Die pädophile Rechte

Telepolis, 21.10.2016
Kindesmissbrauch wurde nicht nur bei der Mördertruppe des NSU praktiziert – es handelt sich vielmehr um ein szenetypisches rechtes Verbrechen

Die schockierende Enthüllung ist – wie so oft bei rechtsextremen Exzessen in Deutschland – schon längst wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Die Mördertruppe des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) hat bei ihrer langjährigen Terrorkampagne nicht nur mindestens zehn Menschen umgebracht, sondern offensichtlich auch Kinder missbraucht und getötet.

Mitte Oktober erklärte Innenminister De Maizière, er sei „bestürzt“ über die Nachricht, der Rechtsterrorist Uwe Böhnhardt sei in einen 15 Jahre zurückliegenden Fall von Kindstötung verstrickt. Im vergangenen Juli wurde die Leiche des 2001 verschwundenen neunjährigen Mädchens Peggy entdeckt.

An einem Stofffetzen, der unter dem Leichnam des Mädchens gefunden wurde, konnte die DNA Böhnhardts nachgewiesen werden. Der Fundort der Leiche befindet sich nur rund eine Autostunde von dem damaligen Wohnort des Rechtsterroristen. Zudem sind auf dem PC von Beate Zschäpe bereits 2011 kinderpornografische Inhalte gefunden worden. Der Missbrauchsmord an dem Mädchen ereignete sich in der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten NSU-Mord, die beide in Nürnberg begangen worden sind. Dabei durchquerte Böhnhardt auf den Weg vom Aufenthaltsort zum Tatort die Heimatregion des Opfers. Ein geistig behinderter Hilfskellner, der 12 Jahre als potenzieller Mörder im Gefängnis verbrachte, wurde jüngst in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen.

Dabei war im gesamten Dunstkreis des Unterstützernetzwerkes des NSU Kindesmissbrauch weit verbreitet, wie die Neue Züricher Zeitung (NZZ) Mitte Oktober berichtete. Der Naziterrorist Böhnhardt bildet also keine Ausnahme. Laut Recherchen von Szenebeobachtern seien „Kindsmissbrauch und der Konsum von Kinderpornografie im Umfeld des NSU-Trios keine Seltenheit,“ so die NZZ.

Der bekannteste pädophile Neonazi ist Tino Brandt, der seit zwei Jahren eine Gefängnisstrafe absitzt. Das Vergehen Brandts: Missbrauch von Kindern in 66 Fällen, sowie die Förderung von Prostitution. Brandt war in den 90er Jahren die Führungsfigur des „Thüringer Heimatschutzes“, eben jenes Neonazinetzwerks, aus dem der NSU hervorging. Neben Brandt stehen drei weitere Rechtsextremisten aus dem Thüringer Heimatschutz in Verdacht, Kinder sexuell missbraucht zu haben.

Zugleich war Brandt als Führungsfigur des „Heimatschutzes“ ein wichtiger V-Mann des Verfassungsschutzes in Thüringen, der ihm rund 200.000 DM für seine Tätigkeit zukommen ließ. Das Staatsgeld legt der Neonazi gut an: Laut Aussagen der NSU-Terroristin Zschäpe war Brandt in den 90er Jahren der „Mittelpunkt aller Aktionen“ der rechtsextremen Szene in der Region. Der pädophile V-Mann und Naziführer soll damals immer wieder Straftaten begangen haben, wobei er nur wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde.

Die Vernichtung von Akten mit NSU-Bezug durch den Inlandsgeheimdienst nach dem Auffliegen der Terrortruppe – die selbstverständlich keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich zog – erscheint nun in einem anderen Licht. Die Frage ist durchaus gerechtfertigt, ob der Verfassungsschutz von den pädophilen Umtrieben seiner Schützlinge in der rechtsextremen Szene wusste – und sie gewähren ließ.

Weitere ungeklärte Missbrauchs- oder Todesfälle
Inzwischen werden auch weitere ungeklärte Missbrauchs- oder Todesfälle von Kindern mit den staatlich finanzierten rechten Terrornetzwerken in Verbindung gebracht. Die im Juli gefundene Leiche des 2001 ermordeten Mädchens wurde unweit einer Hütte gefunden, die ein Freund Böhnhardts für „Partys und Zusammenkünfte“ nutzte, wie die NZZ berichtet. Auch dieser alte Kumpel des NSU-Terroristen ist in den 90er Jahren „öfters wegen Missbrauchs an Kindern aufgefallen“.

