„Junge Welt“, 05.05.2007
Gespräch mit Radim Gonda. Über den Kampf gegen die geplante US-Raketenabwehr und die staatliche Repression gegen die kommunistische Opposition in Tschechien
Radim Gonda ist stellvertretender Vorsitzender des Kommunistischen Jugendverbandes Tschechiens (KSM)
Die Auseinandersetzung über den Aufbau der amerikanischen Raketenabwehr bestimmt zur Zeit die öffentliche Debatte in Tschechien. Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung bezüglich der in Ihrem Land geplanten US-Radarstation?
Gemäß mehrerer Umfragen sind zwischen 68 und 82 Prozent der tschechischen Bevölkerung gegen den Plan, eine US-Militärbasis in der Tschechischen Republik zu errichten. Zudem fordert eine eindeutige Mehrheit, dieses Problem durch ein Referendum zu entscheiden. Gegen die geplante Militärbasis sind außerdem die Einwohner des benachbarten Dorfes Trokavec. Die Menschen dort haben bereits ein lokales Referendum organisiert, in dem die überwiegende Mehrheit sich klar gegen den Militärstützpunkt aussprach. Nur eine Person votierte für die Errichtung der US-Basis. Außerdem sind die lokalen und kommunalen Vertreter und Autoritäten aktiv im Kampf gegen den Stützpunkt beteiligt.
Es gab viele Proteste gegen diese Militärbasis in Tschechien. Können Sie uns einen Überblick geben? Wie oft finden Demonstrationen statt, wie viele Menschen nehmen an ihnen teil?
Es gab im ganzen Land eine Reihe von öffentlichen Protesten, an denen Tausende Menschen teilnahmen. Es ist aber besonders wichtig, auf die Tatsache zu verweisen, daß die Autoritäten mit einer Mobilisierung der Bevölkerung insgesamt gegen die US-Militärbasis konfrontiert sind und dagegen offen antidemokratische Schritte unternahmen. Sie verboten bis jetzt zweimal Protestaktionen, die von dem breit angelegten Bündnis »Keine Militärbasen« organisiert wurden. Dennoch führte das Bündnis mit aktiver Beteiligung des KSM die beiden verbotenen Demonstrationen durch. Es gibt eine Tendenz in unserem Land, die fundamentalen demokratischen Rechte zu beschneiden. Dieser Prozeß begann mit der antikommunistischen Hexenjagt und dehnt sich nun langsam auch auf andere politische Kräfte aus. Davor hat der KSM schon lange gewarnt.
Welche Parteien und politischen Kräfte organisieren den Widerstand gegen die Raketenbasis? Welche Rolle spielen KSM und die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM) beim Organisieren der Proteste?
Die KSCM ist die einzige Partei, die aktiv eine Kampagne gegen die US-Militärbasis in der Tschechischen Republik führt. Die KSCM kooperiert dabei sehr erfolgreich mit dem KSM. Wir organisieren gemeinsam Demonstrationen, öffentliche Debatten und eine Unterschriftensammlung.
Aber auch die Haltung zweier anderer Parteien in dieser Frage sollte erwähnt werden – die der Grünen und die der Sozialdemokraten. Die Grüne Partei ist derzeit an der Regierung von Premier Mirek Topolanek beteiligt. Noch während des Wahlkampfes im Frühjahr 2006 forderte sie vehement die Durchführung eines Referendums über die Raketenbasis. Die Grünen profilierten sich als antimilitaristische Partei und wirkten so auf viele, vor allem junge Menschen anziehend. Jetzt befürworten sie völlig prinzipienlos die US-Basis unter der absurden Vorbedingung, sie solle in die Strukturen der NATO integriert sein. Ihr Verhalten in dieser Frage wie auch ihre antikommunistische Politik riefen inzwischen Kritik ausländischer Schwesterparteien hervor.
