Aggressives Gebaren

Junge Welt, 12.09.2013
Deutsche Exportüberschüsse ruinieren Europa. Aller Wahlkampfpropaganda zum Trotz: Der Aufschwung in der Bundesrepublik »läßt auf sich warten«

Die Wirtschaftsfront hat schlechte Nachrichten für die Bundesregierung: Ausgerechnet in der heißen Wahlkampfphase scheint der deutschen Exportdampfwalze die Kraft auszugehen. Laut Angaben des statistischen Bundesamtes sanken die Ausfuhren der BRD im vergangenen Juli überraschend um 1,1 Prozent gegenüber dem Vormonat. In ihren Prognosen gingen Volkswirtschaftler eigentlich von einem Wachstum von 0,7 Prozent aus. Im Jahresvergleich stagnierte das Auslandsgeschäft jedoch: Der »erhoffte Aufwind für Deutschlands Exportwirtschaft« lasse weiter auf sich warten, kommentierte etwa das Handelsblatt. Bis zum Urnengang am 22. September wird uns dieses Mantra erhalten bleiben: Der Aufschwung befinde sich im Anmarsch, er lasse nur noch etwas »auf sich warten«.

Dabei verursacht die Krise der Schwellenländer erstmals deutliche Spuren in der bundesdeutschen Handelsstatistik. Der Export in die Wirtschaftsräume außerhalb der Euro-Zone, der zuvor die deutschen Ausfuhreinbrüche in Europa überkompensieren konnte, ging mit 1,0 Prozent besonders deutlich zurück. Diese Kontraktion fiel sogar noch stärker aus als in der rezessionsgeplagten und stagnierenden Euro-Zone. Hier schrumpften die deutschen Exporte um 0,7 Prozent. Damit holen die Bundesregierung die Folgen ihres drakonischen Spardiktats für die Länder der Währungsgemeinschaft kurz vor dem Wahlkampfendspurt wieder ein.

Die schwache Entwicklung der Ausfuhren im Juli vertieft somit die in diesem Jahr andauernde Tendenz zum Rückgang deutscher Exporte. In der ersten Hälfte von 2013 mußte die auf Ausfuhr orientierte Industrie einen Rückgang um 0,6 Prozent hinnehmen. Damals gelang es aber noch, den Einbruch in Grenzen zu halten, da die um 2,9 Prozent gesunkenen Ausfuhren in die Euro-Zone durch das Exportwachstum von einem Prozent in Drittländer gemildert wurden. Im Juli war dies nicht mehr der Fall.

Diese Schwäche schlug sich aufgrund der Exportfixierung der deutschen Wirtschaft in einem relativen deutlichen Minus der Industrieproduktion nieder. Laut Bundeswirtschaftsministerium ging die – so wörtlich – »Produktion im produzierenden Gewerbe« im Juli überraschend stark um 1,7 Prozent zurück. Selbst diese Zahl ist jedoch irreführend, da das von einer aufsteigenden Spekulationsblase angeheizte deutsche Baugewerbe immerhin noch ein Wachstum von 2,7 Prozent verzeichnen konnte. Die reine Industrieproduktion sank hingegen um 2,1 Prozent. Der Umsatz im verarbeitenden Gewerbe reduzierte sich im Juli um 0,9 Prozent, wobei hier ebenfalls die um 1,9 Prozent einbrechenden Auslandsumsätze maßgeblich verantwortlich sind.

Noch vor wenigen Wochen sahen viele Medien und Wirtschaftsinstitute die BRD vor einem Aufschwung: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt wuchs im zweiten Quartal 2013 um 0,7 Prozent, zuvor war es in sechs Quartalen in Folge geschrumpft. Doch der »Aufschwung läßt auf sich warten«, konstatierte auch Tagesschau online am 6. September. Bei einem Blick in die Auftragsbücher wird klar, daß er wohl noch sehr lange auf sich warten lassen wird: Saisonbereinigt sind die Bestellungen der deutschen Industrie um 2,7 Prozent zurückgegangen, wobei die aus dem Ausland gar um 4,5 Prozent schrumpften. Dies sei der stärkste Rückgang seit November 2011, bemerkte Tagesschau online.

Dennoch gibt es eine wirtschaftliche Kennziffer, die allen Krisen- und Stagnationstendenzen zum Trotz in diesem Jahr einen neuen Rekordwert erreichen könnte: Deutschland steuere auf den »größten Überschuß aller Zeiten« zu, dies wäre ein »riesiger Erfolg«, jubelte etwa Welt online am 5. September. Der deutsche »Rekordhandelsüberschuß« in diesem Jahr könnte das Leistungsbilanzplus Deutschlands über »die 200-Milliarden-Euro-Marke« hieven. Im ersten Halbjahr erreichte die BRD bereits einen Überschuß von 96 Milliarden Euro, was in etwa 7,2 Prozent des deutschen BIP entsprach. Dieser dramatische Wert war nur deswegen möglich, weil in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2013 die Einfuhren in die BRD mit einem Minus von 1,7 Prozent weitaus stärker schrumpften als die Exporte.

Deutschland befinde sich damit klar über der Warnschwelle der EU-Kommission, die einen Leistungsbilanzüberschuß ab sechs Prozent des BIP als stabilitätsgefährdend ansehe, bemerkte Welt online. Berlin drohe nun ein europäi­sches Mahnverfahren, da die BRD bereits 2012 den weltweit größten Handelsüberschuß erzielt habe. Im vergangenen Jahr war der so erzeugte konjunkturelle Außenbeitrag sogar entscheidend dafür, daß hierzulande eine Rezession umschifft werden konnte. Das Problem einer auf Außenhandelsgewinnen fußenden Wirtschaftsstruktur besteht aber darin, daß sie zur Ausbildung globaler Ungleichgewichte führt. Den deutschen Erlösen stehen die Defizite der Zielländer der Export­offensive gegenüber. Das Ausland mußte sich allein im ersten Halbjahr 2013 in Höhe von 96 Milliarden Euro verschulden. Deutschlands Konjunktur läuft somit ebenfalls auf Pump, nur wird diese Verschuldungsdynamik vermittels der Überschüsse exportiert.

Die beständig geäußerte Empörung über die ausartende Auslandsverschuldung stellt somit die größte Absurdität der deutschen Krisendebatte dar: Die bundesrepublikanische Öffentlichkeit kritisiert in aller Ahnungslosigkeit die wichtigste konjunkturelle Stütze des aggressiven deutschen »Geschäftsmodells«.

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