„Junge Welt“, 12.05.2007
Die verfeindeten polnischen Expräsidenten Walesa und Kwasniewski wollen in einer »Bewegung für Demokratie« die Kaczynski-Zwillinge stoppen
Am vergangenen Montag meldete die polnische Springer-Zeitung Dziennik eine mittlere Sensation. Die ehemals zutiefst verfeindeten Expräsidenten Polens, Lech Walesa und der Sozialdemokrat Alexander Kwasniewski, wollen gemeinsam in der vor kurzem gegründeten »Bewegung für Demokratie« dem Erstarken autoritärer Tendenzen in Polen entgegentreten. Vor dem Wahlsieg der Kaczynski-Zwillinge brachte der ehemalige Solidarnosc-Anführer Walesa dem neoliberal gewendeten Jungkommunisten Kwasnieski vermutlich nur Verachtung entgegen: Er würde ihm höchstens den Fuß reichen, niemals die Hand, verkündete einstmals Walesa über seinen jetzigen Bündnispartner.
Vereint hat diese Politprominenz der 3. Polnischen Republik die Sorge über die anhaltende Aushöhlung »demokratischer Grundsätze und Prinzipien«, die von der derzeitigen rechtskonservativen Regierung Polens nach Ansicht der Expräsidenten betrieben werde. Am 17. Mai findet eine großangelegte Konferenz in der Warschauer Universität statt, die als Startschuß der neuen Bürgerrechtsbewegung dienen soll. Mit dem ehemaligen polnischen Außenminister Bronislaw Geremek und dem ersten Ministerpräsidenten der 3. Republik, Tadeusz Mazowiecki, schlossen sich weitere bekannte Politiker der »Bewegung für Demokratie« an. Über hundert Prominente aus Politik, Kultur und Wissenschaft sagten ihr Engagement in der neuen Gruppierung bereits zu. Kwasniewski wirft der von der rechtskonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) geführten Koalition vor, das polnische Verfassungsgericht entmachten zu wollen, Druck auf die Justiz auszuüben sowie »Pressefreiheit« einzuschränken.
Doch Ungemach droht der polnischen Regierung auch von ganz anderer Seite: Zur Zeit prüft das von der PiS mit einer gehörigen Portion Mißtrauen bedachte Verfassungsgericht, ob das kürzlich erlassene Gesetz über die »Durchleuchtung« ganzer Berufsgruppen auf eventuelle Zusammenarbeit mit Sicherheitsdiensten der Volksrepublik Polen mit der Verfassung im Einklang steht. Die polnischen Verfassungsrechtler sind derzeit nicht allzu gut auf die Kaczynski-Zwillinge zu sprechen. Während einer Ansprache am 3. Mai stellte Präsident Lech Kaczynski die rhetorische Frage, ob es denn so »gut« sei, wenn einige Rechtsgelehrte – gemeint war das Verfassungsgericht – so »viel Macht in ihren Händen haben«. Der als »Lustration« bezeichneten Denunziation widersetzen sich inzwischen neben etlichen Journalisten auch bekannte Politiker, wie Mazowkiecki und Geremek, dem die PiS mit dem »Entzug« seines Mandats für das EU-Parlament droht.
Die PiS reagiert auf diesen Widerstand in bewährter Manier – mit der Intensivierung der antikommunistischen Hysterie: Wenn er die Namen der an der »Bewegung für Demokratie« beteiligten Personen lese, so »erinnere ich mich, daß viele von ihnen ›Lenin lebt ewig‹ gerufen haben«, erklärte der PiS-Abgeordnete Marek Suski gegenüber der Presse. Präsident Lech Kaczynski erklärte zudem schon vorsorglich, die gesamten Archive aller Sicherheitsdienste der Volksrepublik Polen »zu öffnen«. Das wäre zwar eine »brutale Lösung«, da die Lebensläufe vieler Menschen dann praktisch zu »öffentlichem Eigentum« würden, aber er sehe im Falle einer Ablehnung des Gesetzentwurfes durch das Verfassungsgericht »keine andere Lösung«.
Neben dieser genüßlich zelebrierten, antikommunistischen Gespensterjagd betreibt die polnische Rechte gegenwärtig auch eine Politik zum Gruseln. Jüngst wurde eine Intensivierung des Kampfes gegen illegale Abtreibungen angekündigt. Verdeckte Ermittler sollen unter Bruch des Arztgeheimnisses den Frauen auf die Schliche kommen, die das strenge Abtreibungsrecht Polens zu umgehen suchen. Kürzlich wurde aus den Reihen der Koalition allen Ernstes ein Verbot von Miniröcken gefordert, da diese »zum Sex verlocken« würden. Ab dem kommenden Schuljahr müssen Polens Schüler auch wieder Schuluniformen tragen, um »die Modenschau auf dem Schulhof« zu unterbinden, wie es aus Regierungskreisen hieß.