Die Position der tschechischen SozialÂdemokraten zum US-Militärstützpunkt ist ebenfalls eines detaillierten Kommentars wert. Die Verhandlungen über den Aufbau der Raketenbasis in der Tschechischen Republik starteten nämlich in der Regierungszeit der Sozialdemokraten 1998 bis 2006. Zudem erklärte ihr damaliger Vorsitzender, Jiri Paroubek, nach anfänglich unklaren Äußerungen, daß er die US-Basis unterstütze. Als aber die Sozialdemokraten von der Macht verdrängt wurden, erklärten sie offiziell ihre Ablehnung und unterstützten die Forderung nach einem Referendum. Zugleich gibt es wichtige Stimmen aus ihren Reihen, die sich für die Militärbasis aussprechen. Generell kann man sagen, daß die Position der Sozialdemokraten von ihrer Rolle als Opposition bestimmt wird. Sie wollen aus der überwältigenden Ablehnung der US-Basis durch die tschechische Bevölkerung maximales politisches Kapital herausschlagen. Wie ich schon sagte, der einzige beständige Gegner des Stützpunkts unter den Parteien ist die KSCM
Welche parlamentarischen Initiativen startete die Kommunistische Partei, um den Bau der amerikanischen Radarbasis zu verhindern?
Die KSCM brachte ein Gesetz zur Durchführung eines Referendums über den Militärstützpunkt ein, das aber im Parlament nicht die nötige Mehrheit fand. Zur Zeit bereiten die Abgeordneten der KSCM ein weiteres Gesetz über ein Referendum vor, das bald dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Der Streit um das Referendum und um direkte Demokratie ist äußerst aussagekräftig bei der Beantwortung der Frage, wer tatsächlich für die Volkssouveränität kämpft, und wer zwar oft das Wort »Demokratie« benutzt, aber zugleich jeden Versuch bekämpft, den Menschen reelle Macht in die Hände zu geben. Ich habe bereits die opportunistischen Standpunkte der Grünen und der Sozialdemokraten erwähnt. Bei den rechten Parteien sieht es so aus: Die Bürgerdemokraten (ODS) unter Führung Topolaneks lehnen ein Referendum generell ab. Sie behaupten, die Menschen wären nicht kompetent, um über Fragen der nationalen Sicherheit zu entscheiden. Die ODS kämpft für die Interessen der USA, um ihre Zuverlässigkeit als Bündnispartner zu beweisen. Eine weitere rechte Regierungspartei, die rechtszentristische Christlich-Demokratische Volkspartei, unterstützt die Linie der ODS.
Die Haltung zu einem nationalen Referendum dokumentiert die Einstellung der Parteien zur Demokratie. In Mediendebatten, vor allem im Fernsehen, wurde die Kommunistische Partei wiederholt als eine undemokratische Organisation bezeichnet – ein Argument, das von den anderen Parteien instrumentalisiert wird, um uns als erstrangigen politischen Gegner zu delegitimieren.
So kann man hierzulande die antikommunistischen Kräfte beobachten, wie sie die Menschen mit den »antidemokratischen« Kommunisten ängstigen, mit den Kommunisten, die jahrelang für die Institution des Referendums kämpfen. Dazu kam das Verbot des KSM – einer Organisation junger Menschen. Offiziell wurde es ausgesprochen, weil der KSM die Produktionsmittel in die Hände und unter Kontrolle der arbeitenden Menschen geben will. Die Produktionsmittel sollen dem Zugriff der ausbeuterischen kapitalistischen Konzerne entrissen werden, die über das Schicksal von Millionen Menschen bestimmen, ohne jemals irgendeiner demokratischen Kontrolle unterzogen worden zu sein. Die Staatsmacht behauptet, die Verteidigung des Kapitalismus unter Verletzung elementarer demokratischer Rechte geschehe zur Verteidigung der Demokratie. Schwarz ist weiß, und Unterdrückung ist Freiheit.
Sie sprachen gerade das Verbot der Jugendorganisation der KSCM, des KSM, durch den tschechischen Staat an. Ungeachtet dessen scheint sich der KSM sehr aktiv am Widerstand gegen die geplante Militärbasis zu beteiligen. Wie verläuft der Kampf des KSM unter verschärfter Repression?
