Gehen in zwei Richtungen

„Junge Welt“, 08.04.2009
Belarus will Geld aus Rußland und aus der EU. Das macht Schwierigkeiten

Es kriselt erneut zwischen Minsk und Moskau. Seit Anfang April blockiert Belarus die Transmission der fünf wichtigsten russischen Fernsehsender ins belorussische Kabelnetz. Von dieser ohne jegliche Vorwarnung durchgeführten Maßnahme sind nur die russischen Kanäle ausgenommen, die in Kooperation mit Belarus produziert werden. Diese jüngste Aktion von Belarus markiert den vorläufigen Höhepunkt in den eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen beiden Staaten. Sie hatten sich an der Weigerung des Kreml entzündet, Minsk einen weiteren Milliardenkredit zur Verfügung zu stellen.

Seit Ende des vergangenen Jahres kämpfe der belorussische Präsident Alexander Lukaschenko um einen erneuten Kredit Rußlands in Höhe von umgerechnet zwei Milliarden US-Dollar, kolportierte jüngst die Nachrichtenagentur RIA-Nowosti. Die Abstände, in denen Belarus in Moskau um neue Finanzspritzen ersuchen muß, werden immer kürzer. So hat der Kreml zuletzt im Herbst 2008 Minsk umgerechnet zwei Milliarden US-Dollar geliehen, von denen bereits 1,5 Milliarden überwiesen wurden. Einen ersten Stützungskredit in Höhe von einer Milliarde US-Dollar hat Rußland seinem westlichen Nachbarland bereits 2007 gewährt.

Diese Darlehen sind für Belarus inzwischen überlebenswichtig, da die Volkswirtschaft kaum noch in der Lage ist, die Preissteigerungen für russische Energieträger zu verkraften. Im ersten Halbjahr 2009 wird Belarus 148 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter russischem Erdgas bezahlen, während es im Vorjahr 128 US-Dollar waren. Zur Erinnerung: Die energiepolitischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern entbrannten, als Rußland Anfang 2007 den Gaspreis von 47 auf 100 US-Dollar erhöhte.

Ein Sprecher des russischen Finanzministeriums begründete die Ablehnung des neuesten belorussischen Kreditersuchens damit, daß Minsk »ohnehin schon zu hohe Schulden gegenüber Moskau« habe, wie RIA-Nowosti meldete. Doch sind sich politische Beobachter weitgehend einig, daß diese harte Haltung Moskaus geopolitische Hintergründe hat. Sehr zum Verdruß des Kremls ist Belarus immer noch nicht bereit, die zwei abtrünnigen georgischen Regionen Südossetien und Abchasien anzuerkennen, deren Unabhängigkeit bislang nur von der Russischen Föderation nach dem Georgien-Krieg im August vergangenen Jahres unterstützt wird. Der Politologe Fjodor Lukjanow erklärte gegenüber Gazeta.ru Lukaschenkos Ablehnung: »Ebenso wie die anderen Führer der ehemaligen Sowjetrepubliken wünscht er keine Legitimierung eines Präzedenzfalls der gewaltsamen Grenzneuziehung. Außerdem wäre die Anerkennung seitens Lukaschenkos ein viel zu offenkundiger Schritt auf Rußland zu, und das will er ebenfalls nicht.«

Einen »offenkundigen Schritt« in Richtung Moskau kann sich der belorussische Staatschef derzeit schlicht nicht leisten, da dies seine Annäherung an den Westen gefährden würde. Minsk hat weiterhin gute Aussichten, in das EU-Programm »Östliche Partnerschaft« aufgenommen zu werden. In dessen Rahmen sollen bis 2013 bis zu 600 Millionen Euro an die ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbaidschan, Armenien, Belarus, Georgien, Moldawien und die Ukraine fließen. Überdies hat bereits der Internationale Währungsfonds im Januar Minsk einen Kredit in Höhe von 2,46 Milliarden US-Dollar gewährt.

Dabei gibt es seitens des Westens nicht nur Zuckerbrot, sondern auch die Peitsche: Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft erklärte kürzlich, erst im »letzten Moment« vor dem für Anfang Mai geplanten Ostgipfel der EU in Prag bekanntzugeben, ob Lukaschenko an diesem überhaupt teilnehmen dürfe. Bei diesem Gipfeltreffen soll die »Östliche Partnerschaft« der EU offiziell initiiert werden. Neben der obligatorischen Mahnung, die Menschenrechte zu beachten, besteht Brüssel auch darauf, daß Belarus auf keinen Fall Abchasien und Südossetien anerkennt. Und die Kreditvergabe des IWF ist an die Verpflichtung Minsks gebunden, den Verkauf von Staatsbetrieben zu beschleunigen und die Kontrolle der Regierung im Finanzsektor zu lockern, wie der Nachrichtendienst Bloomberg meldete.

Er bewundere »Lukaschenkos Kunst, sich zu drehen und zu winden«, resümierte Lukjanow gegenüber Gazeta.ru. Der belorussische Staatschef strebe eine Situation an, in der er Geld sowohl von Rußland als auch von der Europäischen Union bekommen könne.

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