„Junge Welt“, 21.05.2008
Tschechische Regierung hält am Aufbau der US-Radaranlage fest. Friedensaktivisten im Hungerstreik
Die Proteste gegen den in Tschechien und Polen geplanten Aufbau einer US-Raketenabwehr verschärfen sich. Seit über einer Woche befinden sich die zwei tschechischen Friedensaktivisten Jan Tamas und Jan Bednar in einem unbefristeten Hungerstreik, um gegen die Stationierung einer amerikanischen Radaranlage auf dem 90 Kilometer südwestlich von Prag gelegenen Militärstützpunkt in Brdy zu protestieren. Neben dieser Radaranlage sollen noch zehn Abfangraketen in Nordpolen stationiert werden. Rußland kritisiert dieses Vorhaben aufgrund der damit einhergehenden Einschränkung seiner nuklearen Abschreckungsfähigkeit vehement. Die Hungerstreikenden wollen ihre Aktion so lange fortsetzen, bis die tschechische Regierung sich bereit erklärt, die Verhandlungen mit den USA auszusetzen, ein Referendum in dieser Frage zuzulassen und eine »offene, demokratische Diskussion« über diese essentielle Frage zuzulassen.
Auf einer Pressekonferenz am vergangenen Samstag erklärten Tamas und Bednar, bislang noch keine Reaktionen von der konservativen Regierung erhalten zu haben, doch habe ihr Hungerstreik die Opposition gegen die Radaranlage erneut mobilisiert: »Er sendet ein klares Signal an alle Menschen, die gegen dieses Radar sind«, erklärte Tamas gegenüber der Presse. Die Tschechische Regierung von Premier Mirek Topolanek gab hingegen zumindest indirekt eine Antwort auf die zunehmenden Proteste. Wie die Nachrichtenagentur CTK am Montag meldete, soll die »tschechische Militärpolizei härtere Maßnahmen gegen Touristen in dem Gebiet Brdy« ergreifen. Derzeit besetzen einige Greenpeace-Aktivisten eine Anhöhe in der Region, in deren Nähe das US-Radar errichtet werden soll. Man wolle diesen Hügel »über einen sehr langen Zeitraum okkupieren«, ließen Greenpeace-Sprecher verlauten. Diese Aktion ziehe laut Polizeiaussagen immer mehr »Fahrradfahrer und Touristen« an, gegen die man in dem militärischen Sperrgebiet nun härter vorgehen werde.
Die protestierenden Aktivisten können auf die überwältigende Zustimmung seitens der tschechischen Bevölkerung bauen. Laut einer von dem Meinungsforschungsinstitut Median am 17. Mai veröffentlichten Umfrage lehnen inzwischen bereits 63 Prozent aller 1200 befragten Tschechen die geplante Radaranlage ab, nur 18 Prozent unterstützen dieses Vorhaben, 17 Prozent waren unentschieden. Das sture Festhalten der Regierungskoalition an diesem Projekt läßt deren Umfragewerte in den Keller sinken. Inzwischen würden laut neuesten Erhebungen die oppositionellen Sozialdemokraten (39 Prozent) und Kommunisten (14 Prozent) über eine komfortable Mehrheit im Parlament verfügen. Topolankes konservative ODS kommt mittlerweile nur noch auf 28 Prozent Wählerzuspruch. Seine Juniorpartner in der Koalition, die Christdemokraten und die »Grünen«, kämpfen bereits mit der Fünf-Prozent-Hürde.
Dennoch hält die bürgerliche Regierungskoalition eisern an ihrem Kurs fest. Die Verhandlungen zwischen Prag und Washington bezüglich der Errichtung der Radaranlage gelten bereits als erfolgreich abgeschlossen, während eine zweite Verhandlungsrunde die Modalitäten der Stationierung von US-Truppen in der Tschechischen Republik klären soll. Aus Regierungskreisen verlautete, daß beide Verträge »im Juni oder Juli« unterzeichnet werden könnten.
Diese tschechische Eile nützt ÂWashington aber vorerst wenig, da es ausgerechnet das einstmals eng mit den USA verbündete Polen ist, das sich mit den Verhandlungen Zeit lassen will. Während seiner Lateinamerikareise erklärte der polnische Premier Donald Tusk am 19. Mai, daß die Verhandlungen über die Stationierung von Abfangraketen in Polen noch über »eine lange Zeit« geführt werden müssen. Warschau verlangt im Gegenzug für seine Beteiligung am Raketenschild feste, milliardenschwere Zusagen Washingtons bezüglich der Modernisierung der polnischen Luftwaffe.