Va Banque (II)

german-foreign-policy.com, 06.01.2012
Trotz der umfassenden Vergabe billiger Milliardenkredite durch die Europäische Zentralbank (EZB) bleiben die verschuldeten Staaten Südeuropas in höchstem Maße von der Krise bedroht. Die Geldflutung ist offenbar als Ersatz für den Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB beschlossen worden, der ökonomisch so gut wie unvermeidlich ist, aber von Berlin kategorisch verhindert wurde. Sie verschafft Ländern wie Italien, Griechenland und Belgien etwas Linderung, senkt das bedrohlich hohe Zinsniveau von deren Staatsanleihen aber nur unzureichend ab: Die Zinssätze verbleiben etwa im Falle Italiens in als langfristig untragbar geltender Höhe. Der Staatsbankrott kann deshalb – auch wegen der deutschen Blockadepolitik in Sachen Anleihekäufe und Eurobonds – weiterhin nicht ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung hingegen hat durch ihr Vorgehen nicht nur die Formierung eines „deutschen Europa“ in Gang gesetzt. Deutschland profitiert auch weiterhin von der ökonomischen Spaltung des Kontintents, die den nördlichen Staaten extrem niedrige oder sogar negative Zinsen auf dem Anleihemarkt beschert.
0,0 Prozent Zinsen
Die Spaltung Europas ist auf dem Anleihemarkt bereits vollzogen. Während Länder wie die Niederlande oder Dänemark zuletzt ihre Staatsanleihen bei Auktionen mitunter zu Nullzinsen oder gar zu Negativzinsen losschlagen konnten, erwägt Italien inzwischen, Banken, die italienische Staatsanleihen verschmähen, offen unter Druck zu setzen. Die Niederlande konnten Anfang Dezember Bonds mit einer Laufzeit von drei Monaten im Wert von 2,99 Milliarden Euro zu einem Zinssatz von 0,0 Prozent versteigern, während das Zinsniveau bei einjährigen Staatsanleihen nur 0,05 Prozent erreichte. Kurz vor dem Jahreswechsel konnte Dänemark seine kurzfristigen Staatsanleihen sogar zu Negativzinsen von 0,21 und 0,07 Prozent auf den Finanzmärkten platzieren. Damit erhält das Land letztendlich Geld dafür, dass es sich verschuldet.
Fluchtbewegung
Diese absurde Konstellation auf dem Anleihemarkt resultiert aus der zunehmenden Unsicherheit auf den Finanzmärkten, deren Akteure aufgrund der Schuldenkrise bemüht sind, ihr Kapital verstärkt in „sicheren Häfen“ anzulegen – selbst wenn dies unter Bruch der Verwertungslogik geschieht. Für die Investoren sei es „die Hauptsache, dass sie den Großteil ihres Geldes zurückbekommen,“ kommentiert etwa der Wirtschaftssender n-tv die verlustbringende Fluchtbewegung.[1] Diese geht mit einem weiterhin hohen Zinsniveau bei den südlichen Eurostaaten einher. Italiens Finanzministerium will dieses nun sogar mit Sanktionen gegen die sogenannten Primärhändler verringern. Bei diesen handelt es sich um Banken, die bei Auktionen italienischer Staatsanleihen mitbieten dürfen. Sie sollen künftig dieses Privilegs verlustig gehen können, wenn sie nicht einen Teil der von Rom emittierten Bonds erwerben.[2] Damit reagiert Rom darauf, dass auch nach der Installierung der sogenannten Expertenregierung die Zinslast bei der Begebung von Staatsanleihen kaum gesunken ist und weiterhin auf einem langfristig kaum tragbaren Niveau verbleibt: Bei einer Auktion zehnjähriger Anleihen am 29. Dezember erreichte der Zinssatz (6,98 Prozent) beinahe wieder den Spitzenwert vom November (7,56 Prozent). Nur bei dreijährigen Staatspapieren sank die Zinslast von 7,89 auf immerhin 5,62 Zähler.[3] Eine ähnlich dürftige Absenkung der Zinslast verzeichneten in den vergangenen Tagen auch das hoch verschuldete Belgien [4] sowie das bankrottgefährdete Spanien [5].
Geldschwemme
Könnte man die – wenn auch dürftige – Zinssenkung im Süden als erstes Zeichen für eine Entspannung in der europäischen Schuldenkrise zu deuten versuchen, so ist die Ursache dafür tatsächlich in der Geldschwemme zu verorten, mit der die Europäische Zentralbank (EZB) Europas Bankensektor seit dem 21. Dezember versorgt.[6] Die Banken können bei der EZB, die die bisher größte Geldflutung des europäischen Finanzsektors vorgenommen hat, für die kommenden drei Jahre Kredite in unbegrenzter Höhe zu einem Zinssatz von einem Prozent aufnehmen. Angesichts dieser günstigen Konditionen griffen Europas Finanzhäuser gleich am ersten Tag tüchtig zu: Insgesamt 523 europäische Banken nahmen Kredite in Höhe von 489 Milliarden, nahezu eine halbe Billion Euro, bei der EZB auf.
