IWF diktiert Neustart

„Junge Welt“, 28.12.2009

Rumänien hat frisch installierte Regierung. Die will umgehend weiteres rabiates Sparprogramm des Internationalen Währungsfonds umsetzen

Seit dem 13. Oktober, als der rumänische Premierminister Emil Boc durch ein Mißtrauensvotum vom Parlament gestürzt wurde, befand sich Rumänien in einer der schwersten innenpolitischen Krisen seiner jüngsten Geschichte. Ein im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen vom 6. Dezember ausgebrochener, monatelanger Machtkampf zwischen dem Parlament und dem rumänischen Staatschef Traian Basescu schien das Land mitten in der schweren Wirtschaftskrise zu paralysieren. Erst nachdem das rumänische Verfassungsgericht alle gegen Basescu erhobenen Wahlfälschungsvorwürfe der Opposition zurückgewiesen und dessen Wahlsieg bestätigt hat, normalisierte sich die Situation.

Am 17. Dezember, nur einen Tag, nachdem er höchstrichterlich im Amt bestätigt wurde, nominierte der neue und alte Staatspräsident Rumäniens ausgerechnet den gestürzten Regierungschef Boc erneut für das Amt des Premiers, das er noch kommissarisch leitete. Das Abgeordnetenhaus Rumäniens wählte tatsächlich am 23. Dezember mit 276 zu 135 Stimmen den kommissarischen Ministerpräsidenten erneut in sein Regierungsamt. Boc galt ohnehin als ein Kompromißkandidat: Der eigentliche Wunschkandidat ­Basescus, der Zentralbankchef Lucian Croitoru, stieß auf erbitterten Widerstand innerhalb des Parlaments.

Ob überhaupt signifikante politische Unterschiede zwischen Boc und ­Croitoru – der als Mann des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Rumänien gilt – bestehen, ist indes fraglich. So erklärte der neue Ministerpräsident nach seiner Wahl vor dem rumänischen Parlament unmißverständlich, daß seine Regierung ebenfalls den Weisungen aus Brüssel und Washington bedingungslos Folge leisten werde: »Meine Prioritäten liegen in der Befolgung der Verpflichtungen, die aus dem Übereinkommen mit dem IWF und der Europäi­schen Kommission resultieren.« Das kommende Jahr werde »schwierig« werden, da die Rumänen nun »ein bißchen Mühsal« auf sich nehmen müßten, um »ein bißchen Wohlbefinden« zu erringen.

Ähnlich anderen osteuropäischen Ländern mußte auch Rumänien bei Ausbruch der Weltwirtschaftskrise durch einen Notkredit des Internationalen Währungsfonds vor dem Staatsbankrott bewahrt werden. Die Führung mußte sich im Gegenzug verpflichten, durch rabiate Sozialkürzungen und Massenentlassungen im öffentlichen Sektor die staatlichen Ausgaben zu begrenzen. Einen Notkredit von 20 Milliarden Euro gewährte der IWF in Kooperation mit der Europäischen Kommission an Bukarest. Die im Januar fällige Tranche dieses Kredits in Höhe von 1,5 Milliarden Euro wurde aber vom Währungsfonds eingefroren, nachdem die innenpolitischen Auseinandersetzungen eskalierten. Der Leiter der IWF-Mission in Rumänien, Jeffrey Franks, erklärte erst kurz nach der bestätigten Wiederwahl Basescus, daß die ursprünglich für Januar geplante Auszahlung der dritten Kredittranche im Februar stattfinden werde.

Die Ausgabenkürzungen, die Bukarest im Gegenzug für diese Kredittranche von 1,5 Milliarden Euro erbringen muß, dürften aber verheerende soziale Konsequenzen nach sich ziehen. Schon Mitte Januar sollen weitreichende Reduzierungen im Parlament verabschiedet werden, die das Haushaltsdefizit von den für dieses Jahr prognostizierten 7,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2010 auf die von IWF und Europäischer Kommission geforderten 5,9 Prozent sinken lassen sollen. Laut ersten Planungen sollen hierbei 100000 im öffentlichen Sektor Rumäniens beschäftigte Menschen auf die Straße geworfen werden.

Überdies wird eine weitere Anhebung des rumänischen Mindestlohnes, der momentan bei umgerechnet 204 US-Dollar monatlich liegt, ausgesetzt werden. Rumänien reiht sich somit in die Reihe der osteuropäischen Länder ein, bei denen die Weltwirtschaftskrise zu einem Stillstand – oder gar einem Fall – des vormals rasch steigenden Lohnniveaus führte. Zugleich beteuerte Boc seine Entschlossenheit, das zugunsten Begüteter deformierte Steuersystem Rumäniens beizubehalten, das dem südosteuropäischen Land den zweifelhaften Ruf eines »neoliberalen Musterknaben« einbrachte. Die lineare Einkommenssteuer von 16 Prozent – die sogenannte »Flat Tax« – soll demnach nicht durch ein progressives Steuersystem ersetzt werden.

Neben der Peitsche hält der IWF auch Zuckerbrot parat: Sollte dieser rabiate Sozialkahlschlag bis zum 16. Januar umgesetzt werden, könne Bukarest sogar auf die gleichzeitige Auszahlung zweier Tranchen des IWF-Kredits hoffen, meldete kürzlich die Nachrichtenagentur Bloomberg. Zusammen mit Kreditzusagen der Europäischen Kommission dürften dem Bericht zufolge 3,3 Milliarden Euro am 17. Februar nach Rumänien überwiesen werden. Der Zeitpunkt zur Umsetzung des Austeritätsprogramms scheint günstig, wie Nicolaie-Alexandru Chidesciuc, Analyst der Bank ING in Bukarest, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters ausführte: »Das Faktum, daß die nächste Wahl sehr weit entfernt ist, ist klar positiv, vor allem weil andere Staaten in der Region in 2010 Wahlen abhalten werden.«

Dabei hat das von der Weltwirtschaftskrise schwer getroffene Rumänien, dessen BIP in diesem Jahr laut IWF-Prognosen um sieben Prozent schrumpfen wird, bereits drastische Kürzungsmaßnahmen bei der Auszahlung der ersten Tranchen des IWF-Kredits durchgeführt. So wurden alle Gehälter von Staatsbediensteten bis auf weiteres eingefroren und 1,3 Millionen im öffentlichen Dienst beschäftigte Rumänen für acht bis zehn Tage im Jahr ohne Lohnfortzahlung beurlaubt. Ministerpräsident Boc rechtfertigte dies am 23. Dezember als »unpopulär, aber notwendig«: »Wir zielen darauf ab, den Neustart der nationalen Ökonomie im nächsten Jahr zu gewährleisten.« Umgehend nach Bekanntwerden der Kürzungspläne korrigierte auch der IWF seine Konjunkturprognosen nach oben. Nun soll die Wirtschaft Rumäniens 2010 nicht mehr um 0,5 Prozent, sondern um 1,3 Prozent wachsen.

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