialismus in seiner Regression weit hinter sein Idol, Wladimir Iljitsch Lenin, zurück.
Dieser hatte all seinen theoretischen Verkürzungen zum Trotz wenigstens noch gewusst, dass linke Politik nicht darin bestehen kann, irgendwelchen reaktionären Regimes möglichst tief in den Arsch zu kriechen, sondern es nur darum gehen kann, die innerimperialistischen Widersprüche möglichst geschickt auszunutzen.
Letztendlich zementiert der putintreue Flügel des Antiimperialismus seinen Abschied vom Antikapitalismus, von der Idee der Emanzipation. Es ist ein Abschied von der Linken. Die neue Epoche eines postdemokratischen Kapitalismus, der sich mit der Wahl Trumps und dem hegemonialen Abstieg der USA krisenbedingt verfestigt, wird als eine multipolare Weltordnung schön geredet.
Die Parallelen zu den Antideutschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind offensichtlich, wo aus denselben Ohnmachtserfahrungen heraus sich die fixe Idee etablierte, ausgerechnet die USA als eine „objektiv progressive“ Wiedergeburt der Sowjetunion, oder zumindest des Hegelschen Weltgeistes zu betrachten.
Der damalige Putin hieß George W. Bush, und die amerikanische Invasion des Irak wurde mit derselben Verbissenheit als segensreiches Zivilisationswerk verteidigt, wie heutzutage selbst die größten Gemetzel des Assad-Regimes verteidigt werden.
Vom Anti- zum Alternativimperialismus
Im Endeffekt mutiert der linke Flügel des deutschen Putin-Fanclubs – gemeinsam mit dessen offen rechter Anhängerschaft – zur Avantgarde des Imperialismus. Dem putintreuen Querfrontspektrum geht selbstverständlich nicht mehr um die – nur jenseits des Kapitalismus mögliche – Überwindung des Imperialismus, sondern um die systemimmanente Realisierung alternativer imperialistischer Machtkonstellationen, um die Etablierung eines eurasischen Machtblocks unter Einschluss der BRD.
Die ehemaligen Antiimperialisten wandeln sich zu Alternativimperialisten. Man fordert einen Platz an der Sonne, indem man aus dem Schatten der USA drängt. Das zentrale ideologische Vehikel, das diese neue imperialistische Weltaufteilung legitimieren soll, ist der debile Antiamerikanismus, der in diesem Milieu gepflegt wird (vgl. Projektionsfläche Amerika).
Alles Böse kommt vom großen Satan USA, während das imperialistische Dominanzstreben der Gegenseite, wie auch der BRD, ausgeblendet oder legitimiert wird – die inneren Widersprüche des Kapitals, die das gegenwärtige neoimperiale Great Game in einen atomaren Schlagabtausch treiben könnten, verschwinden im halluzinierten absolut Bösen der USA.
Das ganze Ausmaß der Regression des deutschen Alternativimperialismus wird vielleicht bei einer historischen Analogie ersichtlich: Hierbei hätte Lenin am Vorabend des 1. Weltkrieges die damalige Hegemonialmacht – Großbritannien – zum Hort aller Weltenübel erklären müssen, um sich fortan mit dessen imperialen Herausforderern, etwa Russland oder Deutschland, zu verbünden.
Im Gegensatz zu den antideutschen Obsessionen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die den Weltgeist im George W. Bush halluzinierten, verfügt der neudeutsche Alternativimperialismus über einen gewissen Rückhalt und Einfluss. Zum einen hält ein Teil der deutschen Funktionseliten sich geopolitische die eurasische Option durchaus offen – zumal mit dem TTIP die strikte atlantische Einbindung Deutscheuropas gescheitert zu sein scheint.
Es ist ja vor allem die deutsche Kleinbourgeoisie und das deutsche Kleinbürgertum, das vor allem betriebswirtschaftlich denkt und dem entgangenen Russlandgeschäft nachtrauert, während die Großbourgeoisie eher volkswirtschaftlich agiert, einen Blick auf die deutschen Handelsüberschüsse gegenüber den USA wirft – und sich für die atlantische Option entscheidet.
Der machtpolitische Aufstieg Deutschlands
Dennoch ist die eurasische Option – oder ein unabhängiges Agieren Deutscheuropas auf globaler Ebene – für die deutsche Geopolitik verlockend. Im Rahmen der transatlantischen Einbindung der BRD kann Berlin immer nur als Juniorpartner der USA agieren, selbst wenn Schäuble inzwischen die europäische Wirtschaftspolitik auch gegen den Willen Washingtons diktieren kann. Im Rahmen einer eurasischen Allianz wäre Berlin aufgrund seines ökonomischen Gewichts der Seniorpartner, was Berlin zusätzliche macht- und geopolitische Optionen öffnen würde.
