„Junge Welt“, 12.02.2009
»Brutaler Protektionsmus«: Premiers von Tschechien und der Slowakei kritisieren französischen Präsidenten. Abstimmung über EU-Lissabon-Vertrag in Prag erneut vertagt
Es knirscht derzeit mächtig im Gebälk des »europäischen Hauses«. Der tschechische Ministerpräsident und derzeitige EU-Ratsvorsitzende Mirek Topolanek griff in einem Interview mit der tschechischen Wirtschaftszeitung Hospodarskie Noviny den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy in ungewöhnlich scharfer Form an, indem er ihn des Protektionismus beschuldigte. Alle Versuche, die Finanzkrise zur Einführung »protektionistischer Strukturen« zu mißbrauchen, würden laut Topolanek nur den Prozeß der »Genesung der europäischen Wirtschaft« stören. Das, was Nicholas Sarkozy in der vergangenen Woche von sich gegeben habe, sei »unglaublich«, empörte sich TopolaÂnek. Sarkozy verzögere so die Annahme des neuen EU-Vertrages in Tschechien: »Wollte jemand ernsthaft die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags bedrohen, hätte er keinen besseren Anlaß und Zeitpunkt suchen können«.
Frankreichs Regierungschef hatte in einem am vergangenen Donnerstag ausgestrahlten Fernsehinterview einen Frontalangriff auf die »heilige Kuh« der Europäischen Union, den freien Binnenmarkt, gestartet. Im Gegenzug für die milliardenschweren Staatsbeihilfen sollen sich Frankreichs Autobauer darauf verpflichten, künftig auch in Frankreich zu produzieren. Es sei laut Sarkozy nicht gerechtfertigt, »in Tschechien eine Autofabrik aufzubauen, die für den französischen Markt produziert«. Nach Ansicht des französischen Präsidenten sollen die Betriebsverlagerungen französischer Konzerne gestoppt, und die im Ausland befindlichen Produktionsstandorte zurück nach Frankreich verlagert werden. Obwohl Sarkozy keine konkreten Namen nannte, war sofort allen Beobachtern klar, daß er die in Tschechien befindliche Fabrik von Peugeot/Citroën im Sinn hatte, die in Kooperation mit Toyota Kleinwagen hergestellt.
Nicht nur in Tschechien, auch in der Slowakei – in die viele Fahrzeughersteller ihre arbeitsintensive Produktion ausgelagert haben – läuteten daraufhin die Alarmglocken: »Rufe nach solch brutalem Protektionismus helfen niemandem«, empörte sich der slowakische Ministerpräsident Robert Fico und warnte: »Wenn sich ein Land wie Frankreich so verhält, dann werden wir Gaz de France nach Hause schicken.« Diesen äußerst seltenen, offenen Widerspruch gegenüber der EU-Führungsmacht schloß sich am Dienstag noch der schwedische Premier Fredrik Reinfeldt an, der sich gegenüber Journalisten äußerst »besorgt« über das französische Vorgehen zeigte. Für gewöhnlich wage außer Bundeskanzlerin Angela Merkel »niemand offenen Widerspruch« gegenüber Frankreich, wußte die Financial Times Deutschland zu berichten: »Einlassungen Sarkozys werden in der EU sonst höchstens mit Grummeln quittiert.«
Der Vorstoß Sarkozys leite zusätzliches Wasser auf die Mühlen der tschechischen Gegner des EU-Reformvertrages, erklärte Topolanek , da er deren Ängste befeuere und den Tschechen vor Augen führe, daß kleine »EU-Länder nach Lissabon den protektionistischen Launen der Großen noch hilfloser ausgeliefert« seien. Folglich ist am gestrigen Mittwoch die Debatte über den Vertrag von Lissabon im tschechischen Parlament erneut vertagt, diesmal bis zum 17. Februar.