Teilsieg für Deutsch-Europa

german-foreign-policy.com , 15.03.2011

Mit einem Teilsieg geht Berlin aus den jüngsten Verhandlungen um die Reform der Eurozone und die künftige EU-Wirtschaftspolitik. In zentralen Grundsatzfragen ist es der Bundesregierung auf dem informellen EU-Gipfel Ende vergangener Woche gelungen, ihren Kurs durchzusetzen; so wurde im Rahmen des „Pakts für Wettbewerbsfähigkeit“ die aggressive deutsche Wirtschaftspraxis im Grundsatz akzeptiert, die eine einseitige, aber für die globale Machtpolitik förderliche Exportorientierung mit harten Sparmaßnahmen bei den Löhnen und im sozialen Bereich erkauft. Die durch deutsche Exportoffensiven verursachten Handelsungleichgewichte in Europa, die vor allem die südlichen Euroländer in die Krise stürzten, finden kaum noch Beachtung. Den Weg in ein Europa nach deutschem Wirtschaftsmodell erkaufte die Bundeskanzlerin Ende vergangener Woche mit Zugeständnissen etwa in der Frage des Kaufs von Staatsanleihen, die unter den Berliner Monetaristen auf heftigen Protest stoßen. Weil es Angela Merkel nicht gelungen ist, die deutschen Forderungen ohne jeden Abstrich durchzusetzen, werfen Leitmedien ihr eine „heimliche Kapitulation“ vor. Bundestagsabgeordnete drohen, den ihren Vorstellungen zuwiderlaufenden Verhandlungsergebnissen im Parlament die Zustimmung zu versagen.

„Eine heimliche Kapitulation“

Vor allem konservative deutsche Massenmedien und Hardliner aus der Regierungskoalition übten in den vergangenen Tagen harsche Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel; sie warfen ihr eine unzureichende Durchsetzung deutscher Interessen beim informellen EU-Gipfel vom vergangenen Freitag vor. Die Bundesregierung habe eine „rote Linie überschritten, die die Regierungsfraktionen ihr klar benannt hatten“, erklärte etwa der europapolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Thomas Silberhorn: Schließlich werde dem jetzt dauerhaft etablierten Euro-Rettungsschirm EFSF die Möglichkeit eingeräumt, Staatsschulden von Euro-Ländern aufzukaufen.[1] Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU Michael Meister bezeichnete den in Brüssel erreichten Kompromiss als „sehr nahe an der Grenze zur Transferunion“.[2] Der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schaeffler drohte mit einer Ablehnung im Parlament: „Das Ergebnis widerspricht der Beschlusslage der FDP-Bundestagsfraktion, eine Mehrheit im Deutschen Bundestag ist daher nicht gesichert.“[3] Die Tageszeitung Die Welt titelte gar, Merkel habe in Brüssel eine „heimliche Kapitulation“ vollzogen.[4]

Sparprogramme

Während des Treffens der europäischen Staats- und Regierungschefs am vergangenen Freitag sollten die Grundzüge der Reform der Eurozone wie auch einer künftigen europäischen Wirtschaftspolitik formuliert werden. Das gesamte Reformpaket soll schließlich in aller Form auf einem Europa-Gipfel am 24. und 25. März verabschiedet werden. Deutschland ist hierbei um eine Minimierung seiner finanziellen Verpflichtungen bemüht. Während die deutsche Exportindustrie dank massiver Sparprogramme im sozialen Bereich und breiter Reallohnsenkung vor Beginn der Krise jährliche Exportüberschüsse von bis zu 100 Milliarden Euro gegenüber den anderen Ländern der Eurozone erwirtschaften konnte, mehren sich in der deutschen Öffentlichkeit seit geraumer Zeit Stimmen, die vor einer „Transferunion“ zugunsten derjenigen Länder warnen, die auf die deutsche Exportoffensive mit einer starken Verschuldung reagierten – und nun am Rande der Staatspleite stehen.[5] Zur Vermeidung finanzieller Transfers dringt Berlin besonders auf einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“.

Zuckerbrot und Peitsche

In dessen Rahmen fordert Berlin von den verschuldeten Staaten vor allem die Durchsetzung einer knallharten Sparpolitik, die absehbar zu einer Verstärkung der Rezession in den betroffenen Ländern führt. Diese harte Line wurde gegenüber Griechenland, Portugal und Irland bereits vor dem vergangenen Gipfel bekräftigt. So kündigte Portugal weitere „Einsparungen“ und „Strukturreformen“ an, mit denen das Haushaltsdefizit des vom Bankrott bedrohten Landes bis 2013 unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gedrückt werden soll. Harte Auseinandersetzungen gab es hingegen zwischen Paris und Berlin einerseits und dem neu gewählten irischen Ministerpräsidenten Enda Kenny andrerseits. Irland forderte eine Reduzierung der Zinslast für die EU-Kredite, die es unlängst vor dem Staatsbankrott bewahrten. Dieses Anliegen wurde vor allem auf Betreiben des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy abgelehnt, da Kenny sich weiterhin weigert, die Unternehmensbesteuerung in Irland gemäß deutsch-französischen Forderungen anzuheben. Irland solle nun „zwei Wochen Zeit gegeben werden, eine Gegenleistung für EU-Hilfen anzubieten“, meldet die Wirtschaftspresse.[6] Bei Wohlverhalten sind die in der EU dominierenden Mächte bereit, in Ergänzung zur „Peitsche“ auch etwas „Zuckerbrot“ zu verteilen: Nachdem Griechenland einen Ausverkauf seines öffentlichen Eigentums vermittelst eines Privatisierungsprogramms in Höhe von 50 Milliarden Euro beschlossen hat, bewilligte der Brüsseler Gipfel eine Absenkung der Zinsen der griechischen EU-Kredite um einen (!) Prozentpunkt auf „deutlich unter fünf Prozent“. Davon, dass Brüssel von der harten Haltung Berlins ernsthaft abgewichen sei, kann keine Rede sein.

Niedriglohnpolitik

Bei der Ausgestaltung der Reform der Eurozone konnte Deutschland hingegen seine Forderungen tatsächlich nicht in vollem Umfang durchsetzen. Das umfassende Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der Eurozone, auf das sich die europäischen Staats- und Regierungschefs am vergangenen Freitag einigten, sieht die Einführung des von Berlin angeregten „Pakts für Wettbewerbsfähigkeit“, die Modifizierung des derzeit gültigen Euro-Rettungsschirms EFSF sowie die für 2013 anvisierte Einführung des dauerhaften Krisenreaktionsmechanismus ESM vor. Der „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“, mit dem Berlin der gesamten EU eine auf Sozial- und Lohnabbau fixierte Wirtschaftspolitik vorschreiben wollte [7], erhielt allerdings nur unverbindlichen Charakter. Bei einer Missachtung der im Pakt festgeschriebenen politischen Richtlinien, die sich klar an der deutschen Wirtschaftspolitik orientieren, drohen den betreffenden Staaten keine förmlichen Sanktionen. Dennoch verlangen die nun beschlossenen Richtlinien etwa „Zurückhaltung bei Lohnabschlüssen im öffentlichen Bereich“ oder „Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen“.[8] Künftig soll in der gesamten Eurozone die Entwicklung der Lohnstückkosten überwacht und mit anderen Euro-Ländern und wichtigen Handelspartnern verglichen werden.

EFSF und ESM

Bei der Modifizierung des Euro-Rettungsschirmes EFSF (European Financial Stability Facility) konnte sich Berlin teilweise durchsetzen; es verhinderte eine Ausweitung des Gesamtvolumens, das Kreditgarantien in Höhe von 440 Milliarden Euro bereitstellt. Bislang konnten beim EFSF aber in der Praxis nur 250 Milliarden Euro an Notfallkrediten mobilisiert werden, da die restlichen Mittel als Sicherheitsleistungen in Reserve gehalten wurden, um optimale Bewertungen von den Ratingagenturen zu erhalten. Der nun ausgehandelte Kompromiss sieht die Liquidierung dieses finanziellen Sicherheitspolsters vor: Im Falle weiterer drohender Staatsbankrotts können die 440 Milliarden Euro nun in vollem Umfang mobilisiert werden. Der für 2013 geplante dauerhafte Krisenmechanismus ESM (European Stability Mechanism) wird hingegen 500 Milliarden Euro umfassen. Entgegen den Forderungen Berlins werden sowohl EFSF wie auch ESM befugt sein, Anleihen von Euro-Staaten aufzukaufen, die von einem Staatsbankrott bedroht sind. Diese Bonds dürfen aber nur von den betroffenen Staaten und nicht von Marktakteuren erworben werden.

„Gelddruckerei“

Diese Maßnahmen, die in den USA und in Großbritannien schon längst in großem Maßstab durchgeführt werden, stoßen bei den Monetaristen in Berlin auf vehementen Widerstand, weil sie die Geldmenge erhöhen und de facto als „Gelddruckerei“ wirken. Bislang hat die europäische Zentralbank EZB diese Anleiheaufkäufe nur in bescheidenem Ausmaß praktiziert und Staatsbonds im Wert von gerade einmal 77 Milliarden Euro aufgekauft. Allein die Londoner Zentralbank hat in der Vergangenheit britische Staatsanleihen im Wert von 200 Milliarden Pfund erworben. Vor allem diese Maßnahmen riefen den entschiedenen Widerspruch in der Regierungskoalition und in konservativen deutschen Leitmedien hervor. Sie bedürfen der Zustimmung des Bundestags, dessen Zustimmung angesichts der breiten Widerstände auch im Berliner Establishment nicht als sicher vorausgesetzt werden kann.

Die künftige Richtung

Insgesamt konnte Berlin den Krisenmaßnahmen durchaus seinen Stempel aufdrücken: Im Rahmen des „Pakts für Wettbewerbsfähigkeit“ wurde europaweit die aggressive deutsche Wirtschaftslogik akzeptiert, die auf eine einseitige Exportfixierung ausgerichtet ist, während die durch deutsche Exportoffensiven europaweit hervorgerufenen Handelsungleichgewichte, die einige südliche Euroländer in die Krise stürzten, kaum noch Beachtung finden. Der Weg in ein Europa nach deutschem Wirtschaftsmodell steht offen, zumal die noch nicht verbindlichen Richtlinien des „Pakts für Wettbewerbsfähigkeit“ bei der nächsten Schulden- oder Finanzkrise sehr schnell in verbindliche Vorgaben umgemünzt werden können. In welche Richtung sich die Eurozone zukünftig entwickeln kann, machte der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) deutlich: Europa benötige „einen sehr viel schärferen Stabilitäts- und Wachstumspakt mit Sanktionen“.[9] Berlin bleibt am Ball.

[1], [2], [3] Merkel muss Kritik einstecken; www.n-tv.de 13.03.2011

[4] Merkels heimliche Euro-Kapitulation; www.welt.de 13.03.2011

[5] s. dazu Die deutsche Transferunion

[6] Reiche Euro-Länder beglücken Staatspleitekandidaten; www.ftd.de 12.03.2011

[7] s. dazu Die Germanisierung Europas

[8] Euro-Gipfel: Pakt für Wettbewerbsfähigkeit steht; www.wirtschaftsblatt.at 11.03.2011

[9] Lammert attackiert Merkels Euro-Kurs; www.spiegel.de 11.03.2011

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