Die Differenzen zwischen Atlantikern und Eurasiern innerhalb der deutschen Funktionseliten verlaufen quer durch alle politischen Lager und sind eben auf diese zentrale, strategische Weichenstellung geopolitisch zurückzuführen. Es ist eine Entscheidung zwischen zwei verschiedenen Strategien imperialistischer Politik der machtpolitisch aufsteigenden Bundesrepublik.
Und es ist gerade der machtpolitische Aufstieg der BRD in den vergangenen Jahren, der den Antiamerikanismus hochkocht in der neudeutschen Querfront. Je weiter die US-Hegemonie schwindet, desto stärker der Hass auf die USA, da dieses Milieu sich mit der deutschen Rolle eines Juniorpartners nicht mehr abfinden will. Der Putintroll ist de facto – objektiv betrachtet – Avantgarde des deutschen Imperialismus. Er will gemeinsam mit Deutschland aufsteigen.
Solange Deutschland nicht über allem steht, wird es von der deutschen Querfront als geknechtet wahrgenommen, was mitunter in Wahnideen kulminiert, Merkel und die Bundesregierung würden von Washington kontrolliert. Der Hass des deutschen Putintrolls auf die USA wird vom Neid befeuert. Es ist der oftmals nur halbbewusste Wunsch, Deutschland möge die Stellung der USA einnehmen.
In Anknüpfung an die „nationalsozialistische“ Ideologie der Nazis wird hier Imperialismus mittels antiimperialistischer Rhetorik propagiert. Die in der EU dominierende BRD soll auch auf globaler Ebene ohne Machtbeschränkungen durch die erodierende US-Hegemonie agieren. Gestern Europa, morgen Eurasien: dies ist das Kalkül dieser Alternativimperialisten, das eigentlich nur im rechten, offen faschistischen Flügel der putintreuen Querfront bewusst reflektiert wird.
Vorarbeit für den deutschen Imperialismus
Die traditionslinken Putinfans spielen diese Rolle unbewusst mit – angetrieben von ihrer Denkfaulheit und Dummheit. Während also die BRD machtpolitisch aufsteigt, in Europa dominiert, stehen die deutschen Alternativimperialisten dieser evidenten Entwicklung ignorant oder gar wohlwollend gegenüber. Es scheint ein natürliches deutsches Herrenmenschenrecht, die Südeuropäer zu mittels Autoritätsregime zu knechten, während man sich als besetzte Kolonie der USA imaginiert. Vermittels antiimperialistischer Rhetorik wird hier ideologische Vorarbeit für den deutschen Imperialismus betrieben.
Die USA treten als Hegemonialmacht offensichtlich ab, doch zugleich ist kein Nachfolger in Sicht. Deswegen wird sich die Gewalt auf globaler Ebene, die zuvor nur der US-Hegemon im Rahmen seiner Funktion als imperialistische Weltpolizei ausübte, potenzieren, da nun viele Nachwuchs- und Möchtegern-USA auf blutige Expansionspolitik setzen werden. Bestes Beispiel dafür ist derzeit das islamistisch-faschistische Regime in der Türkei, das die Wahl Trumps mit massiven Angriffen auf die Kurden in Syrien feierte.
Die eskalierenden Angriffe Erdogans im Norden Syriens wären selbstverständlich ohne die Zustimmung Putins – wie auch der USA – nicht möglich. Putin hat mit Erdogan einen jener typischen imperialistischen „dreckigen Deals“ abgeschlossen, die in der Geopolitik, üblich sind: Während die türkische Militärmaschinerie die linke kurdische Selbstverwaltung angreifen darf, „räumen“ Russland und das syrische Regime in Aleppo auf.
Jedes Mal, wenn der Kreml eine geopolitische Option hat, entscheidet er sich für die reaktionäre und autoritäre Variante. Statt sich mit den Kurden zu verbünden, sucht Putin die Allianz mit dem klerikal-faschistischen Regime Erdogans – was ja auch dem imperialistischen Kalkül Russlands entspricht.
Ähnlich agierte der Kreml während der Euro Krise im Sommer des Jahres 2015, als die – ehemals – linke griechische Regierung sich dem schäublerischen Spar-Diktat entgegenstemmte. Griechischen Zeitungsberichten zufolge hat der Kreml maßgeblich dazu beigetragen, den Widerstand Athens zu brechen, indem zuvor erteilte Kreditgarantien Moskaus an Athen auf dem Höhepunkt der Krise zurückgezogen wurden.
