„Junge Welt“, 18.06.2009
Oleg Deripaska zählt zu den schillerndsten Gestalten der neuen russischen Wirtschaftselite. Trotz Kremltreue bröckelt jetzt sein zusammengerafftes Imperium
Oleg Deripaska ist ein patriotischer Milliardär. Bei vielen Gelegenheiten stellte er seine Treue gegenüber dem Kreml zur Schau. In einem Interview ließ er 2007 die Bemerkung fallen, er würde sogar das Herzstück seines Firmenimperiums, den Aluminiumkonzern Rusal, unverzüglich aufgeben, sollte die Regierung ihn darum ersuchen. Zwei Jahre und eine Weltwirtschaftskrise später könnte dieses Versprechen auf die Probe gestellt werden. Regierungschef Wladimir Putin drohte jüngst russischen Oligarchen die Verstaatlichung ihrer Betriebe an, sollten sie nicht in der Lage sein, die mit der Krise einhergehenden sozialen Verwerfungen abzumildern. Der Staat werde »die Fabriken übernehmen, wenn die Eigentümer sie nicht offenhalten können«, so Putin.
Adressat dieser Warnung war auch Deripaska. Den hatte Putin Anfang Juni vor laufenden TV-Kameras genötigt, seine stillgelegten Fabriken in der Kleinstadt Pikaljewo wieder in Betrieb zu nehmen und ausstehende Löhne nachzuzahlen. Die Bevölkerung der Stadt hatte militante Proteste, die in Straßenblockaden mündeten, organisiert. Der Kreml befürchtete soziale Unruhen. Mit seinem von den Einwohnern umjubelten Auftritt konnte Putin diesen Sprengsatz entschärfen. In anderen Städten bauen sich jedoch ähnliche Konflikte auf.
Viele Betriebe drohen unter ihrer Verschuldung zusammenzubrechen. Laut Premier liegt diese insgesamt bei umgerechnet 330 Milliarden US-Dollar. Folglich bleiben immer mehr Firmen ihren Angestellten die Löhne schuldig; ganze Städte geraten in existenzielle Krisen. Die während der sowjetischen Industrialisierung oft um einzelne Betriebe errichteten Ortschaften werden im russischen als »Monogorod« bezeichnet. Hunderten dieser »Monostädte« droht laut Rußlandexperte Kai Ehlers nun die Gefahr, sich in einer ähnlichen Lage wie Pikaljewo wiederzufinden.
Für den Oligarchen, dessen privates Vermögen binnen weniger Monate von 28,5 auf 3,5 Milliarden US-Dollar zusammengeschmolzen war, könnten die Spannungen mit dem Kreml ernste Konsequenzen nach sich ziehen. In den vergangenen Jahren hatte Deripaska – mit voller Rückendeckung des Kreml – die Expansion seiner Firmenholding Basic Element (BE) vorangetrieben. Allein 2007 wuchs der Gesamtwert seiner Unternehmensgruppe um das Zweieinhalbfache. An die 300000 Lohnabhängige schuften direkt in Deripaskas Firmengeflecht, bist zu 1,5 Millionen Russen sind indirekt – durch Zulieferer und die Nachfrage der Angestellten – von der Firmengruppe abhängig. Neben dem weltweit größten Aluminiumhersteller ist BE beim Fahrzeughersteller GAS (engl. GAZ), bei Banken, Versicherungen, im Flugzeugbau, in der Energieproduktion und im Baugeschäft engagiert.
Selbstverständlich erfolgte die Expansion auf Pump. BE hat inzwischen einen Schuldenberg von umgerechnet 20 Milliarden US-Dollar aufgebaut, der die Existenz des Firmenkonglomerats gefährdet. An die 15 Milliarden US-Dollar entfallen auf ausländische Finanzhäuser. Darunter befinden sich Citigroup, Deutsche Bank oder Merrill Lynch. Bis zum 28. Juli hat Deripaska nun Zeit, eine Umschuldung eines Teils dieser Schulden gegenüber einem ausländischen Gläubigerkonsortium zu erreichen. Es geht um 7,4 Milliarden US-Dollar. Mit umgerechnet 4,5 Milliarden US-Dollar ist Deripaska zudem der größte nichtstaatliche Kreditnehmer Rußlands. Die staatliche Wneschekonombank (WEB) sagte Mitte Juni zu, diesen Kredit um mindestens ein Jahr zu verlängern.
Der 42jährige Emporkömmling der chaotischen Jelzin-Jahre steckt in einem Dilemma. Die kapitalistische Rationalität zwingt ihn, Betriebsschließungen und Massenentlassungen durchzuführen um Verluste zu senken. Somit könnte er gegenüber den privaten und staatlichen Schuldnern zahlungsfähig bleiben und auf gute Konditionen bei der Restrukturierung seiner Kredite hoffen. Zugleich fordert derselbe russische Staat, der im Endeffekt einer seiner größten Schuldner ist, diese Rationalisierungsmaßnahmen zu unterlassen. Die Auflösung dieses staatskapitalistischen Paradoxons wird einfach über die einjährige Verlängerung des eigentlich im November fälligen WEB-Kredits vertagt.
Dies alles führt zum schleichenden Machtverlust Deripaskas. Laut einer Mitteilung von BE, sollen bald die Vizeregierungschefs Igor Schuwalow und Igor Setschin in den BE-Vorstand einrücken. »Die sozialen Probleme beunruhigen die Autoritäten«, sagte Mascha Lipman vom Thinktank Carnegie Center in Moskau der Nachrichtenagentur Bloomberg. Diese würden »nicht nur ihren eigenen Staatshaushalt gestalten, sondern auch den von Geschäftsleuten«, indem sie ihnen mitteilen, was zu tun sei.
Laut dem Nachrichtendienst Stratfor genießen derzeit nur diejenigen Oligarchen relative Unabhängigkeit, die nicht auf staatliche Hilfsmaßnahmen angewiesen gewesen seien. Im Fall Deripaskas hat sich der Kreml aber bereits mit enormen Summen engagiert. ‚Die gegenseitige Abhängigkeit ist zu groß‘, so Stratfor. Deripaska habe keine andere Möglichkeit, als ‚Putins Oligarch‘ zu sein. ‚Er kann nichts anderes mehr sein.‘