Da diese Hütte zwischen Zwickau – dem einstigen Wohnort Böhnhardts – und dem Tatort in Nürnberg liegt, könne sich der Rechtsterrorist damals gemäß der Aktenlage dort aufgehalten haben. Die Schweizer Tageszeitung hält überdies eine – in deutschen Medien oft kolportierte – versehentliche „Verunreinigung“ der DNA-Proben für unwahrscheinlich, da die Leiche Böhnhardts „im November 2011 in Labors der Rechtsmedizin des Uniklinikums Jena untersucht“ wurde, „das Stück Stoff hingegen kürzlich in einem Labor in München“.

Auch im Fall eines 1993 missbrauchten und getöteten Jungen weisen die Spuren in das Umfeld Böhnhardts. Neben der Leiche des Neunjährigen wurde der Motor eines Bootes gefunden, das einem Freund des NSU-Terroristen gehörte. Dieses Boot soll auch von Böhnhardt selber immer wieder genutzt worden sein.

Neben Kinderpornos, mit „zum Teil perversen und brutalen Inhalt“ im Naziumfeld des NSU, fanden sich auch weitere Hinweise auf entsprechende Verbrechen bei dem rechtsextremen Terrornetzwerk: Auf Zschäpes Computer wurde nicht nur Kinderpornos sichergestellt, sie recherchierte das Thema auch ausgiebig im Internet. Zudem wurde die Terroristin oftmals mit unterschiedlichen kleinen Kindern gesehen, wie die Zeit meldete. In dem Wohnwagen der Rechtsextremen wurde überdies Spielzeug und Kinderkleidung gefunden.

„Häufung von Fällen rechtsextremer Gesinnung und pädophiler Neigung“
Die Neue Züricher Zeitung hält es für wahrscheinlich, dass die Nazis einen pädophilen Zuhälterring aufbauten, um sich durch die „Vermittlung von Frauen und Kindern an Freier“ zu finanzieren. Gelernt ist gelernt: Gerade Böhnhardt war bis 1998 „Mitglied in einer Bande, die unter anderem mit Prostitution Geld verdiente“. Die Übergänge zwischen kriminellen Racket, Pädophilenring und rechtsextremer Bande scheinen in diesem brauen Sumpf fließend zu sein.

Yavuz Narin, einer der Opferanwälte im NSU-Prozess, der das Thema eingehend recherchiert hat, bezeichnete gegenüber der Deutschen Welle (DW) die Häufung der Fälle von Kindesmissbrauch im rechten Milieu als „frappierend“: „Zahlreiche Personen aus dem Umfeld des NSU-Trios sind bereits in der Vergangenheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern oder der Verbreitung kinderpornographischen Materials in Erscheinung getreten. Wir haben dort einen Sumpf, der sich bis nach Bayern und Sachsen erstreckt.“

Er habe eine eindeutige „Häufung von Fällen rechtsextremer Gesinnung und pädophiler Neigung“ festgestellt, erklärte der Opferanwalt. Diese Erkenntnisse wurden von Opfergruppen pädophiler Gewalt bestätigt. Nachdem Narin seine Rechercheergebnisse publik gemacht habe, sei er von Betroffenen und Opfer-Verbänden kontaktiert worden: „Ich bekam mitgeteilt, dass sexueller Missbrauch von Kindern gerade in der rechten Szene sehr gängig sei und dass ich deshalb nicht überrascht sein sollte.“

Der Aufruf zur Gewalt gegen „Kinderschänder“, die offene Drohung mit Lynchjustiz gegenüber Pädophilen, gehört zum Standardrepertoire rechtsextremistischer Agitation. Doch zugleich sind auffällig viele Neonazis selber in pädophile Umtriebe verstrickt. Narin zählte in dem Interview eine Reihe von entsprechenden Vorfällen auf.

Die beste Freundin von Zschäpe ist während des Prozesses in Tränen ausgebrochen, als sie berichtete, wie ihre Tochter vom eigenen Vater sexuell missbraucht worden sei. Auch der Neonazi und Waffennarr Hans S. habe seine eigenen Kinder vergewaltigt. Bei einem anderen Zeugen aus der Szene, bei Henning H., seien „Zeichnungen von sexuell bedrängten und zerstückelten Kindern entdeckt worden“, so Narin.

