„Junge Welt“, 23.04.2009
Um den Klimawandel aufzuhalten, würde die US-Regierung wohl auch die Sonne verdunkeln. Konkrete Planungen liegen anderswo bereits vor
Im Umfeld der US-Regierung werden radikale Maßnahmen zur Bekämpfung des rasant fortschreitenden Klimawandels diskutiert. Barack Obamas wissenschaftlicher Berater John Holdren wollte in seinem ersten Interview seit dem Amtsantritt des Präsidenten nicht ausschließen, daß die US-Administration sich eines Tages zur groß angelegten Klimamanipulation gezwungen sehen könnte. »Wir müssen uns diese Ideen zumindest anschauen. Konzepte einfach vom Tisch zu fegen, dazu sind wir derzeit nicht in der Lage«, sagte Holdren. Manipulationstechniken des »Geo-Engineering« würden in Erwägung gezogen, wenn die Regierung »verzweifelt genug« dafür sei.
»Entsetzlich« nannte Holdren die Dynamik der globalen Klimaerwärmung in dem halbstündigen Interview für die Nachrichtenagentur AP. Es drohe das Überschreiten von »tipping points« (Kipp-Punkten), was »tatsächlich intolerable Konsequenzen« nach sich zöge, so der Professor für Umweltpolitik an der Universität Harvard. Eine dieser grundlegenden Veränderungen des Klimasystems, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten, sei der komplette Verlust der arktischen Eisdecke immer Sommer. Dieser Kipp-Punkt würde das Klima »in unvorhersehbarer Weise verändern«. Laut Holdren könnte es bereits in sechs Jahren soweit sein.
Den Klimawandel verglich der promovierte Physiker mit einer Fahrt in einem Auto, »das mit kaputten Bremsen im Nebel auf einen Abgrund« zurast. Sollte die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen so langsam vonstatten gehen, daß das Überschreiten eines »tipping points« eines Tages nicht anders zu verhindern wäre, käme laut Holdren als »extreme Maßnahme« z.B. das »Verschießen« von Schmutzpartikeln oder Schwebeteilchen in der oberen Atmosphäre in Frage; die Teilchen würden einen Teil der Sonnenstrahlen reflektieren. Holdren betonte, daß solch eine Technik des »Geo-Engineering« nur als »letzte Möglichkeit« zur Anwendung käme.
Die Bemerkungen des Präsidentenberaters haben in der US-amerikanischen Öffentlichkeit für ziemlichen Wirbel gesorgt. Holdren ist in einem Folgeinterview mit der New York Times zurückgerudert. Er betonte, einen eigenen Standpunkt vertreten zu haben, nicht den der US-Administration. Das »Geo-Engineering« sei innerhalb der Regierung zwar »diskutiert«, nicht aber »ernsthaft in Erwägung« gezogen worden. Es sei im übrigen »unbedingt vorzuziehen, das Problem durch die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen« zu lösen. Fraglich, ob dieser Weg überhaupt realistisch ist. Ein von der US-Regierung auf den Weg gebrachtes Klimaschutzpaket, das die Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes um 20 Prozent bis 2020 und 80 Prozent bis 2050 vorsieht, trifft im US-Kongreß auf erheblichen Widerstand. Allerdings hat der Vorstoß ungewöhnliche Befürworter gefunden. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des konservativen »Cato Institute« erklärte, »sehr wenige Menschen würden Geo-Engineering rundweg ablehnen.« Das »American Enterprise Institute«, ein republikanischer »think tank«, entwickelt bereits Programme zur Klimamanipulation, die es als »durchführbar und kosteneffektiv« bezeichnet. Bezeichnenderweise waren es gerade diese konservativen amerikanischen »Denkfabriken«, die mit den Geldern der Ölindustrie lange jede öffentliche Diskussion des Klimawandels erfolgreich torpediert haben.
Viele Institutionen haben sich bereits mit den Möglichkeiten und Gefahren des »Geo-Engineering« befaßt, darunter in den USA die National Academy of Science (Akademie der Wissenschaften) und die American Meteorological Society (Meteorologische Gesellschaft), aber auch das britische Parlament. Der von Holdren wieder ins Gespräch gebrachte Begriff geht auf eine 2006 geäußerte Idee des Nobelpreisträgers für Chemie, Paul Crutzen, zurück, der mit Hilfe von Schwefelpartikeln in der Stratosphäre die Sonnenstrahlung reflektieren wollte. Damit würde praktisch »der Effekt von Vulkanausbrüchen« nachgeahmt, so Holdren.
Ähnlich argumentierte Mitte vergangenen Jahres der Australier Tim Flannery. Der einflußreiche Biologe und Zoologe ergänzte, daß solche Maßnahmen »die Farbe des Himmels ändern würden« – in ein Schwefelgelb. Das sei die »letzte Barriere vor dem Klimakollaps«. Für sein Engagement in Klimafragen wurde Flannery zum »Australian of the Year 2007« gewählt. Die Reduktion von Treibhausgasen reicht seiner Meinung nach nicht aus. Dafür hält er den Klimawandel für zu weit fortgeschritten: »Alles entwickelt sich in die falsche Richtung, die Zeitspannen werden kürzer, die Ausmaße der Verschmutzung in der Atmosphäre wachsen.« Die mittlerweile erreichte Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosphäre sei ausreichend, um »einen katastrophalen Klimawandel auszulösen.«
Konkretere Planungen zum »Geo-Engineering«, das uns einen malerischen Schwefelhimmel bescheren könnte, liegen in Moskau bereits vor. Juri Israel, Direktor des Instituts für globales Klima und Umweltschutz der Russischen Akademie der Wissenschaften, stellte bereits Mitte 2007 ein Maßnahmenpaket zur Klimamanipulation vor. Unter anderem sollten Flugzeuge »in einer Höhe von bis zu 14 Kilometern über der Erde eine dünne Aerosol-Schicht aus schwefelhaltigen Teilchen mit einem Durchmesser zwischen 0,25 und 0,5 Mikrometer« versprühen, wie RIA-Nowosti damals meldete. Eine Million Tonnen des mit Schwefelteilchen präparierten Aerosols könne Juri Israel zufolge in der Atmosphäre versprüht werden, um die durchschnittlichen Temperaturen kurzfristig um 1,5 Grad Celsius zu senken. Sobald die Schwefelteilchen zur Erde herabsinken würden, müßte »nachgesprüht« werden.
All diese Maßnahmen basieren auf dem Phänomen des »Global Dimming« (globale Verdunkelung), das schon heute die Klimaerwärmung abmildert. Durch die mit zunehmender Industrialisierung einhergehende Luftverschmutzung hat sich die Sonneneinstrahlung stark verringert. Staub- und Schmutzpartikel, Aerosole und Kondensstreifen von Flugzeugen absorbieren einen Teil des Sonnenlichts. Hans Joachim Schellnhuber, Klimaberater der Bundesregierung, bezifferte die Wirkung dieses Schleiers aus Schmutzpartikeln Ende März in einem dpa-Interview: »Wenn man die heutige Treibhausgaskonzentration einfrieren und den Schmutzschleier wegziehen würde, dann würde dies wahrscheinlich schon zu einer Erwärmung um 2,4 Grad führen.«