Im Spagat

„Junge Welt“, 03.02.2009
Belarus bemüht sich um eine Annäherung sowohl gegenüber Moskau als auch gegenüber Brüssel

In jüngster Zeit blieben jegliche energiepolitischen Auseinandersetzungen zwischen der Republik Belarus und der Russischen Födera­tion aus. Der Kontrast zu dem wochenlang zwischen Kiew und Moskau ausgefochtenem »Gaskrieg« könnte kaum größer sein. Wie die polnische Zeitung Rzeczpospolita am 24. Januar meldete, einigten sich beide Seiten, den Gaspreis für 2009 auf 148 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter festzusetzen. In diesem Zusammenhang betonte der belarussische Vizepremier Andrej Kabiakou, daß in diesem Jahr aufgrund des Ergebnisses der diskret geführten Verhandlungen mit Moskau auf Preis­erhöhungen für Elektrizität und Heizung vorerst verzichtet werden könne. Zum Vergleich: Die Ukraine muß für ihr Erdgas 450 US-Dollar zahlen.

Dabei bildet dieser energiepolitische Kompromiß nur einen weiteren Mosaikstein in einer verstärkt auf Annäherung und Kooperation gerichteten Politik beider Staaten. Die Zeiten scheinen vorbei, in denen der Kreml den widerspenstigen belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko mit rabiaten Methoden zu einem Beitritt zur Russischen Föderation nötigen wollte. Ende Januar konnten umfangreiche Kooperationsabkommen zwischen Moskau und Minsk besiegelt werden, die die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit beider Länder auf eine neue Stufe stellen. Einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti zufolge sollen im Rahmen eines Freihandelsabkommens russische und belarussische Produzenten den gleichen Zugang zu den Binnenmärkten beider Länder erhalten. Zudem sei auch eine Erweiterung der bilateralen Leasinggeschäfte geplant, sagte der Regierungschef von Belarus, Sergej Sidorski, am vergangenen Freitag während einer Moskau-Visite: »Das wird es ermöglichen, den Waren­umsatz auf dem gegenwärtigen Niveau zu erhalten, der 2008 gegenüber 2007 nach Expertenschätzung um 40 Prozent auf 34 Milliarden US-Dollar gewachsen ist«.

Anläßlich seiner Staatsvisite in Moskau vereinbarten Sidorski und der russische Premier Wladimir Putin einen gemeinsamen Aktionsplan gegen die Auswirkungen der um sich greifenden Finanzkrise, deren Auswirkung auf beide Volkswirtschaften minimiert werden sollen. Laut RIA-Nowosti verpflichten sich in diesem Dokument beide Seiten, »von Schritten abzusehen, die den Interessen der anderen Seite schaden würden«. Zudem sollen weitere Schritte zur Gründung einer umfassenden Zollunion mitsamt einer weitreichenden wirtschaftlichen Integration initiiert werden.

Die Deutsche Welle meldet gleichzeitig, daß auch die Annäherung zwischen Belarus und dem Westen weiter voranschreite. Demnach habe Minsk der OSZE eine Kooperation bei der Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes in Aussicht gestellt, mit dem eine »Demokratisierung von Wahlen« in Belorußland eingeleitet werden solle. Von den Fortschritten bei der »Demokratisierung« seines Landes hängt auch die Teilnahme von Präsident Alexander Lukaschenko bei dem für den 7. Mai angesetzten Ostgipfel der EU ab. Auf diesem in Prag geplanten Gipfeltreffen soll die im Zuge der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft ausgearbeitete Ostpartnerschaft der Europäischen Union mit etlichen postsowjetischen Staaten aus der Taufe gehoben werden. Brüssel plant, zwischen 2010 und 2013 an die 600 Millionen Euro für das Ostprojekt aufzuwenden, in dessen Zentrum Assoziationsabkommen mitsamt angestrebter Errichtung von Freihandelszonen stehen.

Laut der polnischen Gazeta Wyborcza habe Belarus nun »gute Aussichten«, neben der Ukraine, Moldawien, Georgien, Armenien und Aserbaidschan in die Ostpartnerschaft der EU aufgenommen zu werden. Seit dem Ende des Krieges in Georgien im August vergangenen Jahres fand eine graduelle Annäherung zwischen Minsk und Brüssel statt, in deren Verlauf insbesondere Polen und die baltischen Länder zum Fürsprecher einer raschen Integration Minsks avancierten. Mit diesem Tauwetter korrespondiert eine »breite Liberalisierung aller Lebensbereiche« in Belarus, wie es Präsident Lukaschenko in einem Interview Ende Dezember formulierte. Die Gazeta Wyborcza betonte zudem, daß der jüngste Gasstreit zwischen Rußland und der Ukraine ausgerechnet Minsk zugute kommen könnte. Belarus habe unter Beweis gestellt, daß es ein zuverlässiges Transitland sei, zitierte die Wyborcza einen höheren EU-Diplomaten.

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