„Junge Welt“, 27.11.2008
Prag: Verfassungsgericht hält EU-Vertrag für vereinbar mit tschechischem Recht. Präsident will vorerst nicht unterschreiben
Das tschechische Verfassungsgericht machte am gestrigen Mittwoch vormittag den parlamentarischen Weg für eine Ratifizierung des EU-Reformvertrages frei. Das Vertragswerk sei vereinbar mit tschechischem Recht, gab der Vorsitzende Richter Pavel Rychetsky bekannt. Das Oberhaus des tschechischen Parlaments, der Senat, hat den EU-Reformvertrag bereits im August dem Verfassungsgericht in Brno vorgelegt, um dessen Vereinbarkeit mit dem tschechischen Grundgesetz zu überprüfen.
Diese nun getroffene Entscheidung gilt vor allem als eine Niederlage für Präsident Vaclav Klaus, der als einer der leidenschaftlichsten Gegner der schon bei etlichen Volksentscheiden abgelehnten, antidemokratischen EU-Verfassung gilt, die als »EU-Reformvertrag« reanimiert wurde. Noch am Dienstag, bei dem öffentlichen Anhörungsverfahren vor den obersten Verfassungshütern Tschechiens, argumentierte Klaus schlagfertig gegen die Neuauflage der von den europäischen Hegemonialmächten oktroyierten europäischen Verfassung.
Die neuen Abstimmungsregeln im EU-Ministerrat würden »das Gewicht Deutschlands verdoppeln, das Tschechiens vermindern und das Irlands halbieren«, warnte das Staatsoberhaupt bei der im Fernsehen übertragenen Anhörung. Erneut verwies Klaus auf den undemokratischen Charakter des Vertragswerks. Als Beispiel nannte der Präsident etwa das Prinzip der Gewaltenteilung, das auf EU-Ebene »nicht genügend entwickelt« sei. Zudem sei in der tschechischen Verfassung eindeutig das Verbot festgeschrieben, das Land »zu einem Teil einer Föderation oder eines anderen festen Staatenbundes« zu machen.
Den Ausführungen des tschechischen Präsidenten, der sich vor allem um den Verlust der nationalen Souveränität Tschechiens sorgt, stießen bei der größtenteils vom deutschen Kapital kontrollierten tschechischen Presse auf herbe Kritik. »Alles bewegt sich nach vorne«, so die Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny (Verlagsgruppe Handelsblatt), »nur Präsident Klaus bleibt eingefroren in einer Geste eines alternden Königs, der seine erwünschte Souveränität bewacht«.
Unbeeindruckt von solchen Anfeindungen der »tschechischen« Presse erklärte Klaus bereits am Montag, den EU-Reformvertrag – unabhängig von der Entscheidung des Verfassungsgerichts – vorerst nicht zu unterschreiben, solange Irland dies nicht getan habe. Die Iren, deren Verfassung ein Plebiszit in dieser Frage zwingend vorschreibt, haben bei der EU-weit einzigen Abstimmung den Lissaboner Vertrag abgelehnt. Nachdem bereits die ursprüngliche EU-Verfassung bei Abstimmungen in Frankreich und den Niederlanden scheiterte, stimmten die europäischen Regierungen darüber überein, auf eventuelle Volksbefragungen in dieser elementaren Frage künftig verzichten.
Bei einem Mitte November abgehaltenen Staatsbesuch auf der grünen Insel bemühte sich Klaus, hier neue Allianzen zu formen. Das tschechische Staatsoberhaupt traf sich bei dieser Gelegenheit mit dem Unternehmer Decan Ganley, der als einer der wichtigsten bürgerlichen Gegner einer EU-Verfassung in Irland gilt. Er fühle sich dem EU-Skeptiker verbunden, erklärte Klaus in Dublin – und sorgte überdies für diplomatische Verstimmungen, als er die irische Regierung und Brüssel dafür kritisierte, »das Ergebnis des Referendums zu ignorieren und damit der Demokratie zu schaden«, wie die Nachrichtenagentur UTC meldete.