Telepolis, 10. November 2016
Mit dem Wahlsieg Trumps erfährt der krisenbedingt anschwellende Irrationalismus des Weltsystems seinen manifesten Durchbruch
Zurück in die Vergangenheit. Dies ist eigentlich das grundlegende Motto, das die Rhetorik des zukünftigen US-Präsidenten kennzeichnet. Donald Trump möchte Amerika „wieder groß machen“, die Zeit zurückdrehen und den sozialen, wirtschaftlichen wie imperialen Abstieg der einstigen Führungsmacht der westlichen Welt revidieren.
Diese Sehnsucht nach einer heilen und idyllischen Vergangenheit, die selbstverständlich nur in der Erinnerungswelt so existierte, ist ein grundlegendes Element rechter und rechtsextremer Ideologien. Entsprechende reaktionäre politische Strömungen reagieren damit auf soziale und wirtschaftliche Verwerfungen, denen die Rechte mit einer dumpfen politischen Regression begegnet. Die Uhren sollen einfach zurückgedreht werden – obwohl es evident ist, dass dies unmöglich ist.
Der egomanische Multimillionär konnte weit in die einstmaligen Stammwählerschichten der Demokraten einbrechen, da er die Deindustrialisierung der USA, die zunehmende Verarmung und Prekarisierung der Arbeiterschaft und die rasche Erosion der Mittelschicht zumindest thematisierte.
Die tiefe systemische Krise, die Trump ins Weiße Haus spülte, wurde von seinen liberalen Gegenspielern im politischen Establishment Washingtons hingegen schlicht ignoriert. Hier lautete die Parole, dass es einfach so weitergehen könne wie bisher. Niemand symbolisierte diese landesweit verhasste neoliberale Kontinuität stärker als Hillary Clinton, die nur durch massiven Wahlbetrug zur Kandidatin der Demokraten gekürt werden konnte.
Das „Zurück zur Vergangenheit“ des Donald Trump meint auf der politischen Ebene eine Revision aller partiellen Emanzipationserfolge der vergangenen Jahre in den Vereinigten Staaten. Es droht eine Rückkehr zum ungeschminkten und staatlich legitimierten Rassismus, zur blanken Herrschaft des angst- und hasserfüllten weißen Mannes, zur Segregation.
Die Große Amerikanische Mauer soll die Krise draußen halten
Die USA sollen wieder „weiß“ werden: die Arbeitsmigration aus dem verelendeten und bürgerkriegszerfressenen Süd- und Mittelamerika will Trump durch millionenfache Abschiebungen revidieren, die eigentlich nur durch die Errichtung eines gigantischen Lagersystems realisiert werden könnten. Deswegen unterstützte die extremistische Rechte in den USA den Wahlkampf Trumps. In diesem offen faschistischen Spektrum hofft man darauf, dass es nicht bei bloßer Wahlkampfrhetorik bleibt. Für die Amerikaner südlich des Rio Grande bedeutet Trump vor allem eins: Mauer und Stacheldraht. Die Große Amerikanische Mauer soll das Elend, soll die Krise draußen halten.
Trumps barbarische Wahnsinnsrhetorik hat durchaus Methode. Für die Krise der USA, für den industriellen Niedergang des Landes, werden keine inneren gesellschaftlichen Widersprüche, sondern finstere äußere Kräfte verantwortlich gemacht – und dies ist ja ebenfalls typisch für politisch rechte Wahngebilde, die Krisentendenzen zuverlässig externalisieren.
Im Fall des Donald Trump ist sind es die abzuschiebenden südamerikanischen Arbeitsmigranten und das finstere Reich der Mitte, China in seiner Funktion als Werkstatt der Welt, die für das um sich um greifende Elend in den Vereinigten Staaten verantwortlich gemacht werden. Das irrsinnige Ziel einer „Reindustrielisierung“ der USA – ein Anachronismus angesichts des global herrschenden Produktivitätsniveaus – soll durch Abschottung erreicht werden. Abschottung gegen Arbeitsmigranten, wie auch Abschottung gegen Konkurrenten auf dem Weltmarkt.
Hiervon dürfte vor allem China, aber auch Deutschland (angesichts der Extremen deutschen Handelsüberschüsse) betroffen sein. Die Rückkehr ins 20. Jahrhundert der industriellen Vollbeschäftigung soll somit letztendlich durch Protektionismus erreicht werden. Innerhalb der irren rechten Ideologie ist dies auch nur zu konsequent: Wenn alles Böse von außen kommt, wenn der „freie“ Handel die Ursache der Krise sein soll, dann müssen nur noch die Grenzen dicht gemacht werden, um zurück in die Vergangenheit zu reisen.
Das Problem an dieser Ideologie liegt darin, dass sie nichts mit den realen Ursachen der Krisen zu tun hat. Die Rechte, die zurück in die Vergangenheit will, wiederholt die Fehler der Vergangenheit. Mittels Protektionismus wurde gerade die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts ins Extrem getrieben – die politischen Folgen der dadurch ausgelösten sozialen Verwerfungen müssten allen rechtspopulistischen Tendenzen zum Trotz noch schemenhaft bekannt sein.
Zusammenhänge zwischen Protektionismus und Krisenverschärfung werden von den Rechten in den USA und Europa ausgeblendet
Deswegen reagierten die kapitalistischen Funktionseliten nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 gerade nicht protektionistisch. Die Grenzen blieben für Güter, Kapital und Dienstleistungen offen, weil die Folgen der protektionistischen Maßnahmen während der Weltwirtschaftskrise der 1930er noch bekannt sind. Stattdessen ging man zu Währungsabwertungen als einem Mitte der Exportförderung über.
