„Junge Welt“, 24.02.2012
Rechtsextremistische Denunziationskampagne gegen Arbeitsmigranten aus Osteuropa in den Niederlanden
Hollands Rechtspopulisten können sich über wachsende Umfragewerte freuen. Die sogenannte »Freiheitspartei« (PVV) des bekennenden Islamhassers ÂGeert Wilders könnte laut einer vom Meinungsforschungsinstitut Maurice de Hond durchgeführten Umfrage, würde jetzt gewählt, 24 Abgeordnete ins 150 Sitze umfassende niederländische Parlament delegieren, während es in der Vorwoche nur 20 gewesen wären. Die Rechtsausleger der PVV hätten somit ihren Abwärtstrend gestoppt und würden auch weiterhin die drittgrößte Partei bilden, resümierte der niederländische Rundfunk.
Diese rasche Renaissance haben Hollands Rechtsextremisten einer berüchtigten Frage zu verdanken, die sie auf einer Website allen Niederländern stellen und die zu hemmungsloser Denunziation auffordert: »Haben Sie Ihren Job an einen Polen, Bulgaren, Rumänen oder einen anderen Zentral- oder Osteuropäer verloren?«Auf der Website können nicht nur »Arbeitsplatzklau« durch Osteuropäer gemeldet werden, sondern auch Kleinkriminalität, Trunkenheit oder schlichte Ruhestörung. Diese Aktion der PVV traf auf reges Interesse, das sich laut Rundfunkmeldungen »in mehr als 40000« Denunziationen seit dem Start der Website am 8. Februar äußerte. Wilders selber bezeichnete seine xenophobe Kampagne gegenüber dem Revolverblatt De Telegraaf als »vollen Erfolg«.
Kritik seitens des konservativen niederländischen Premiers Mark Rutte muß die PVV nicht fürchten, ist doch seine Minderheitsregierung auf die Tolerierung durch die Rechtspopulisten angewiesen. Bei entsprechenden Erhebungen gab nur die Hälfte der Befragten an, daß die Regierung sich von der Kampagne distanzieren solle. Rutte beharrt trotz wachsender Kritik auf seinem Standpunkt, wonach es nicht Sache des Ministerpräsidenten sei, »die Initiative einer politischen Partei zu kommentieren«. Er könne mit der PVV »prima zusammenarbeiten«, erklärte Rutte trotz der wachsenden Kritik etwa seitens des Europäischen Parlaments, das sich in einer Debatte am 13. März mit der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit in den Niederlanden beschäftigen will. Ruttes Regierungskoalition aus Christdemokraten und Rechtsliberalen hat längst damit begonnen, Teile der rechtspopulistischen Agenda Wilders’ zu übernehmen.
Die Denunziationskampagne der PVV löste breite Empörung in den osteuropäischen Mitgliedsländern der EU aus. In einem offenen Brief an die »niederländische Politik und Bevölkerung«, der auf den Titelseiten etlicher holländischer Zeitungen publiziert wurde, verurteilten die Botschafter von zehn osteuropäischen Staaten die Kampagne Wilders’ als »diskriminierend« und »herabwürdigend«. In den Medien Osteuropas wurde die »dramatische Veränderung« des politischen Klimas in den Niederlanden breit diskutiert, wo die populistische Suche nach »Sündenböcken« um sich greife, wie die slowakische Tageszeitung Prava schrieb. Die bulgarische Nachrichtenseite www.euinside.eu resümierte hingegen resignierend, die Kampagne der PVV lege den Schluß nahe, daß »fünfzig Jahre vereintes Europa … anscheinend umsonst gewesen« seien. In Polen wurden Rufe nach einem Boykott niederländischer Produkte und Unternehmen laut.
Die zunehmende Xenophobie im einstmals liberalen Holland hat indes auch wirtschaftliche Ursachen. Tagelöhner aus Osteuropa spielen als billige Arbeitskräfte vor allem im niederländischen Agrarsektor eine wichtige Rolle.doch Trotz einer relativ niedrigen Arbeitslosenrate von 4,9 Prozent derzeit wächst in den Niederlanden die Furcht vor dem Arbeitsplatzverlust. Das Land befindet sich in einer an Stärke gewinnenden Rezession. Im vierten Quartal 2011 schrumpfte die Wirtschaftsleistung um 0,7 Prozent, nachdem sie bereits zwischen Juli und September um 0,4 Prozent gesunken war.