Schrottpapiere als „Sicherheit“
Die Banken müssen für diese Kredite „Sicherheiten“ hinterlegen – und die EZB akzeptiert dabei ausgerechnet die Staatsanleihen der verschuldeten südlichen Euroländer, die die Bankbilanzen belasten und zur drohenden Kreditklemme des europäischen Finanzsektors beitragen. Hierdurch erschließt sich der Finanzwirtschaft ein neues Geschäftsfeld: Die Banken leihen sich billiges Geld bei der EZB, hinterlassen Staatsanleihen bankrottbedrohter Staaten als „Sicherheit“ und kaufen weitere Staatsanleihen, um die Zinsdifferenz zwischen der Staatsanleihe und dem EZB-Kredit als Profit zu kassieren. „Das Konzept im Hintergrund: Die EZB gibt Kredite, die Banken kaufen die Schrottpapiere und verkaufen sie anschließend zu besseren Zinsen auf dem Zweitmarkt wieder an die EZB“, heißt es in der Wirtschaftspresse. „Der Vorteil für die europäischen Regierungen: Die Schuldenkrise verliert an Explosivkraft. Wenn die Staaten durch die gezielten Aktionen der EZB wieder in der Lage sind, sich nach und nach zu refinanzieren, fällt es leichter, die Sparmaßnahmen durchzusetzen.“[7]
Alternativlos
Allerdings vollzieht die EZB mit ihrer Maßnahme faktisch genau die inflationäre „Gelddruckerei“, die unbedingt verhindern zu wollen Berlin monatelang vorgab. Einziger Unterschied: Anstatt die Staatsanleihen direkt von der EZB aufkaufen zu lassen, wird der „Umweg“ über den Finanzsektor genommen. Monatelang hatte sich die deutsche Regierung gegen die überwiegende Mehrheit der EU-Länder gestellt, indem sie den Aufkauf von Staatsanleihen verschuldeter Eurostaaten durch die EZB blockierte; sie trug damit maßgeblich zur Eskalation der europäischen Schuldenkrise bei. Dabei gab es nach Überzeugung der allermeisten europäischen Regierungen gar keine andere Wahl als die „Inflationierung“ der Schuldenkrise durch die Zentralbank, wie sie etwa von den USA und von Großbritannien längst betrieben wird: Ohne sie sind Staatsbankrotte einschließlich katastrophischer Wirtschaftseinbrüche kaum zu verhindern.
Die große Kanone
Dass aus Berlin keinerlei Widerspruch gegen das zuvor stets dezidiert abgelehnte Vorgehen kam, lässt vermuten, dass es auf dem letzten Eurogipfel am 8./9. Dezember hinter verschlossenen Türen festgelegt wurde. Auf dem Brüsseler Gipfel hatte die Bundesregierung sich mit nahezu all ihren Forderungen durchgesetzt; die Festlegung verbindlicher Sparvorgaben für alle Eurozonenländer und die Aushöhlung staatlicher Souveränität waren als Schritte zur Formung eines „deutschen Europa“ gewertet worden. Nur zwei Tage nach dem Treffen, am 11. Dezember, erklärte der französische Notenbank-Präsident Christian Noyer, man habe „im Direktorium der EZB gestern entschieden“, „die große Kanone (Bazooka)“ zu benutzen. „Damit können die Banken weiter ihren Geschäften nachgehen, können weiter der Wirtschaft Kredite geben – und können weiter Staatsanleihen kaufen“, sagte Noyer: „Dies ist die Aufgabe von Versicherungen, Banken und Finanzinvestoren. Wir werden ihnen alle Liquidität geben, die sie brauchen, um das tun zu können.“[8]
Deutsch oder gar nicht
Die Ereignisabfolge lässt den Umfang des Va Banque-Spiels deutlich erkennen, das Berlin veranstaltete, um seine Dominanz in den EU-Verträgen zu institutionalisieren. Berlin war gewillt, die unumgängliche Inflationierung der Schuldenkrise hinauszuzögern und schwerste ökonomische Verwerfungen in Kauf zu nehmen, solange die Umformierung der EU gemäß deutschen Interessen nicht realisiert wurde. Berlin war sogar bereit, den Zusammenbruch der Eurozone hinzunehmen, wenn diese sich nicht den deutschen Interessen unterworfen hätte. Die Geldschleusen der EZB wurden erst geöffnet, nachdem Europa „deutsch“ geworden war.
Sonderprofit
Auch der ungewöhnliche Umweg über den Finanzmarkt, mit dem die Inflationierung der Schuldenkrise nun betrieben wird, wurde ebenfalls aus Rücksicht auf deutsche Befindlichkeiten eingeschlagen. Berlin hat sich vehement gegen EZB-Aufkäufe von Staatsanleihen gestemmt; da dieser jetzt zwar faktisch, aber nicht formal vollzogen wird, verliert die deutsche Kanzlerin nicht ihr Gesicht. Dabei hat die EZB-Geldschwemme in der Tat Nachteile gegenüber dem üblichen Vorgehen – für die südlichen Eurostaaten, deren Zinsen sie nicht mit der erforderlichen Wirksamkeit senkt, da sich die Finanzmarktakteure weiterhin vor allem um „sichere Häfen“ bemühen. Aus demselben Grund jedoch bleiben die Zinsen in den Staaten des nördlichen Teils Europas niedrig – wovon wiederum Deutschland als größte Volkswirtschaft der Region besonders profitiert.

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