„Junge Welt“, 25.07.2011
Portugals Regierung setzt den von EU und Währungsfonds diktierten sozialen Kahlschlag um. Das Land rutscht damit offenbar in wirtschaftliche Depression
Portugals Ministerpräsident Pedro Passos Coelho zeigte sich am vergangenen Donnerstag erfreut über die Lockerung der Kreditmodalitäten, die beim Euro-Krisengipfel beschlossen wurde und auch dem Armenhaus der Euro-Zone zugute kommen wird. »Wir verlassen heute Brüssel viel ruhiger, mit einer viel stärkeren Verpflichtung als vor Beginn« der Verhandlungen, erklärte Coelho, nachdem sich die Gipfelteilnehmer auf längere Tilgungsfristen und eine Absenkung des Zinssatzes von 4,5 Prozent auf 3,5 Prozent für alle bankrottgefährdeten Staaten der Euro-Zone einigen konnten. Neben Griechenland und Irland mußte auch Portugal im vergangenen Mai vor einer drohenden Staatspleite mit Notkrediten bewahrt werden, die sich auf 78 Milliarden Euro summierten.
Zugleich versprach der konservative Regierungschef weitere Anstrengungen bei der Haushaltssanierung in Lissabon, um durch die Beschleunigung der beschlossenen Austeritätsmaßnahmen 2013 die staatliche Defizitfinanzierung wieder über die Finanzmärkte abwickeln zu können: »Wir werden nicht ruhen, ehe wir nicht dem in uns gesetzten Vertrauen gerecht werden können«, versicherte Coelho. Die knallharten »Sparprogramme« und Steuererhöhungen, die Lissabon im Gegenzug für die Krisenkredite umsetzen muß, wurden auf Druck von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Gesetzesform gegossen. Hierdurch soll das portugiesische Haushaltsdefizit von 9,1 Prozent auf weniger als drei Prozent im Jahr 2013 gedrückt werden. Um diese Vorgaben zu verwirklichen, muß Lissabon seinen Etat um rund zehn Milliarden Euro kürzen.
Öffentlicher Dienst
Das im Juni ins Amt gewählte konservative Kabinett Coelho geht kompromißlos an den sozialen Kahlschlag, an dessen Durchsetzung die sozialdemokratische Vorgängerregierung gescheitert ist. Deren Premier José Sócrates war im März zurückgetreten, nachdem das Parlament seiner Minderheitsregierung die Zustimmung zu ihrem vierten Kürzungspaket in Folge versagte. Die Austeritätmaßnahmen der Sozialdemokraten – die unter anderem die Mehrwertsteuer erhöhten – konnten die Haushaltsdefizite nicht substantiell absenken. Stattdessen lösten sie Ende 2010 eine breite Protestbewegung aus, die im Generalstreik vom 24. November kulminierte und zur Delegitimierung der sozialdemokratischen Regierung beitrug.
Das vierte Austeritätsprogramm seit Krisenausbruch setzen nun Portugals Konservative um. Auch in diesem Euro-Land wird der öffentliche Dienst besonders schwer von dem Kahlschlag getroffen, der zur »Einsparung« von circa 1,5 Milliarden Euro auf allen Verwaltungsebenen führen soll. Das portugiesische Bildungswesen soll mit Kürzungen von 370 Millionen Euro belastet werden, dem Gesundheitssystem werden sogar 925 Millionen Euro entzogen. Selbstverständlich wurden auch die Gehälter im öffentlichen Dienst bis 2013 eingefroren, während zusätzlich Sondersteuern auf höhere Beamtenpensionen erhoben werden. Schließlich verlangt die Regierung Coelho ein »Sonderopfer« von allen Portugiesen, da in diesem Jahr der Staat die Hälfte des Weihnachtsgeldes aller Lohnabhängigen einfach einbehalten wird, die noch nicht den portugiesischen Mindestlohn in Höhe von gerade mal 485 Euro beziehen. An die 800 Milliarden Euro will Coelho so einnehmen. Flankiert werden diese Maßnahmen von einem Privatisierungsprogramm, das an die 5,5 Milliarden Euro in die Staatskasse spülen soll.
Wie Griechenland
Diese Kette von Kürzungsmaßnahmen hat bereits Wirkung gezeigt und Portugal – ähnlich wie Griechenland – in eine Rezession getrieben, die in diesem Jahr Prognosen der portugiesischen Zentralbank zufolge zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von zwei Prozent führen soll. Die sogenannte Kontraktion der portugiesischen Wirtschaft wird sich demnach auch im Jahr 2012 fortsetzen und voraussichtlich ein weiteres Minus von 1,8 Prozent beim BIP erreichen. Dabei sind die Parallelen zu der Depression in Griechenland auch bei der zentralen Triebfeder der portugiesischen Rezession gegeben: Die Binnennachfrage wird aufgrund der Streichmaßnahmen in diesem Jahr um 5,6 Prozent sinken, 2012 um 4,4 Prozent. Freilich ist der Abwärtssog bei dem Wirtschaftseinbruch in Portugal noch bei weitem nicht so stark ausgeprägt wie im kollabierenden Griechenland: Die unterschiedliche Intensität dieser Krisendynamik läßt sich sehr gut an den Einzelhandelsumsätzen ablesen, die in Portugal um 12,9 Prozent gegenüber dem Vorkrisenhoch nachgaben und in Griechenland um drastische 27,7 Prozent nach unten rutschen.
Obwohl die Lage in Lissabon längst nicht so dramatisch wie in Athen ist, deuten sich doch auch hier die ersten Anzeichen einer sich selbst verstärkenden ökonomischen Abwärtsspirale an, die für eine durch exzessive Kürzungsmaßnahmen initiierte Depression charakteristisch sind: Die geplante Konfiszierung der Hälfte des Weihnachtsgeldes wurde erst nachträglich Mitte Juli beschlossen, nachdem die Regierung Coelho sich mit einem weiteren »Haushaltsloch« im Umfang von rund zwei Milliarden Euro konfrontiert sah. Somit ist die Realisierung der »Sparvorgaben« der EU und des IWF, die eine Reduzierung des portugiesischen Haushaltsdefizits auf 5,9 Prozent bis Jahresende diktieren, in Gefahr.