„Junge Welt“, 01.08.2009
Strategische Partner: Siemens und Rosatom wollen Weltmarkt für Nukleartechnik aufmischen. In der Praxis scheint das schwieriger als geplant
Die Chefs von Siemens träumten von einer strahlenden Zukunft, als sie im März die jahrelange Partnerschaft mit dem französischen staatlichen Atomkonzern Areva aufkündigten und ein Bündnis mit der Föderalen Agentur für Atomenergie Rußlands Rosatom eingingen. Man wolle in Kooperation so »eine international führende Rolle im Bereich der Kerntechnik erreichen«, sagte Siemens-Vorstand Wolfgang Dehen Ende Februar dem Handelsblatt. Und Konzernchef Peter Löscher erklärte unumwunden: »Die klare Marschrichtung, das klare Ziel ist, hier einen zukünftigen Weltmarktführer zu etablieren.«
Bei einem Treffen Anfang Februar bot Rußlands Regierungschef Wladimir Putin Löscher eine »vollwertige Partnerschaft« im Atombereich an. Dieses Angebot dürfte wohl ausschlaggebend für den Wechsel zu Rosatom gewesen sein. Die von der Lobby herbeigeredete globale Renaissance der Atomkraft schien den neuen Partnern rasch wachsende Märkte zu garantieren. Jüngsten Prognosen zufolge könnten bis 2030 weltweit an die 400 Atomkraftwerke errichtet werden – ein Investitionsvolumen von mehr als einer Billion Euro.
Doch inzwischen scheint die ursprüngliche Harmonie bei den Partnern gestört. Die Entschlossenheit des Kreml, weiterhin auf den Ausbau der nuklearen Kooperation mit dem Iran zu setzen, bringt den Münchener Konzern in die Bredouille. Rußlands Energieminister Sergej Schmatko machte jüngst klar, daß Moskau auch nach Fertigstellung des Atommeilers im iranischen Bushehr, an dem der russische Exporteur Atomstrojexport maßgeblich beteiligt ist, auf dem iranischen Nuklearmarkt expandieren will. Der deutsche Konzern müsse wegen »Regierungsaufträgen in Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern« allerdings »politische Rücksichten nehmen«, wie es das Handelsblatt am 23. Juli formulierte.
Der Streit über das künftige Engagement im Iran komplizierte die ohnehin schwierigen Verhandlungen zwischen Siemens und Rosatom. Laut Handelsblatt geht es vor allem um die Frage, »wer welchen Anteil an dem Joint Venture erhält und wer die unternehmerische Führung übernimmt«. Bei Bekanntgabe der Kooperation im März hieß es, daß die entsprechenden Verhandlungen bereits im Mai abgeschlossen sein würden. In einem Interview mit der Welt vom 23. Juli prognostizierte Schmatko, das Joint Venture werde bis Jahresende unter Dach und Fach sein: »Es ist nun einmal ein kompliziertes Verfahren, eine der größten Gesellschaften im globalen Atomgeschäft zu formieren«, begründete der Politiker die Verspätung. Bei Siemens hieß es, man sei bei den Verhandlungen »stramm unterwegs« und werde diese bald abgeschlossen haben.
Tatsächlich scheint es unwahrscheinlich, daß die Iran betreffenden Differenzen das Projekt scheitern lassen. Die Vorteile für beide Seiten sind zu groß. Das neue Gemeinschaftsunternehmen soll Atommeiler errichten, die Entwicklung von Druckwasserreaktoren vorantreiben, die Modernisierung von Nuklearkraftwerken durchführen und eventuell sogar die Gewinnung von Brennstoff gemeinsam organisieren. Die russische Seite ist insbesondere an einem deutschen Technologietransfer interessiert, den Siemens vor allem bei der konventionellen Kraftwerkstechnik leisten soll, bei Großturbinen, oder Stromübertragungssystemen. »Schon beim Bau einer modernen Atomanlage in China wurde die Siemens-Leittechnik erfolgreich in die russische Atomtechnologie integriert«, erzählte Schmatko zufrieden.
Siemens hofft im Gegenzug auf Zugang zu neuen Märkten – wie auch in den »heißen Bereich« der Atomtechnik, wie sich Vorstand Dehen gegenüber dem Handelsblatt ausdrückte: »Wir beabsichtigen, unser Engagement in Schritten auch in den nuklearen Kreislauf hinein auszuweiten.« In Rußland selbst sollten laut ursprünglichen Planungen bis 2015 zehn Atomstromanlagen neugebaut werden, bei deren Ausrüstung Siemens nun auf eine Vorzugsbehandlung hoffen darf. Es geht um ein Investitionsvolumen von umgerechnet 25 Milliarden US-Dollar (17,7 Milliarden Euro). Schon am Bau des zuerst geplanten Atomkraftwerks in Kaliningrad soll der Münchener Konzern beteiligt werden. Ende Juli mußte Rosatom-Chef Sergej Kirijenko eingestehen, daß diese ehrgeizigen Pläne aufgrund der Weltwirtschaftskrise »um einige Jahre gestreckt« werden müßten. Statt zwei werde nun nur ein Kernkraftwerk jährlich neu errichtet. Zudem exportiert Rußland inzwischen seine Atomanlagen nach Bulgarien, China und Indien. Sogar in Belarus, in dem immer noch weite Landstriche durch den Katastrophenreaktor Tschernobyl kontaminiert sind, soll bald ein neuer russischer Meiler errichtet werden. Gespräche über den Bau solcher Anlagen führen unter anderem Kasachstan, Armenien, Marokko und die Türkei. Rußland könne 25 Prozent des Weltmarktes für Atomenergiegewinnung und Atomanlagen erobern, prognostizierte Präsident Dmitri Medwedew im Juli.
Die Allianz zwischen Siemens und Rosatom scheint auch die Beziehungen zwischen Berlin und Paris zu vergiften. Nicolas Sarkozy habe »ohne große Vorrede« erklärt, daß er es »sehr bedauert«, Siemens nicht mehr in Partnerschaft mit Areva zu sehen, erzählte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer nach einem Treffen mit dem französischen Staatschef am 23. Juli. Schon im März hatte Areva seinem früheren Partner vorgeworfen, durch das Bündniss mit Rosatom Vertragsbruch begangen zu haben. Eine Klausel bestimme, daß Siemens nach einem Ausstieg aus der Nuklearkooperation Areva acht Jahre lang keine Konkurrenz machen dürfe, hieß es aus Paris.