Spannungen Ungarn – Slowakei

„Junge Welt“, 13.11.2008
Ministerpräsidenten wollen von Nationalisten angeheizten Konflikt entschärfen

Ungarns sozialdemokratischer Premier Ferenc Gyurcsány und sein slowakischer Amtskollege Robert Fico haben für den kommenden Samstag ein Treffen in der Grenzstadt Komarno/Komáron angekündigt, bei dem eine Entschärfung der seit Wochen schwelenden Spannungen zwischen beiden Ländern diskutiert werden soll. »Wir müssen aufpassen, sonst treiben uns die Nationalisten in den Ruin«, kommentierte Gyurcsány die sich häufenden Übergriffe, Ausschreitungen und Provokationen ungarischer und slowakischer Nationalisten.

Die aktuelle Eskalationsspirale wurde am 1. November während eines Fußballspiels in der slowakischen Kleinstadt Dunajska Streda, einer Hochburg der ungarischen Minderheit, gezündet. Slowakische Polizeikräfte gingen kurz nach Anpfiff massiv gegen den – laut Polizeiangaben – »provozierend auftretenden«, ungarischen Fanblock vor und nahmen dabei 30 Personen fest. Bei 16 der Festgenommenen handelte es sich um ungarische Staatsbürger.

Das harte Vorgehen der slowakischen Sicherheitskräfte, bei dem etliche Menschen teilweise schwer verletzt wurden, nutzten die erstarkenden faschistischen Gruppen in Ungarn unverzüglich aus, um in die Offensive überzugehen. Hunderte Faschisten verbrannten vor der slowakischen Botschaft in Budapest die Fahne des Landes. Die inzwischen mehrere tausend Anhänger zählende ungarische »Nationale Garde«, der paramilitärische Arm der faschistischen Partei »Jobbik«, versuchte am 8. November in der slowakischen Kleinstadt Kralovsky Chlmec der Annektion der Südslowakei im Jahr 1938 durch Ungarn zu gedenken. Ungarn war damals als verbündeter Nazideutschlands an der Zerschlagung der Tschechoslowakei beteiligt.

Am Montag haben Mitglieder von »Jobbik« und »Nationaler Garde« die fünf Grenzübergänge zwischen Ungarn und der Slowakei blockiert. In ungarischen Ortschaften mit slowakischer Minderheit wurden die slowakischen Straßennamen übermalt und slowakische Häuser mit nationalistischen Parolen beschmiert. Auch die oppositionellen ungarischen Konservativen um Viktor Orbán, die eine weitgehende Autonomie der ungarischen Minderheit in der Slowakei unterstützen, sorgen für Unruhe und Mißtrauen in Bratislava.

Angeheizt werden die Spannungen aber auch von Jan Slota, dem Führer der slowakischen Nationalisten. Dessen in der Regierung befindliche, das Bildungsministerium kontrollierende Slowakische Nationalpartei (SNS) bemühte sich beispielsweise vergeblich, die Schulautonomie der ungarischen Minderheit zu unterhöhlen. Berüchtigt sind auch Slotas verbale Ausfälle gegen die mehrere hunderttausend Menschen umfassende ungarische Minderheit in der Südslowakei, die er als eine »mongolische Rasse« beschimpft.

Nahezu alle politischen Kräfte in Ungarn sehen ihr Land als ein »Opfer« des Ersten Weltkrieges, da die Magyarenrepublik im Vertrag von Trianon von 1920 Teile ihres damaligen Staatsterritoriums an die Slowakei, Rumänien und Österreich abtreten mußte. In Bratislava herrscht hingegen eine breite Sorge vor einem erstarkenden, ungarischen Sezessionismus im Süden des Landes vor. Die Magyarisierungspolitik zur Zeit der Habsburger Doppelmonarchie lebt im nationalen Gedächnis der Slowakei ebenso fort, wie die Erinnerung an die Kollaboration der Ungarn mit Nazideutschland im Zweiten Weltkrieg.

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