„Junge Welt“, 24.04.2008
Industrieproduktion und Konsum im März unerwartet schwach. Trotz vorangegangener Boomjahre Armut weiter problematisch
Polens ehemals rasant wachsende Industrieproduktion stagniert. Überraschend wuchs der Warenausstoß des verarbeitenden Gewerbes der größten Ökonomie EU-Osteuropas im vergangenen März nur um 0,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die meisten Wirtschaftsinstitute und Ökonomen hatten eine Steigerung von sieben bis annähernd acht Prozent erwartet. Dies sei noch keine Katastrophe, kommentierte die Tageszeitung Rzeczpospolita. Doch diese fatalen Konjunkturdaten seinen »ein schlechtes Omen für die polnische Ökonomie«. Im Februar war die Industrieproduktion Polens noch um 15 Prozent gestiegen.
Insbesondere die Möbelbranche, einer der wenigen exportorientierten Wirtschaftszweige Polens, mußte laut Rzeczpospolita im März herbe Umsatzeinbußen hinnehmen. Laut Branchensprechern wird eine »Verlangsamung der Produktion« im zweiten Quartal dieses Jahres erwartet. Neben dem starken Zloty (vor einem Jahr mußten noch um die vier Zloty für einen Euro bezahlt werden, inzwischen nur noch 3,4 Zloty) wird von den Möbelherstellern die »schwächere Nachfrage« in Westeuropa für den Absatzeinbruch verantwortlich gemacht. Das polnische Wirtschaftsministerium will dennoch vorerst an seiner Konjunkturprognose von sechs Prozent Wachstum festhalten.
Wichtigster Konjunkturmotor Polens ist die durch privaten Konsum befeuerte Binnennachfrage. Doch auch hier zeichnen sich erste Bremsspuren ab. Am Dienstag publizierte das polnische Statistische Amt GUS neueste Zahlen zum Einzelhandelsabsatz, der im Jahresvergleich nur um 15,7 Prozent zunahm – erwartet wurde ein Wachstum von »mindestens 20 Prozent«, berichtete die liberale Gazeta Wyborcza. Dieser rasant wachsende Konsum wurde größtenteils durch privater Kreditaufnahme finanziert, die allein im vergangenen Jahr um 39,4 Prozent expandierte. Doch die zunehmende Inflation und die mit ihr einhergehenden Zinserhöhungen lassen diese kreditfinanzierten Wachstumsimpulse versiegen. Die Teuerungsrate in Polen soll im Laufe dieses Jahres noch die Fünf-Prozent-Marke durchbrechen.
Nach einem vierjährigen soliden Aufschwung und am Vorabend der sich nun abzeichnenden konjunkturellen Eintrübung sind die sozialen Probleme Polens immer noch allgegenwärtig. Obwohl seit dem EU-Beitritt des Landes 2004 die Wirtschaft um durchschnittlich 5,3 Prozent wuchs und gleichzeitig Millionen polnischer Arbeitsemigranten gen Westeuropa zogen und so den einheimischen Arbeitsmarkt entlasteten, weist das Land noch immer eine Erwerbslosenrate von ca. zehn Prozent aus. Zudem leben laut einer jüngst von der Europäischen Kommission publizierten Studie 26 Prozent aller polnischen Kinder in Armut – dies ist der höchste Wert innerhalb der EU.
Generell gelten laut der Brüsseler Kommission nahezu 20 Prozent aller Polen als arm, da ihnen weniger als 60 Prozent des statistischen Durchschnittslohns zu Verfügung stehen. Weitere 22 Prozent seinen »von Verarmung bedroht«. Mit dem einsetzendem Konjunkturabschwung dürften diese Verelendung weiter um sich greifen.