Hang zum „Machtmissbrauch und Respektlosigkeit“
Auch rechte Funktionäre üben oftmals pädophile Gewalt aus. Dominique O. saß für die NPD fünf lange Jahre im Siegburger Kreistag. Nun sitzt er eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren wegen „sexuellen Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen“ ab. Der NPD-Kader Thorsten E. wurde zu einer Bewährungsstrafe wegen der „Verbreitung kinderpornografischen Materials“ verurteilt. 2013 wurde der Wahlkampfhelfer der NPD in Pirmasens zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt, nachdem er ein 13-jähriges Mädchen schwängerte. In Sachsen wiederum legte der NPD-Abgeordnete Matthias P. sein Amt nieder, nachdem gegen ihn in Zusammenhang mit einem Kinderpornoring Ermittlungen aufgenommen wurden.

Bislang gibt es keine verlässlichen wissenschaftlichen Studien, die den evidenten empirischen Zusammenhang zwischen pädophiler Gewalt und rechter Weltanschauung beleuchten würden. Eine Sprecherin eines Verbandes der Opfer von Pädophilen, der Zartbitter e.V., erklärte gegenüber DW, dass der unter Rechtsextremen verbreitete Hang zum „Machtmissbrauch und Respektlosigkeit“ dafür verantwortlich sein könnte. Der Kindesmissbrauch scheint hier somit ein perverser, sexualisierter Machtrausch zu sein, dem sich die rechten Möchtegern-Führer hingeben.

Sachsensumpf
Und auch bei der „gemäßigten“ Rechten der CDU, die nicht unbedingt gleich den Lynchmord an Pädophilen, sondern die „klare Kante gegen Kindesmissbrauch“ fordert finden sich ähnlich gelagerte Fälle. Während die Parteiführung der CDU immer wieder Strafverschärfungen gegen Pädophile fordert, häufen sich die Fälle von Pädophilie in den Reihen der konservativen Saubermänner.

Zuletzt musste sich ein CDU-Politiker Anfang 2016 wegen des sexuellen Missbrauchs einer 14-Jährigen verantworten. Mitte 2016 musste hingegen ein älterer Landtagsabgeordneter der stramm rechten CSU einräumen, Geschlechtsverkehr mit einer 15-Jährigen gehabt zu haben. Auch die konservative Parteiprominenz stolpert gerne über Sexaffären mit minderjährigen Mädchen. 2011 musste sogar der Chef der CDU Schleswig-Holsteins, Christian von Boetticher, wegen einer „Liebesbeziehung“ zu einer 16-Jährigen zurücktreten.

Vermittlung von minderjährigen Zwangsprostituierten
Es hieße, der rechten Propaganda auf den Leim zu gehen, wenn diese Rechtsverstöße von Konservativen, die Sex mit Teenagern hatten, mit den monströsen Sexualtötungen des NSU an Kindern auf eine Stufe gestellt würden.

Und dennoch herrschte gerade in Sachsen, dem Heimatland der neuesten deutschen Rechten, jahrelang ein mafiöser Filz zwischen konservativer Politik, Wirtschaft und Mafia, in dem Korruption, Vetternwirtschaft und eben Kindesmissbrauch gedeihen konnten. Für diese informellen Machtstrukturen etablierte sich der Begriff Sachsensumpf. Im Kern der langen Skandalreihe ging es um die Vermittlung von minderjährigen Zwangsprostituierten, die zwischen 13 und 16 Jahre alt waren, an Amtsträger aus Politik und Staat.

Letztendlich wurde Kinderprostitution – die Mädchen wurden durch Misshandlungen und Vergewaltigungen gefügig gemacht – als Mittel der Bestechung von Funktionsträgern eingesetzt. Dabei seien in Sachsens braunen Sumpf etwa „Staatsanwälte mit Sex“ bestochen wurden, um Korruption, Amtsmissbrauch und dubiose Immobiliengeschäfte zu fördern, behauptet der Sachbuchautor Jürgen Roth in einem Interview 2007.

Als dieser pädophile Sachsensumpf 2007 stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte, geriet auch der jüngst so „bestürzte“ Bundesinnenminister, Thomas de Maizière, damals kurzfristig unter Druck. Er soll während seiner Amtszeit als Innenminister in Dresden die Aufklärung dieses mafiösen pädophilen Filzes behindert haben, indem er den Landtag erst verspätet über die diesbezüglichen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes in Kenntnis setzte.

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