»Einer muß gehen«

„Junge Welt“, 17.01.2012
In Rumänien eskalieren die Proteste gegen Kürzungsterror, Privatisierungen im Gesundheitswesen und den autoritären Staatschef Basescu

Die schwersten Ausschreitungen in Rumänien seit 20 Jahren haben in der Hauptstadt Bukarest eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Das sagte Oberbürgermeister Sorin Oprescu nach einem Bericht des Nachrichtenportals punkto.ro am Montag auf einer Pressekonferenz. Die Demonstranten hatten zunächst friedlich gegen die Kürzungspolitik des autoritär regierenden Staatschefs Traian Basescu protestiert. Die Ausschreitungen, bei denen es bereits Dutzende Verletzte und mehr als 40 Festnahmen gab, begannen am Samstag, nachdem Demonstranten die Polizeiketten vor dem Präsidentenpalast in Bukarest durchbrachen. Bei den anschließenden Kämpfen setzte die Polizei Tränengas ein, es flogen Steine und Brandbomben. Zuvor hatten Tausende Menschen Hauptverkehrsstraßen in Bukarest blockiert.

Seit dem vergangenen Donnerstag weitet sich in Rumänien eine Protestwelle aus, die durch Privatisierungsbestrebungen im Gesundheitswesen ausgelöst wurde. Landesweit gingen am Wochenende mehrere zehntausend Menschen in rund 20 rumänischen Städten auf die Straßen. Demonstrationen fanden unter anderem in Iasi, Timisoara und Craiova statt. Die Aktionen begannen in den transsilvanischen Ortschaften Cluj und Tirgu Mures, in denen der hochrangige Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums Read Arafat, studierte und lebte.

Der in Rumänien populäre Arafat hatte sich öffentlich gegen die von Basescu forcierte Privatisierung des rumänischen Rettungsdienstes ausgesprochen, der bislang einen der wenigen gut funktionierenden Teile des rumänischen Gesundheitswesens darstellt. Viele Rumänen befürchten, daß nach einer Privatisierung die Priorität der Notfallmaßnahmen vom Geldbeutel der Patienten abhängen könnte. Nach Arafats öffentlicher Kritik an der geplanten Privatisierung erklärte Basescu unumwunden, daß »einer gehen« müsse. Am nächsten Tag trat Arafat zurück. Die folgende und größtenteils über das Internet organisierte Protestbewegung gegen die Privatisierung, der sich schon mehr als 100000 Menschen über soziale Netzwerke anschlossen, wählte genau diesen Ausspruch Basescus zu ihrer zentralen Parole: »Einer muß gehen«. Die Demonstranten fordern den Rücktritt Basescus und Neuwahlen.

Die auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) eingeleitete »Reform« des Gesundheitswesens bildet dabei nur den konkreten Auslöser für die Protestwelle, die sich aus größtem Unmut über die verzweifelte wirtschaftliche und soziale Lage in dem Balkanland speist: »Wir können so nicht mehr weiterleben«, erklärte ein Demonstrant gegenüber einem Fernsehteam. »Wir haben kein Essen mehr, nichts, was wir auf den Tisch stellen könnten.« Die Demonstrationen richten sich somit gegen die gesamte Kürzungspolitik, die seit Krisenausbruch auf Weisung des IWF exekutiert wird. Das schwer von der Krise getroffene Rumänien mußte bereits 2009 einen Krisenkredit von 20 Milliarden Euro von IWF und EU annehmen, welcher an die üblichen drakonischen Sparmaßnahmen gekoppelt war. Die Regierung ließ etwa die Renten einfrieren, die Mehrwertsteuer um fünf Prozent anheben und die Löhne im öffentlichen Dienst um ein Viertel kürzen.

Einen ersten Erfolg konnten die Demonstranten bereits erringen. Am Freitag sprach sich Basescu für die Rücknahme der angekündigten Gesundheitsreform aus, die er selbst maßgeblich initiiert hatte, obwohl die Verfassung dem Staatschef dazu keinerlei Möglichkeiten bietet. Doch seit seinem Amtsantritt 2004 vermochte es der immer autoritärer auftretende Basescu, das rumänische Präsidentenamt zu einem informellen Machtzentrum aufzubauen. Der Präsident wechselt ohne Verfassungsgrundlage Minister nach seinem Gutdünken aus und bestimmt durch eine Reihe von »Experten« maßgeblich die Richtlinien der einzelnen Regierungsressorts. Da Basescu hierbei fügsam die Politikvorgaben des IWF und der EU erfüllt, hält sich der Westen mit Kritik an seinem Amtsstil zurück.

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