Diese evidenten Zusammenhänge zwischen Protektionismus und Krisenverschärfung werden von einer zunehmend irrational agierenden Rechten – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa – schlicht ausgeblendet. Fakten und Zusammenhänge werden von einer ins Extrem getrieben Ideologie ignoriert, die nur noch mittels irrationaler, quasi animalischer Reflexe (Angst, Hass, Ausgrenzung) auf die unbewältigte und unverstandene Krisendynamik reagieren kann.
Diese Irrationalität der Rechten spiegelt nur die manifeste Irrationalität des in einer letalen Krise sich befindenden kapitalistischen Weltsystems. Globalisierung und Neo-Nationalismus bilden keine Gegensätze, sondern nur zwei verschiedene Phasen eines und desselben Krisenprozesses. Die Globalisierung droht angesichts der weltweit rasch anschwellenden Schuldenberge zusammenzubrechen und die kapitalistische Weltwirtschaft in ihre bisher schwerste Krise zu stürzen. Die politische Rechte exekutiert und bejaht nur die Krisendynamik, die mit neo-nationalistischen, rassistischen oder ordinär faschistischen Pathos aufgeladen wird.
Es scheint ein irrationaler, unbewusster, lemminghafter Todestrieb. Man will endlich den Schritt über den Abgrund tun. Trumps Protektionismus kommt – angesichts der erreichten Dichte der Globalisierung – einem sozioökonomischen Suizid gleich. Das heißt aber noch lange nicht, dass der politische Machtapparat in Washington ihn davon abhalten kann, diesen Schritt zu tun. Solange die Krise des kapitalistischen Weltsystems aufgrund der dominanten ideologischen Tabus nicht in den Widersprüchen des Kapitals verortet werden kann, solange werden buchstäblich irrsinnige Ideologien und Populisten ihre Konjunktur erleben (Die Krise kurz erklärt).
Dabei stellt ja der rassistische Egomane Trump – dessen extremistische Wahlversprechen im Rahmen einer bürgerlichen Demokratie nicht durchsetzbar sind – keine Ausnahme dar. Es ist die große Zeit des politischen Borderliners, der pathogenen autoritären Charaktere, die eigentlich nur die zunehmend an die Oberfläche drängende Irrationalität des Systems verkörpern. Sie sind „Populisten“ des Irrationalen, indem sie den Obsessionen und Ängsten ihrer Wählerschaft Ausdruck verschaffen. Führerfiguren sollen die angstmachende Krise bewältigen, die nach außen projiziert (China) und irgendwelchen Minderheiten (Latinos) angehängt wird.
Derselbe autoritäre Charaktertypus mit pathogenen Eigenschaften drängt überall zur Macht
Derselbe autoritäre Charaktertypus, der mit pathogenen Eigenschaften – zumeist einem krankhaften Größenwahn – geschlagen ist, drängt überall zur Macht. Er entspricht dem zunehmenden Irrationalismus innerhalb seiner rechten Wählerschaft. Die Führerfigur ist praktisch die Vollendung der zunehmenden Krisenkonkurrenz. Dem Egomanen Trump entspricht der türkische Operettensultan Erdogan, der ebenfalls zurück zur Vergangenheit will. Hier ist es das osmanische Reich, das in alter Glorie auf kurdischen Leichenberge wieder errichtet werden soll.
Auf den Philippinen hat – ähnlich dem politischen Glücksritter Trump – ein rabiat auftretender und psychisch labiler Lokalmafioso das große Los gezogen. „Präsident“ Duerte vergleicht sich gerne mit Adolf Hitler und will schon mal ein paar Millionen seiner kriminellen Landsleute auslöschen, um den kommenden Generationen eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.
Auch in Europa, dem Heimatkontinent des Faschismus, herrscht kein Mangel an Führerfiguren – als ob es die bekannten historischen Erfahrungen nicht gegeben hätte. Neben dem ungarischen Rechtsausleger Orban ist es der polnische Rechtspopulist Kaczynski, der offensichtlich tatsächlich daran glaubt, dass sein Zwillingsbruder einem Attentat des Kreml zum Opfer gefallen ist. In Frankreich ist es hingegen Madame Le Pen, die Ausländer und Migranten aus den früheren französischen Kolonien für die Krise und Stagnation verantwortlich macht, in der sich das Land befindet.
Und es ist genau dieser Mangel an geeigneten Führerfiguren (wohl eine Folge des deutschen Fachkräftemangels?), der die neueste deutsche Rechte so verzehrt. Bislang hat sich noch keine autoritäre Identifikationsfigur gefunden, in der die deutschen Untertanen aufgehen könnten. Sarrazin und Petry sind schlicht zu dröge.
Den Urtypus all dieser autoritären Egomanen stellt zweifelsohne der russische Präsident Wladimir Putin dar, der sich in einem fast schon infantilen Machogehabe öffentlich zur Schau stellt – und barbusig vom Pferderücken aus Russland wieder „groß“ machen möchte. Und hier liegt vielleicht die größte Ironie des Wahlsiegs des Donald Trump. Jahrzehntelang hat der „Westen“ – angeführt von den USA – versucht, Russland vermittels diverser bunter Revolutionen endlich „Freedom and Democracy“ zu bringen. Und nun hat Amerika seinen eigenen Putin gewählt. Die Ära der kapitalistischen liberalen Demokratien scheint gerade im Heimatland der Demokratie abzulaufen.