„Junge Welt“, 17.97.2007
Auf Immobilienjagd in Polen: Nach Deutschland emigrierte »Spätaussiedler« kehren nach Masuren zurück und stellen Rückgabeforderungen
Das verschlafene, in tiefster masurischer Provinz gelegene polnische Dörfchen Narty erlangte Ende Juni landesweite Berühmtheit. Zum ersten Mal gelang es deutschen Vorbesitzern, ihr ehemaliges Eigentum vor polnischen Gerichten einzuklagen und die jetzigen Eigentümer de facto zu enteignen. Die nun von einer Zwangsräumung aus ihrem Einfamilienhaus betroffene Familie erwarb ihre Immobilie Ende der 70er Jahre vom polnischen Staat, nachdem die Vorbesitzerin bereits 1977 als sogenannte Spätaussiedlerin nach Deutschland emigrierte. Die Auswanderin erhielt von der BRD im Rahmen des deutschen Lastenausgleichsgesetzes eine Entschädigung für ihren Besitzverlust, die sie aber inzwischen zurückzahlte und sich statt dessen entschloß, vor polnischen Gerichten auf Eigentumsrückgabe zu klagen. Die derzeitigen Bewohner müssen nun bis 2008 ihr Haus verlassen, es soll nach dem Willen der neualten Eigentümerin abgerissen werden.
Privatisierungsfolgen
Doch Narty – wo insgesamt fünf Familien von Räumungen bedroht sind – ist mit diesem spät ausgesiedelten Problem nicht allein: Im Landkreis Jedwabno, in dem das Dörfchen Narty liegt, sind an die 60 Klagen mit Rückgabeforderungen vor Gerichten anhängig, wie der Landkreisvorsteher Wlodzimierz Budneg gegenüber der Tageszeitung Rzeczpospolita erklärte. Insgesamt sollen die deutschen Klagen auf Rückgabe von Grundbesitz inzwischen zu einer kleinen Prozeßlawine von 200 Verfahren angeschwollen sein, die hauptsächlich in der polnischen Wojewodschaft Warmia i Mazury – dem ehemaligen »Ostpreußen« – von Spätaussiedlern geführt werden.
Den um ihr ehemaliges Eigentum prozessierenden Deutschen kommt die komplette Umformung des polnischen Rechtsystems im Zuge der chaotisch und stürmisch verlaufenden Systemtransformation nach 1989 zugute. Bei der umfassenden, mit der Brechstange innerhalb weniger Jahre durchgeführten Privatisierung von Immobilien und Grundstücken wurde offenbar nicht in allen Ortschaften der Aktualisierung der Grundbücher besondere Aufmerksamkeit zuteil. Die nun massenhaft klagenden Spätaussiedler berufen sich auf diese uralten Einträge in den Grundbüchern ihrer ehemaligen Heimatgemeinden, in denen teilweise noch ihre Namen vermerkt sind. Die polnische Regierung überwies als Sofortmaßnahme Finanzmittel nach Olsztyn, die Hauptstadt der Wojewodschaft Warmia i Mazury, um die Grundbücher in dieser Region möglichst schnell zu aktualisieren, also die Namen der deutschen Vorbesitzer aus ihnen zu tilgen.
Dennoch mußten Regierungsstellen aber einräumen, die genaue Anzahl der von deutschen Rückgabeforderungen bedrohten Immobilien und Grundstücke nicht ermitteln zu können. Der polnische Europaparlamentsabgeordnete Boguslaw Rogalski betonte zudem gegenüber den Medien, daß in der Wojewodschaft Opole nur 19 Prozent aller Grundbücher aktualisiert seien, in anderen Regionen solle es Rogalski zufolge auch nicht besser aussehen. Laut einem Bericht von Rzeczpospolita soll aber mittelfristig eine großangelegte »Durchforstung aller Grundbücher auf den Territorium der wiedergewonnenen Gebiete stattfinden«.
Rechte Demagogie
Die Angst vor dem deutschen »Drang nach Osten« unter den Haus- und Grundstücksbesitzern Masurens greifen geschickt die Demagogen der polnischen Rechten auf. Der Vorsitzende der rechtsextremen »Liga der Polnischen Familien« (LPR), Polens Bildungsminister Roman Giertych, reiste persönlich zu der betroffenen Familie, um ihr seine Unterstützung anzubieten. Laut der LPR sollen auf allen von deutschen Rückgabeforderungen bedrohten Häusern polnische Fahnen gehißt werden. Der LPR-Politiker und Vizemarschall des polnischen Sejm, Janusz Dobrosz, bezeichnete die bisherigen Gerichtsurteile polnischer Gerichte als »schändlich« und gegen die »polnischen Interessen gerichtet«. Die als kleiner Koalitionspartner in der Regierung des Premiers Jaroslaw Kaczynski aktive LPR forderte zudem die etwaige Übernahme von Entschädigungszahlungen an die deutschen Vorbesitzer durch den Staat, um so Zwangsräumungen zu verhindern. Zudem wurden von den Rechten »komplexe rechtliche Lösungen« dieses Problems angemahnt.
Die LPR griff außerdem die derzeitige deutsche Regierung scharf an. Berlin sei für die entstandene Situation verantwortlich, da die deutsche Politik und das deutsche Rechtssystem die Spätaussiedler zum Kampf um ihre ehemaligen Besitztümer in Polen ermuntere. Anfang Juli forderte Polens Außenministerin Anna Fotyga Deutschland erneut auf, einen völkerrechtlich verbindlichen, bilateralen Vertrag abzuschließen, der jegliche Rückgabe- oder Entschädigungsforderungen deutscher Bürger gegenüber der Republik Polen oder polnischen Bürgern einer juristischen Grundlage entziehen würde. Bislang verweigert Berlin ein solches, schon mehrmals von Warschau gefordertes Abkommen.