„Junge Welt“, 21.04.2008
Polens Gesundheitswesen vor Teilprivatisierung. Rentnern droht Pauperisierung
Polens neoliberale Hardliner um Premierminister Donald Tusk kommen so langsam auf Touren. Am vergangenen Donnerstag legte das mit den Privatisierungen beauftragte Ministerium für Staatsvermögen der Regierung das Privatisierungsprogramm für die Jahre 2008 bis 2011 vor, das noch in dieser Woche offiziell beraten werden soll. Laut MinisteÂriumssprecher Maciej Wewiór würden keinen substantiellen Änderungen der Ministeriumsvorlage im Zuge der Regierungsdebatte mehr erwartet, so daß die vom Ressortchef Aleksander Grad ausgearbeitete Vorlage ohne nennenswerte Abstriche umgesetzt werden dürfte.
Diese jüngste Kapitaloffensive sieht Privatisierungen von 700 Unternehmen vor, die dem polnischen Staat im genannten Zeitraum Mehreinnahmen von 27 Milliarden Zloty (etwa acht Milliarden Euro) bescheren sollen. Hierbei werden auch Minderheitsbeteiligungen des Staates an bereits teilprivatisierten Unternehmen und Aktiengesellschaften abgestoßen. In diesem Jahr soll der polnische Finanzsektor gänzlich in die Hände westlicher Banken überführt werden. So sollen staatliche Beteiligungen in Höhe von 37 Prozent der ehemaligen Genossenschaftsbank BGZ an die niederländische Rabobank abgestoßen werden, die bereits BGZ-Anteile hält und somit Mehrheitseigner dieses Finanzinstituts würde. Des weiteren sollen kleinere Staatsbeteiligungen an der von der italienischen Unicredit kontrollierten, polnischen Bank Pekao SA veräußert werden. Zudem will der Staat die Privatisierung des größten polnischen Finanzinstituts, der PKO BP, fortsetzen, an dem er noch 51,5 Prozent der Aktien hält. Eine dominante Stellung auf dem polnischen Bankensektor haben neben der Unicredit auch die Commerzbank und die Deutsche Bank. Ein weiteres Schwergewicht auf der Privatisierungsliste der rechtsliberalen Koalition bildet die polnische Wertpapierbörse in Warschau.
Die Umrisse der von der Tusk-Administration ausgearbeiteten »Gesundheitsreform« lassen eine legitimierte Klassenmedizin erkennen. Die Krankenhäuser sollen privatisiert und zu »handelsrechtlichen Gesellschaften« umgewandelt werden, wie das kritische Nachrichtenportal infoseite-polen.de meldet. Überdies plant die Regierung Tusk eine freiwillige private »Zusatzversicherung«, mit der die Bevölkerung in mehreren »Ausbaustufen« zusätzliche Leistungen erwerben kann. In der teuersten Variante dieser privaten Krankenversicherung, die mit Beiträgen von umgerechnet bis zu 400 Euro einherginge, sollen die betuchten Patienten laut infoseite-polen.de »Operationstermine selbsttätig wählen, ärztliche Spezialisten konsultieren können und eine »komfortable Krankenhausunterbringung« bekommen – implizit hieße das natürlich, daß der überwiegenden Mehrheit der Patienten, die sich nur die gesetzliche Krankenversicherung ZUS leisten können, all diese Leistungen verwehrt würden.
Jüngst sickerten auch erste Details zur Rentenreform durch, die ebenfalls von Polens Neoliberalen forciert wird. Laut Gazeta Wyborcza könnten die schon ab nächstes Jahr zu zahlenden Renten um bis zu 40 Prozent niedriger ausfallen, als die derzeit ausgezahlten Pensionen. Zudem könnten die Altersbezüge künftig »abschmelzen«, anstatt der Inflationsrate gemäß zu steigen. Nach der neuen Rentenformel werden die in die Versicherung eingezahlten Beiträge bei Rentenantritt durch die Altersdifferenz des Rentners zur durchschnittlichen Lebenserwartung geteilt. Hierdurch wird Frauen – die eine längere Lebenserwartung aufweisen – generell ein niedrigeres Rentenniveau verordnet.