Erschien gekürzt in der „Jungen Welt“ vom 28.09.2009
Von Entspannung keine Spur: Neue Runde im Geschichtskrieg zwischen Polen und Russland.
Wenn Polens Präsident Lech Kaczynski sich in geschichtspolitischen Betrachtungen über den Zweiten Weltkrieg ergeht, dann wächst die Unruhe auch innerhalb der polnischen Regierungsmannschaft. Der rechtskonservative polnische Staatschef ist berüchtigt für seine antirussischen Ausfälle. Der 70. Jahrestag des Einmarsches der Sowjetunion in Polen – Am 17. September 1939 griffen Sowjetische Streitkräfte Ostpolen an – bot den Präsidenten den willkommenen Anlass, um die bisherige vorsichtige Annäherung zwischen Moskau und Warschau auf dem Feld der Geschäftspolitik zu torpedieren. ‚Wir haben Angst, dass der Präsident erneut versuchen wird, im Alleingang einen dritten Weltkrieg auszulösen‘, kommentierten mit kaum verholener Ironie regierungsnahe Kreise gegenüber polnischen Medien die Ansprache Kaczynskis.
Tatsächlich erging sich der polnische Staatschef am 17. September in simplen totalitaristischen Deutungsmustern der Geschichte des Zweiten Weltkrieges, die eine Gleichsetzung der Sowjetunion und Hitlerdeutschlands bezweckten. Der Hitler-Stalin-Pakt sei eine Allianz ‚zweier außergewöhnlich aggressiver Imperialismen und Totalitarismen‘ gewesen, sagte der polnische Präsident, der auch bei dieser Gelegenheit seiner Ansicht Ausdruck verlieh, wonach die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu gleichen Teilen bei Nazideutschland und der Sowjetunion zu suchen sei. Schon bei seiner Rede am 1. September anlässlich des Gedenktages zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vertrat Kaczynski die Meinung, dass es ‚zwei Täter bei Ausbruch dieses Krieges gab – Hitlerdeutschland und das stalinistische Russland.‘
Am 23. September folgte in einer offiziellen Note des polnischen Parlaments, des Sejm, eine ähnlich scharf gehaltene Erklärung, in der Polen als ein Opfer von ‚zwei
Totalitarismen, Nationalsozialismus und Kommunismus‘ beschrieben wird. In der durch Akklamation verabschiedeten Stellungnahme wurden auch die Massenhinrichtungen in Katyn von mehr als 20 000 polnischen Offizieren durch Einheiten des russischen Geheimdienstes NKWD scharf als ein ‚Kriegsverbrechen mit Merkmalen eines Völkermords‘ verurteilt. Bei dieser Formel handelt es sich um einen Kompromiss: Die rechtskonservative Opposition um die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) forderte sogar die Einstufung dieser Massenerschießungen als Völkermord.
Damit scheint die langsame, vorsichtige Annäherung zwischen Moskau und Warschau auf den hochsensiblen Feld der Geschäftspolitik vorerst gestoppt. Während seiner Polen-Visite am 1. September hatte der russische Regierungschef Wladimir Putin durchaus graduelles Entgegenkommen signalisiert und seine Bereitschaft zur Verbesserung der polnisch-russischen Beziehungen bekräftigt. Insbesondere seine eindeutige Verurteilung des am 23. August 1939 vereinbarten Hitler-Stalin-Paktes löste in Polen überwiegend Positiver Reaktionen aus. Vermisst wurden in der polnischen Öffentlichkeit hingegen Worte des Bedauers bezüglich des Massakers von Katyn. Doch Polens konservativen Hardlinern wäre selbst das bei weitem nicht genug. Diese fordern von Russland eine Übernahme ihres totalitaristischen Geschichtsbildes, das eine Gleichsetzung des faschistischen Deutschland und der Sowjetunion imaginiert.
Die Stellungnahmen der russischen Politik auf diese jüngste totalitaristische Offensive Warschaus in der heiß umkämpften Geschäftspolitik vielen dementsprechend enttäuscht aus. Die Resolution des polnischen Parlaments ‚untergräbt die Bemühungen um eine Normalisierung der Beziehungen beider Staaten‘, hieß es in einer am Donnerstag verbreiteten Erklärung des russischen Außenministeriums. Siergiej Markow von der Kremlpartei Einiges Russland wurde hingegen deutlicher: Die Gleichsetzung des nazistischen Regimes, dass die Polen vernichten wollte, und der Roten Armee, welche sie befreite, sei ein ernsthafter politischer Fehler. Wenn es die Rote Armee nicht gegeben hätte, würden die heutigen Polen als ‚Lakaien der Arier‘ ihr leben fristen, so Markow. Die polnische Sejmresolution, die eine Gleichsetzung zwischen Naziwehrmacht und der Roten Armee propagiert, sei auch implizit antisemitisch, bemerkte der Parlamentarier, da sie das Faktum ignorierte, dass gerade die Rote Armee ‚zehntausenden von Juden aus der westlichen Ukraine und dem westlichen Weißrussland das Leben gerettet‘ habe.
Unterstützung genießt die polnische Sicht der Geschichte hingegen beim Europäischen Parlament. Am vergangenen 23 August, dem 70. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes, starteten die Brüssler Parlamentarier die geschichtspolitische Initiative, diesen Tag zum ‚europäischen Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nazismus‘ zu erklären. Europas Geschichtsrevisionisten in Ost wie West wird dies sicherlich freuen.