Gyurcsány in den Schuldenturm?

„Junge Welt“, 04.08.2011
Ungarns Rechtsregierung will Staatsverschuldung rückwirkend zu einem Straftatbestand erklären

Ungarns reaktionäre Regierungskoalition um Ministerpräsident Viktor Orbán forciert mit Brachialgewalt die Abrechnung mit ihren liberalen und sozialistischen Vorgängerregierungen. Auf Betreiben des Regierungschefs soll nun der Parlamentsausschuß für Verfassungsfragen juristische Möglichkeiten sondieren, drei ehemalige Ministerpräsidenten wegen der Aufnahme von Staatsschulden rechtlich zu belangen. Die rechten Regierungsparteien Fidesz und Christdemokraten (­KDNP) verfügen über eine Zweidrittelmehrheit im ungarischen Parlament, die ihnen eine weitgehende legislative Handlungsfreiheit verschafft.

Die hohe Staatsverschuldung, unter der Ungarn nun zu leiden habe, komme einem »politischen Verbrechen« gleich, tönte Orbáns Sprecher Péter Szijjártó bei der Ankündigung dieses jüngsten Rachefeldzuges der ungarischen Rechten gegen die neoliberal gewendeten Sozialisten (MSZP). Sollte keine rechtliche Handhabe gegen die ehemaligen Spitzenpolitiker der MSZP existieren, werde der Gesetzgeber »adäquate Maßnahmen ergreifen« und notfalls entsprechende Gesetzesänderungen vornehmen, erklärte Szijjártó.

Konkret will die Fidesz mit den sozialistischen Ministerpräsidenten Peter Medgyessy (2002 – 2004) und Ferenc Gyurcsány (2004 – 2009), sowie dem parteilosen Regierungschefs Gordon Bajnai (2009 – 2010) abrechnen, der die letzte sozialdemokratische Regierung bis zu ihrer vernichtenden Wahlniederlage leitete. In der Amtszeit dieser drei Premiers stieg Ungarns Staatsschuld von 53 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 82 Prozent. Orbáns Fidesz wirft den Sozialdemokraten nun vor, den Sozialkahlschlag nicht rücksichtslos genug durchgesetzt zu haben, den die MSZP auf Geheiß Brüssels während ihrer zweiten Amtsperiode exekutierte. Um die Stabilitätskriterien des Euro-Paktes zu erfüllen, ließ vor allem Orbans Amtsvorgänger Gyurcsány auf Druck der EU etliche Kürzungsvorhaben auf den parlamentarischen Weg bringen. Damals lehnte die heute so sparwütige Fidesz unter Rückgriff auf Phrasen rechtspopulistischer sozialer Demagogie diese sozialdemokratischen Programme – wie etwa die Gesundheitsreform – ab.

Parallel zu den intensivierten Angriffen auf die politische Konkurrenz bringt Fidesz derzeit auch die Medien des Landes auf Linie. Mitte Juli wurden 550 Journalisten bei den staatlichen Fernsehsendern MTV und Duna TV, wie auch bei der Nachrichtenagentur MTI entlassen. Im kommenden Herbst sollen nochmals 400 Journalisten gehen. Obwohl Orbáns Regierung diese Massenentlassungen mit der Durchführung notwendiger Strukturreformen und den öffentlichen Sparzwängen begründete, übte die Opposition scharfe Kritik an diesem Coup, da hierbei überdurchschnittlich viele kritische Medienschaffende ihre Anstellung verloren hätten. Dies sei eine »politische Säuberung« gewesen, erklärte der sozialistische Politiker László Mandúr. Der linksliberale Publizist Endre Aczél warnte, daß diese Entlassungswelle »nicht wirtschaftlich, sondern politisch motiviert« gewesen sei. Zudem ließ die Fidesz alle öffentlichen Medien unter die Kontrolle einer zentralen Nachrichtenredaktion stellen, zu deren politischem Chefredakteur Daniel Papp ernannt wurde. Der 32jährige war bis 2004 medienpolitischer Sprecher der faschistischen Partei Jobbik und sammelte sammelte später erste Erfahrungen im Mediengeschäft im rechtsextremistischen Fernsehsender Echo TV.

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