Tatsächlich war der KSM die erste Organisation in unserem Land, die eine Kampagne gegen den Aufbau der US-Militärbasis gestartet hat. Unsere Aktivitäten folgen zwei Vorgaben: Erstens, der KSM organisiert seine eigene kommunistische Kampagne zusammen mit der KSCM und einigen anderen Organisationen. Zweitens ist der KSM aktiv in einer breiteren Initiative, dem besagten Bündnis »Keine Militärbasen«, das eine politische Koalition unterschiedlicher Kräfte darstellt. Der KSM verlangt in seinen Kampagnenpublikationen die Veröffentlichung aller Dokumente, die in Zusammenhang mit den Geheimverhandlungen über die Militärbasis stehen. Wir treten diesen militaristischen Plänen lautstark entgegen und fordern ein Referendum in dieser entscheidenden, für das gesamte Land und alle Einwohner ungemein wichtigen Frage.
Unsere Kampagne verlief bisher sehr erfolgreich. Der KSM organisierte viele öffentliche Protestaktionen, Demonstrationen und Debatten. Es läuft zudem eine sehr erfolgreiche Petitionskampagne, mit der bislang 85000 Unterschriften gegen die US-Basis gesammelt werden konnten. Das ist ein großer Erfolg, wenn man bedenkt, daß die Petition vom KSM organisiert wurde – einer offiziell vom Staat aufgelösten Jugendorganisation. Eine parallel organisierte Petition der Initiative »Keine Militärbasen« brachte bisher zusätzliche 25000 Unterschriften ein. Die Arbeit des KSM unter den Menschen auf der Straße ist auch deshalb so wichtig, weil sie zeigt, daß diese verbotene Jugendorganisation in der ersten Reihe für die konkreten Forderungen der Mehrheit kämpft.
Lassen Sie mich da nachhaken: Gibt es konkrete Repressionsmaßnahmen gegen den KSM, oder handelt es sich beim Verbot um einen eher formellen Akt, der Unsicherheit schaffen soll? Müssen Mitglieder des KSM mit Schikanen, Behinderungen rechen? Kann der KSM bei den von ihm organisierten Protesten weiterhin öffentlich unter seinem Namen auftreten?
Die Delegalisierung der KSM ist nicht nur ein formeller Akt. Sie ist Teil einer Kampagne zur Zerstörung der kommunistischen Bewegung in unserem Land. Wenn die Gerichte die Entscheidung des Innenministeriums bestätigen und der KSM seine Arbeit fortsetzt, dann würden Mitglieder des KSM persönlich wegen des Verstoßes gegen dieses Verbot angeklagt werden. Also existiert die reale Gefahr, daß junge Kommunisten in der Tschechischen Republik inhaftiert werden. In den vergangenen Jahren gab es bereits entsprechende Versuche, wie z. B. den Prozeß gegen David Pecha. Die antikommunistische Politik des Staates wird immer repressiver, der Druck auf Kommunisten wird intensiviert. Ich möchte nur erwähnen, daß der extrem antikommunistische Senator Martin Mejstrik im Fernsehen vor gar nicht langer Zeit die Verhaftung des KSM-Vorsitzenden forderte. Es gab Vorfälle, bei denen Mitglieder der KSM unter absurden Vorwänden auf Polizeistationen verhört wurden. Unsere öffentlichen Aktivitäten werden unter dem Namen unserer Organisation durchgeführt, und sie werden sehr genau von der Polizei beobachtet.
Hinzu kommen Provokationen und gezielte Desinformationen, um den KSM zu diskreditieren und öffentliche Unterstützung für seine Auflösung zu schaffen. Um solch eine eindeutige Lüge handelte es sich, als ein Sprecher des Innenministeriums den Massenmedien zuspielte, ein Mitglied des KSM habe bei einer antifaschistischen Demonstration die Polizei gewalttätig angegriffen. Diese unwahre Behauptung wurde vom KSM und auch der verhafteten Person dementiert, die öffentlich erklärte, niemals KSM-Mitglied gewesen zu sein. Es sind schmutzige Praktiken, mit denen wir uns konfrontiert sehen. