„Junge Welt“, 08.08.2007
Abhängigkeit von russischen Energielieferungen soll vermindert werden. Stärkere Kooperation mit Venezuela und Bau eines Atomkraftwerks geplant
Der Ausbruch eines neuen »Gaskrieges« zwischen der Republik Belarus und der Russischen Föderation konnte in letzter Minute zumindest vorläufig verhindert werden. Wie der russische Gasmonopolist Gasprom am Wochenende mitteilte, überwies Minsk am vergangenen Freitag 190 Millionen US-Dollar auf die Konten des Staatskonzerns. Die belarussischen Schulden für russisches Erdgas belaufen sich insgesamt auf 456 Millionen US-Dollar. Zur Jahreswende wurde im Zuge ähnlicher Auseinandersetzungen zwischen den beiden, ehemals eng verbündeten Ländern der ErdgasÂtransit nach Westeuropa kurzzeitig unterbrochen. Damals setzte Rußland eine Verdopplung des Preises für an Belarus zu lieferndes Erdgas durch.
Laut der russischen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti ordnete Präsident Alexander Lukaschenko die Überweisung der ersten Schuldenzahlung »wie schon gewohnt« in letzter Minute an. Moskau hatte seinem westlichen Nachbarland gedroht, ab Freitag zehn Uhr die Gaslieferung zu halbieren, falls die Verbindlichkeiten nicht beglichen würden. Lukaschenko habe die Regierung angewiesen, den fälligen Betrag aus dem belarussischen staatlichen Reservefonds zu entnehmen. Der Reservefonds werde zwar dadurch nahezu ausgeschöpft, doch gebe es »andere Staaten, zum Beispiel Venezuela, sowie ausländische Banken«, die bei der Finanzierung einspringen würden, berichtete RIA-Nowosti.
Kreditgeber gesucht
Tatsächlich bestätigte der venezolanische Finanzminister Rodrigo Cabezas Donnerstag nacht, daß ein Kredit an Belarus in Erwägung gezogen werde, doch sei das Finanzministerium noch nicht über die Details informiert: »Das ist eine Angelegenheit, die derzeit durch das Außenministerium behandelt wird«, so Cabezas gegenüber der Financial Times. Ein Kredit Venezuelas an Minsk wäre nicht sonderlich überraschend, da beide Länder in letzter Zeit eine sehr enge ökonomische Zusammenarbeit entwickelt haben und insbesondere die militärische Kooperation intensivierten. Bei einer Staatsvisite in Belarus im Juni bezeichnete Hugo Chávez seinen belarussischen Amtskollegen als einen »Kampfgefährten«. Bei einer Reihe von strategischen Abkommen wurden Joint-Venture-Projekte im Energiesektor sowie ein bilateraler Investitionsfonds in Höhe von 500 Millionen US-Dollar vereinbart. Zudem soll Venezuela belarussische Waffensysteme im Wert von einer Milliarde US-Dollar erwerben.
Immer noch nicht zum Abschluß gebracht wurden die Verhandlungen um ein russisches Darlehen in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar. Moskau stellte mehrfach einen »Stabilisierungskredit« von 1,5 bis zwei Milliarden US-Dollar in Aussicht, doch Lukaschenko bezeichnete die Konditionen als »inakzeptabel«. Ähnlich verhielt es sich mit einem Angebot Gasproms in Höhe von 500 Millionen US-Dollar. Die belarussische Führung scheint deshalb entschlossen, neben Venezuela auch bei westlichen Finanzinstitutionen vorstellig zu werden. Die Devisen benötigt Minsk, um das ausufernde Außenhandelsdefizit zu decken, das allein zwischen Januar und Mai dieses Jahres 1,45 Milliarden US-Dollar betrug.
Die russischen Preiserhöhungen für Erdgas und Erdöl schlagen sich inzwischen in ersten Kürzungen im gut entwickelten Sozialsystem des Landes nieder. So wurden die ermäßigten Eisenbahntarife für Studenten und Rentner abgeschafft. Über massive Verluste von 120 Millionen US-Dollar im ersten Quartal 2007 klagen auch die Erdölraffinerien des Landes, die zuvor das billig aus Rußland importierte Erdöl verarbeiteten und dann auf dem Weltmarkt verkauften. Dennoch wendet sich Präsident Lukaschenko immer noch gegen eine massive Privatisierung der belarussischen Wirtschaft, die sich zu einem Großteil im Staatsbesitz befindet. Am 2. August beschuldigte er Rußland ausdrücklich, den Ausverkauf des Landes zu betreiben: »Erstmals erlaube ich es mir, laut und vernehmlich darüber zu sprechen: Rußland will nicht nur vereinzelte Betriebe privatisieren. Umsonst wollen sie sie sogar haben. Sie möchten das ganze Land privatisieren«, zitiert RIA-Nowosti den aufgebrachten Staatschef, der nicht zuletzt wegen seiner Wirtschaftspolitik im Westen als der »letzte Diktator Europas« gilt. Neben einer Verdopplung des Erdgaspreises mußte Minsk Anfang des Jahres dem Verkauf von 50 Prozent der staatlichen Gastransportgesellschaft Beltransgas an Gasprom zustimmen.
AKW-Deal mit Moskau
Um die nahezu totale Abhängigkeit von russischen Energieträgern zu verringern, sucht Minsk nach Alternativen. Wie RIA-Nowosti berichtete, will die belarussische Führung alte Pläne zum Bau eines Atomreaktors wiederbeleben. Schon in den 80ern war ein Standort für den Bau eines AKW in dem Land festgelegt worden, doch nach dem Super-GAU von Tschernobyl wurde dieses Vorhaben zu den Akten gelegt. Die Republik Belarus war von dem radioaktiven Fallout am stärksten betroffen, selbst heutzutage sind einige der südlichen Bezirke des Landes noch stark kontaminiert. Vor kurzem hat Belarus nun offiziell eine Ausschreibung für den AKW-Bau veröffentlicht, der aber praktisch nur von Rußland realisiert werden könnte. Nach Einschätzung von Andrej Susdalzew von der Moskauer Wirtschaftshochschule bietet Minsk damit Moskau einen Deal an: »Wenn die Gasverschuldung Weißrußlands gestrichen wird, verspricht Minsk Moskau den AKW-Bauauftrag.«