»Der Einfluß der Kirche ist enorm«

„Junge Welt“, 23.08.2007
Polens katholische Kirche erhält jährlich etwa 1,3 Milliarden Euro öffentlicher Gelder, auch von der EU. Ein Gespräch mit Jan Baranski

Jan Baranski ist Vorsitzender der polnischen antiklerikalen Partei RACJA (racja.org.pl)

Laut Verfassung ist Polen ein laizistischer Staat. Gilt diese theoretische Vorgabe auch in der politischen Praxis?

Die politische Praxis entfernt sich oft von den rechtlichen Deklarationen. Ein Beispiel für die Richtigkeit dieser These war die Ratifizierung des Konkordats zwischen der Republik Polen und dem Vatikan durch das polnische Parlament 1998, das eindeutig gegen Verfassungsbestimmungen verstieß. Einige Politiker initiierten damals eine Beschwerde beim Verfassungsgericht, die von ihren Parteiführungen jedoch ausgebremst wurde.

Dieses untertänige Verhalten gegenüber der katholischen Kirche resultiert aus deren starker Position, die sie in Jahrhunderten aufgebaut hat. Die kirchliche Hierarchie mischt sich inzwischen in die Politik ein, sie agitiert bei Wahlen offen für ihre Kandidaten. Der Einfluß der Kirchenhierarchie auf die Politik ist so enorm, daß selbst die sozialdemokratische »Vereinigung der Demokratischen Linken« (SLD), die ja ein linkes Programm deklarierte und zwischen 2001 und 2005 regierte, mit der Kirche umfassend zusammenarbeitete. Im Tausch für ökonomische Privilegien und andere Vorteile erhielt die SLD die kurzfristige Unterstützung der Kirche beim Referendum zum EU-Beitritt Polens. Aber schon 2005 wurde die SLD abgewählt.

Diese der Linken eigentlich fremde Politik der Sozialdemokraten sowie der immer stärker wahrnehmbare Einfluß der Kirche auf die polnische Gesellschaft führten 2002 zur Gründung unserer linken antiklerikalen Partei – der RACJA Polskiej Lewicy. Seit fünf Jahren bemühen wir uns, der Gesellschaft die Idee eines laizistischen, weltanschaulich neutralen Staates nahezubringen. Wir erklären dabei beharrlich, nicht gegen Gott oder die Religion zu kämpfen. In unseren Reihen finden sich auch gläubige Menschen.

In Polen gilt die Kirche als eine moralische Instanz. Ist sie aber nicht vor allem eine wirtschaftliche Größe?

Die Kirche erscheint in ihren Verboten und ihrer Lehre den Gläubigen als eine moralische Größe. Zudem erfuhr die polnische Kirche eine massive Unterstützung durch den polnischen Papst Johannes Paul II. Unter diesen Bedingungen konnte die Kirche ihre Besitzungen und ihre ökonomische Macht ausbauen. Mit ihrer Gier versetzt sie sogar Gläubige in Erstaunen. Dies geschieht unter dem Vorwand, vom Staat illegal enteignete Besitztümer zurückzuerhalten. Die Dimensionen der Rückgaben von Immobilien und Grundstücken hat schon längst jegliche Verhältnismäßigkeit überstiegen – doch der Kirche reicht es immer noch nicht. Sie kann dabei die politische Konjunktur ausnutzen und auch die Kompromißbereitschaft vieler um ihre Wiederwahl bangender Politiker.

Wir sollten auch die Fördermittel der EU nicht vergessen. Die europa­skeptische Kirche besitzt zur Zeit mehr als 160000 Hektar Agrarland, sie erhält hierdurch jährlich an die 26 Millionen Euro von der EU. Allgemein gesprochen kann man dank statistischer Daten und anderer Informationsquellen davon ausgehen, daß die katholische Kirche in Polen jährlich etwa 1,3 Milliarden Euro öffentlicher Gelder erhält. Die RACJA verfolgt im Rahmen ihrer Möglichkeiten diese Vorgänge. Wir zählen darauf, daß die Zeit kommen wird, in der diese illegale und unverschämte Bereicherung beendet wird.

Auf welche weiteren Sphären der polnischen Gesellschaft hat der Klerus Einfluß?

Eine Schlüsselrolle bei der klerikalen Indoktrination spielt die in den 90er Jahren durchgesetzte Einführung des Religionsunterrichts an den polnischen Schulen. Anfangs spielte sich das in einer rechtlichen Grauzone ab, und die Lehrenden arbeiteten ohne Lohn. Später wurden die kirchlichen Religions­lehrer auch bezahlt. Aktuell wird die Aufwertung der Religionsnote forciert, indem sie in die Berechnung der Durchschnittsnote beim Abitur einfließen soll.

Der Klerus hat seine Leute, seine Kaplane in nahezu allen öffentlichen Diensten und bewaffneten Formationen, in verschiedenen Bereichen der Öffentlichkeit. Der Punkt ist, das dieses Engagement ein Mittel ist, um die Finanzierung der Kirche zu erweitern. Der auf Staatskosten durchgeführte Religionsunterricht soll zwischen 150 bis 200 Millionen Euro jährlich kosten. Alle katholischen Universitäten und Schulen verschlingen pro Jahr weitere 25 Millionen Euro an öffentlichen Geldern. Um die staatlichen Finanzen zu schützen, schlägt ­RACJA vor, eine freiwillige Kirchensteuer einzuführen, die von den Gläubigen deklariert wird.

Wir sollten auch nicht die anderen Lebensbereiche vergessen. In Polen haben wir eine der restriktivsten Abtreibungsregelungen. Künstler haben oft Schwierigkeiten, wenn ihre mutigen und liberalen Arbeiten der Klassenhierarchie mißfallen – sie werden dann wegen der »Beleidigung religiöser Gefühle« angeklagt. Der Klerus möchte allgemein seine religiösen Gebote zu verbindlichen Rechtsnormen transformiert sehen. Diese Fakten beweisen, daß Polen inzwischen ein konfessionell geprägter Saat ist.

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