„Junge Welt“, 09.04.2010
Sibiriens Rohstoffe im Sog des Pekinger Wachstumsrausches: Trotz mancher Bedenken im Kreml wird Zusammenarbeit intensiviert
Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Rußlands Fernem Osten und der Volksrepublik China schreitet rasch voran. Am 20. März vereinbarten Ministerpräsident Wladimir Putin und Vizepräsident Xi Junping in Wladiwostok bilaterale Wirtschafts- und Handelsabkommen im Umfang von 1,6 Milliarden US-Dollar. Ein Schwerpunkt sei dabei die »Entwicklung der EnergiekooperaÂtion der benachbarten Grenzregionen«, wie der Direktor der Nationalen Energieadministration Chinas, Zhang Guobao, gegenüber der Nachrichtenagentur Xinhua erklärte.
Peking und Moskau konnten sich nach der Beilegung alter Grenzkonflikte bereits im vergangenen Jahr auf eine umfassende bilaterale Entwicklungsstrategie für die russische und chinesische Grenzregion im Fernen Osten einigen. Bis 2018 sollen dabei an die 205 Wirtschaftsprojekte realisiert werden. Die boomende Volksrepublik hat dabei die Bodenschätze Sibiriens im Blick. Schon im kommenden Jahr soll eines der wichtigsten bilateralen Vorhaben in der Region, der Bau einer Ölpipeline bis ins nordchinesische Daqing, abgeschlossen sein. Etwa 15 Millionen Tonnen Rohöl soll die Pipeline bis 2030 von der russischen Grenzstadt Skoworodino auf über 1000 Kilometern Strecke befördern. Die Ausweitung der russischen Energieexporte nach China illustriert auch der Rohöltransport per Bahn. 572000 Tonnen waren es 1999, im vergangenen Jahr erreichte die Liefermenge 15 Millionen Tonnen. Peking investiert auch in die Förderung von Eisenerz in Sibirien, nicht zuletzt um Alternativen zum Quasi-Kartell der drei führenden Lieferanten, Konzerne aus aus Australien und Brasilien, zu haben. Am 23. März vereinbarte die Minengesellschaft Petropawlowsk mit chinesischen Partnern ein Finanzierungsabkommen im Umfang von 400 Millionen US-Dollar, das auf die Erschließung neuer Eisenerzlagerstätten abzielt.
Dennoch wird die einseitige Festlegung Ostsibiriens als Zulieferer für das im Wahnsinnstempo wachsende Nachbarland vom Kreml mit Argwohn betrachtet. So erklärte Präsident Dmitri Medwedew bereits in September 2008 auf Kamtschatka: »Wenn wir nicht das Niveau unserer Aktivitäten erhöhen, dann können wir …(wortwörtlich: nach finaler Analyse)… alles verlieren«, da die Region dann nur noch als Rohstoffquelle für asiatische Staaten diene. Im russischen Fernen Osten leben 6,7 Millionen Menschen, die eher »bevölkerungsschwachen« Grenzprovinzen auf chinesischer Seite südlich des Grenzstromes Amur beherbergen immerhin 100 Millionen Einwohner.
Die Vorteile der Kooperation mit China sind für Moskau dennoch enorm. Umgerechnet 58,8 Milliarden US-Dollar wurden beim gegenseitigen Warenaustausch 2008 umgesetzt und das Reich der Mitte wurde größter Handelspartner Rußlands. Die Weltwirtschaftskrise ließ das Geschäftsvolumen 2009 zwar um rund ein Drittel schrumpfen, doch schon in den ersten zwei Monaten dieses Jahres stiegen Handelsumsätze um nahezu 70 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Auch regional wirkt das im Kontext der fernöstlichen Kooperationsverträge initiierte wirtschaftliche Engagement Chinas belebend auf Ostsibirien, wie Xinhua am Beispiel der Stadt Ussurijsk verdeutlichte. Umgerechnet etwa 43 Millionen US-Dollar seien in der knapp 180000 Einwohner zählenden Stadt von chinesischen Unternehmern investiert worden. 20 chinesische Betriebe hätten so »eine große Anzahl von Arbeitsplätzen für die lokale Bevölkerung« geschafften, betonte die Nachrichtenagentur.
Der wirtschaftlichen Dynamik Chinas können sich auch weite Teile des postsowjetischen Raumes, der von Moskau weiterhin als seine traditionelle Einflußsphäre wahrgenommen wird, nicht entziehen. Im vergangenen Dezember gelang es Peking, Rußlands Monopolstellung beim Transport asiatischer Energieträger zu brechen, als die zentralasiatisch-chinesische Gaspipeline in Turkmenistan ihren Betrieb aufnahm. Bei voller Kapazitätsauslastung sollen ab 2012 bis zu 40 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich in die Volksrepublik gepumpt werden. Die rohstoffreichen ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbaidschan, Usbekistan und Turkmenistan konnten im Weltkrisenjahr 2009 ein Wirtschaftswachstum von durchweg mehr als sechs Prozent verzeichnen, da sie – neben der Ölnachfrage aus dem Westen – auch »Chinas Bedarf an Rohstoffen« decken konnten, berichtete unlängst die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti. Der russische Anteil an den Exporten dieser vier Länder sei »mittlerweile wesentlich zurückgegangen«.
Inzwischen engagiert sich China ganz ungeniert in Rußlands Hinterhof. So wurden Ende März in Minsk umfangreiche Geschäftsverträge im Gesamtwert von 3,4 Milliarden US-Dollar vereinbart. Zusätzlich stellte Peking der finanziell bedrängten Belarus einen Kredit in Höhe von einer Milliarde US-Dollar zur Verfügung. Die fernöstlichen Partner kommen Minsk in einem Moment zur Hilfe, in dem Rußland mit einer Erhöhung des Zolls für belarussisches Erdöl dessen Weiterverarbeitung und -verkauf unrentabel machte. Die ehemalige Sowjetrepublik erhielt bisher rund 20 Millionen Tonnen Rohöl aus Rußland. Zwei Drittel davon wurden weiterverarbeitet und in den Westen verkauft – Einnahmen, die das Land dringend brauchte. Mit der Zollerhöhung wollte Putin das Land zum Beitritt in eine gemeinsame Wirtschaftszone nötigen.
Auch im postsowjetischen Krisenherd Moldawien engagiert sich China. Dort stellte man Mitte 2009 einen Kredit in Höhe von umgerechnet einer Milliarde US-Dollar zur Verfügung, der in den Ausbau der Infrastruktur fließen soll. Eine Intensivierung der wirtschaftlichen und politischen Kooperation wird von Beobachtern auch zwischen der Ukraine und China prognostiziert. Kiew taumelt seit Ausbruch der Krise am Rande des Staatsbankrotts, und Peking ist bekannt dafür, bei weitem nicht solch strenge Kreditauflagen zu haben wie etwa der Internationale Währungsfonds oder die EU.