Junge Welt, 08.07.2013
Wenn Brüssel plant: Große Klappe, viel Geld, doch alles vergebens – das Konkurrenzprojekt zur Ârussischen Gaspipeline ist schmählich gescheitert
Der Name war Programm. Ähnlich den Israeliten in der Verdi-Oper »Nabucco«, die aus der babylonischen Gefangenschaft auszubrechen trachten, wollte die EU mit der gleichnamigen Pipeline aus der Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen fliehen. 150 Milliarden Kubikmeter des fossilen Brennstoffes strömen jährlich von Ost nach West, wo er dringend gebraucht wird. Der eine liefert, der andere zahlt. Diese Rolle ging einigen Großeuropäern gegen den Strich, die »eigene« Gasleitung sollte Abhilfe schaffen. Zugleich wollten sie dem Kreml verstärkt Konkurrenz in dessen eigenem Hinterhof machen. Es hat nicht geklappt.
Dabei waren es hehre Ziele, die von der EU verfolgt wurden: Rund 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas sollte das »europäische Projekt« (beteiligt waren aus Deutschland RWE sowie Konzerne der Türkei, aus Österreich, Ungarn, Bulgarien und Rumänien) jährlich Richtung Europa leiten. Nicht ganz klar war, woher der Brennstoff kommen sollte. Das Nabucco-Konsortium dachte an Gasquellen im kaspischen Raum und in Zentralasien. Im Gespräch waren unter anderem solche in Turkmenistan und vor allem Aserbaidschan, deren Ausbeute bislang über das russische Pipelinenetz gen Europa gepumpt wird. Das Erdgas sollte ursprünglichen Planungen zufolge über 3900 Kilometer via die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich ganz unter »europäischer« Aufsicht bewegt werden.
Moskau setzt sich durch
Rund 15 Milliarden Euro hätte das gigantische Projekt verschlungen. Dummerweise krankte es seit seiner Initiierung 2002 daran, daß es keine verbindlichen Lieferzusagen gab – weder aus dem postsowjetischen Raum noch aus dem Irak oder gar Ägypten, die zwischenzeitlich ebenfalls als Verkäufer in Erwägung gezogen wurden. Die Staatschefs Aserbaidschans und Turkmenistans nutzten derweil eifrig die aufkommende Konkurrenz zwischen Brüssel und Moskau, den Preis für ihre fossilen Brennstoffe in die Höhe zu treiben. Letztlich hatte sich beim energiepolitischen Pipelinepoker der vergangenen Jahre stets Moskau durchgesetzt – wenn auch gelegentlich andere Projekte zum Zuge kamen, die vom Kreml nicht als direkte Bedrohung seiner energiepolitischen Interessen wahrgenommen wurden und werden. Vielen rohstoffreichen zentralasiatischen Staaten dürften gute Beziehungen zum großen Nachbarn wichtiger gewesen sein als vage Lieferabkommen mit der weit entfernten EU.
Rußland hatte auf Nabucco mit der Ankündigung eines direkten Konkurrenzprojekts reagiert: die South-Stream-Pipeline. Sie soll eine jährliche Kapazität von 47 Milliarden Kubikmetern erreichen und auf dem Grund des Schwarzen Meeres verlaufend Südrußland mit Bulgarien verbinden, wird dann nach Griechenland, Italien und Österreich fortgeführt. Die Arbeiten an diesem russisch-italienischen Projekt wurden im Dezember 2012 begonnen.
Den entscheidenden Rückschlag hatte Nabucco bereits im Mai 2012 vermelden müssen, als die Planungen für die Pipeline drastisch zusammengestrichen wurden. Angesichts fehlender Lieferzusagen wollte man nur noch den innereuropäischen Teil des Systems bauen, während der Gastransport über die Türkei durch die türkisch-aserbaidschanische Transanatolische Pipeline realisiert werden sollte. Zudem wurde die Kapazität stark verringert: Nur noch zehn Milliarden Kubikmeter Gas sollte die abgespeckte »Nabucco-West-Pipeline« jährlich befördern.
Die Reduzierung war notwendig geworden, nachdem nur noch Aserbaidschans großes Gasfeld »Shah-Deniz-II« als Lieferquelle infrage kam. Ende Juni 2013 kam das endgültige Aus. Das Shah-Deniz-Konsortium erklärte, der Trans-Adriatic Pipeline (TAP) den Vorzug bei der Beförderung des aserbaidschanischen Erdgases gegenüber Nabucco geben zu wollen. Es seien rein wirtschaftliche, nicht politische Gründe, die für diese Entscheidung ausschlaggebend gewesen seien, erklärte der stellvertretende Präsident des staatlichen aserbaidschanischen Energiekonzerns Socar, Elshad Nassirow, gegenüber der österreichischen Zeitung Die Presse am Dienstag. TAP verläuft auf nur 900 Kilometern von der türkischen Grenze über Griechenland und Albanien bis nach Italien, während für Nabucco ein deutlich längeres Leitungssystem hätte gebaut werden müssen. Bei TAP sind der norwegische Konzern Statoil, der auch am Shah-Deniz-Konsortium beteiligt ist, sowie die schweizerische EGL engagiert. Der deutsche Energiemulit E.on hält einen kleinen Anteil von 15 Prozent.
Frühzeitig abgesetzt
Laut russischer Newssite Russia Today (RT) setzten schon vor dieser offiziellen Ankündigung erste Absetzbewegungen aus dem Nabucco-Konsortium ein: Im Mai verabschiedete sich mit RWE »einer der wichtigsten Ideologen und Investoren Nabuccos« (RT), nachdem die ungarische MOL ausgestiegen war. Der »Rückzug Aserbaidschans« bedeute wohl das endgültige Ende für das Projekt, erklärte ein russischer Energieexperte gegenüber der Website. Neben Italien, das schon vom South-Stream-Projekt profitiert, werde auch Griechenland zu den Gewinnern dieser Entscheidung gehörten, so RT weiter. Dem krisengeplagten Land stünden nun dringend benötigte Investitionen im Umfang von 1,5 Milliarden Euro in Aussicht. Beim PipeÂlinebau würden 2000 Arbeitsplätze entstehen, in Zulieferbetrieben weitere 10000 Jobs. Das alles zu einer Zeit »in der die Arbeitslosigkeit mehr als 27 Prozent beträgt«, hieß es bei Russia Today.
Zu den großen Verlierern im Nabucco-Umfeld gehört auch der ehemalige deutsche Außenminister JoÂseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen). Der geschäftstüchtige Selfmademan, der nach seiner Amtszeit als üppig entlohnter »Unternehmensberater« reüssierte, war von dem österreichischen Ölkonzern OMV als Nabucco-CheflobÂbyist angeheuert worden. Sollen sie jetzt in Wien darüber nachdenken, ob der einstige Turnschuhheld das Geld wert war.