„Junge Welt“, 14.04.2009
Europäische Union bindet Kiew mit Milliardenkredit für Sanierung des Pipelinenetzes
Ende März schien Brüssel seiner strategischen Zielsetzung, die Energieversorgung der EU zu diversifizieren, einen wichtigen Schritt näher gekommen zu sein. In einer am 23. März unterzeichneten Deklaration erklärte sich die Europäische Union bereit, Kredite in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zur Sanierung des maroden ukrainischen Pipelinesystems zur Verfügung zu stellen. An der entsprechenden Geberkonferenz nahmen in seltener Eintracht sowohl der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko wie auch dessen erbitterte Rivalin, Regierungschefin Julia Timoschenko, teil. Das ukrainische Transitleistungssystem für Erdgas wurde zum überwiegenden Teil zu Sowjetzeiten errichtet und ist im Schnitt 40 Jahre alt. Die ukrainischen Gaspipelines können derzeit zirka 120 bis 140 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich befördern. Mit den europäischen Investitionen sollen diese Transportkapazität um weitere 60 Milliarden Kubikmeter erhöht werden. Im Gegenzug mußte sich die ukrainischen Regierung bereiterklärt, einen »transparenten Gasmarkt nach westlichem Muster« zu bilden, meldete RIA-Nowosti.
Dieser Deal zwischen Brüssel und Kiew führte zu heftigen Reaktionen des Kreml, der schon seit langem ein Auge auf die ukrainischen Pipelines geworfen hat. Zur geopolitischen Konzeption des russischen »Energieimperiums«, wie sie der derzeitige Regierungschef Wladimir Putin maßgeblich geformt hat, gehört auch das Streben nach der Kontrolle der Transportwege von Energieträgern. Putin warnte umgehend, die »Grundlagen unserer Beziehungen« zur EU zu überdenken, sollte sich dieser europäisch-ukrainischer Coup als »Beginn des Versuches« erweisen, »Rußlands Interessen systematisch zu ignorieren«.
Noch deutlicher wurde Rußlands Präsident Dmitri Medwedew, der Anfang April erklärte, daß diese europäische »Energiecharta« nicht den russischen Interessen entspreche. Zudem stellte Medwedew den von Moskau der Ukraine avisierten Hilfskredit in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar infrage: »Wie können wir in einer solchen Lage Geld geben, wenn wir uns nicht über eine der wichtigsten Fragen einigen können«, fragte der russische Staatschef in Richtung Kiew. Die Ukraine taumelt am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, während der Internationale Währungsfonds einen zugesagten und bereits teilweise ausgezahlten Milliardenkredit wieder eingefroren hat, da ihm die soziale Demontage in dem verarmten osteuropäischen Land nicht schnell genug vorangeht. Rußland hat sich anfänglich bereiterklärt, Kiew mit besagtem Milliardenkredit vor den Staatsbankrott zu bewahren.
Der russische Monopolist Gasprom befördert etwa 80 Prozent seines für die Europäische Union bestimmten Erdgases durch das ukrainische Pipelinesystem. Zudem hätte die EU nun einen »viel pragmatischeren Weg gefunden, um an Gas vom Kaspischen Meer unter Umgehung Rußlands zu kommen«, als die Realisierung des kostspieligen Nabucco-Projekts, bemerkte RIA-Nowosti. Auf die Warnungen etlicher Kreml-Politiker, langfristig das russische Erdgas auch gen Fernost verkaufen zu können, reagierten Brüsseler Spitzenpolitiker mit Beschwichtigungsversuchen. Der europäische Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte, man würde Rußland »mit Freuden« an diesem Modernisierungsprogramm »beteiligen«.