„Junge Welt“, 21.06.2007
Angriff auf streikende Krankenschwestern in Warschau
In Warschau streiken seit Wochen Hunderte Angehörige des staatlichen Gesundheitswesens. Ihr Protest richtet sich gegen schlechte Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Eine Krankenschwester verdient nach über 30jährigem Dienst nicht einmal 300 Euro.
Am Mittwoch morgen griffen in Warschau fast 400 Polizisten eine Straßenblockade streikender Schwestern an, die die Durchgangsstraße vor der Kanzlei des polnischen Regierungschefs Jaroslaw Kaczynski (PiS) okkupierten. Die Demonstranten hatten sich dazu entschlossen, nachdem sie den Kontakt zu ihrer vierköpfigen Delegation verloren hatten, die dem Premier eine Petition überreichen sollte. Es waren Gerüchte aufgekommen, daß die Delegation verhaftet sei. Als zudem die Mitarbeiter der Kanzlei den übrigen Krankenschwestern den Zutritt zum Gebäude verwehrten, blockierten die Protestierenden die Straße.
Nach der Polizeiaktion mußten drei Krankenschwestern ins Krankenhaus eingeliefert werden. Sympathisanten aus der Bevölkerung brachten ihren weiter protestierenden Kolleginnen Zelte, Nahrungsmittel und Decken. Die ersten Zelte wurde unweit der Regierungsgebäude aufgebaut.
In Richtung Warschau fahren inzwischen nicht nur mit Krankenschwestern besetzte Busse. Die Gewerkschaft »August 80«, in der hauptsächlich Bergarbeiter, Landwirte und Hüttenarbeiter organisiert sind, schickte bereits erste Fahrzeuge mit ihren Aktivisten gen Warschau. Der Vorsitzende von »August 80«, Boguslaw Zietek, kritisierte die Polizeiaktion vehement: »Wir nehmen mit Empörung das Vorgehen der Regierung Kaczynski zu Kenntnis, die sich anstelle von Verhandlungen entschloß, Polizeikräfte gegen Krankenschwestern und Hebammen einzusetzen.« Diese schmachvolle Polizeiintervention weise laut Zietek die Richtung, in die die derzeitige Regierung strebe. Anstatt des von der PiS versprochenen »solidarischen Staates« seien nun die Umrisse des »Polizeistaates« erkennbar, erklärte Zietek.
Für den kommenden Samstag plant die Gewerkschaft einen gegen Ausbeutung und den Bruch von Arbeiterrechten gerichteten Protestmarsch in Warschau. Nach den Polizeiübergriffen kündigte »August 80« an, die Demonstration zu einer Solidaritätskundgebung für die streikenden Krankenschwestern umzuwandeln. »Nach Warschau werden Tausende von kämpferisch eingestellten Bergleuten strömen, die garantiert nicht freundlich gegenüber den uniformierten Damenboxern sein werden«, erklärte Zietek, der überdies andere Gewerkschaften zur Ausrufung eines Generalstreiks aufforderte.
Inzwischen erklärte sich auch die polnische Lehrergewerkschaft mit den Streikenden solidarisch. Die Gewerkschaft Solidarnosc griff den Vorschlag Zieteks auf. Der Landesrat der Solidarnosc gab am Mittwoch nachmittag bekannt, die Vorbereitungen zu einem landesweiten Streik einzuleiten.