Und falls tatsächlich auch russische Geheimdienste an den gegen Hillary Clinton gerichteten Leaks beteiligt waren, die im Wahlkampf so eine herausragende Rolle spielten, dann ließe sich zurecht fragen, wieso diese nicht schon im Vorwahlkampf publik wurden, als noch mit Bernie Sanders ein fortschrittlicher Kandidat im Rennen war. Stattdessen haben diese Indiskretionen den labilen Halbfaschisten Donald Trump ins Weiße Haus gehievt.
Fazit: Bei Russland handelt es sich um eine reaktionäre, imperialistisch agierende Macht, deren geopolitische Praxis sich nicht von dem Agieren ihrer Konkurrenten im Westen unterscheidet. Das ist kein Grund, Putin zu verteufeln, wie es die westliche Propaganda gerne tut, die dabei eigentlich nur in den Spiegel blickt – aber es gibt auch keinen Grund, ihn zu einer Erlöserfigur zu überhöhen.
Alle Alpträume werden wahr
Die Rolle der Putin-Querfront als objektiver, quasi „alternativimperialistischer“ Avantgarde des deutschen Imperialismus wird nach der Wahl Donald Trumps offensichtlich. Der Wunsch der Putintrolle, sich von den USA zu „emanzipieren“ (also de facto uneingeschränkt Europa zu beherrschen und global ohne Rücksichten zu agieren), wird nun plötzlich zur deutschen Regierungspolitik.
Neben Ursula von der Leyen, die jüngst für eine „Emanzipierung“ und Militarisierung Deutscheuropas plädierte, sprach sich auch das „Schwergewicht“ Volker Kauder für „mehr militärisches Engagement“ der EU aus. Amerika könnte sich aus der Weltpolitik zurückziehen, weshalb man die Weichen für eine „europäische“ Armee stellen müsse.
Zur Erinnerung: Herr Kauder ist für seinen Ausspruch europaweit berüchtigt, endlich werde in Europa nur noch „Deutsch gesprochen“, mit dem er das europäische Spardiktat Berlins bejubelte. Wenn Kauder also einer „europäischen Armee“ spricht, dann meint er eine europäische Interventionsarmee, in der endlich nur noch Deutsch gesprochen wird.
Die Zeit ruft schon mal Merkel zur „Anführerin der freien Welt“ aus – ganz im Jargon der untergehenden US-Hegemonie, als ob es sich um eine Realsatire handeln würde.
Die Träume der Putintrolle scheinen nun mit dem Abstieg der USA in Erfüllung zu gehen. Die alternativimperialistische Avantgarde, angetrieben von einer Mischung aus pseudolinker Dummheit und nationalistischer Bauchpolitik, war einfach nicht so geduldig wie Kauder, von der Leyen und die Schreiberlinge der Zeit. Man wollte zu früh zu viel erreichen und glaubte sich irrtümlicherweise in der Opposition. Dennoch wird sich keine Befriedigung in dem Querfront-Spektrum einstellen.
Die USA treten offensichtlich als Hegemonialmacht ab, doch die Gemetzel und Kriege, die den Spätkapitalismus charakterisieren, werden nicht aufhören, sondern zunehmen. Und selbstverständlich werden sich Deutschlands Funktionseliten nicht mit der Einbindung in ein putinisches Eurasien zufrieden geben, sondern verstärkt eigene großdeutsche Machtpolitik betreiben.
Dennoch wird keine Ernüchterung in der neuen deutschen Querfront einsetzen. Im Gegenteil: Der ideologische Wahn wird weiter getrieben werden. Das Feindbild der USA, das in diesem Milieu weiterhin gepflegt werden wird, dürfte zunehmend mit antisemitischen Ressentiments aufgeladen werden, wie es jetzt schon absehbar ist. Das liegt vor allem daran, dass die reale praktische Zielsetzung der Querfront, Deutschlands neuer Platz an der imperialen Sonne, angesichts der eskalierenden Krisendynamik nicht realisierbar ist.
Das halbbewusste Kalkül in diesem Querfront-Milieu, dass sich nun in Regierungspolitik zu wandeln scheint, ist ja offensichtlich: Die USA sind im hegemonialen Abstieg begriffen, und man spekuliert darauf, diese zu beerben.
Selbstverständlich wird das nicht aufgehen, da der hegemoniale Abstieg der USA nur ein Moment der eskalierenden Systemkrise ist – von der das hochverschuldete China und das krisengeplagte Russland ebenso ergriffen wurden. Auch der Exportweltmeister BRD, der bislang seine Schuldenberge exportieren konnte, über die sich das deutsche Ressentiment so empört, ist nicht immun gegen den sich abzeichnenden nächsten Krisenschub.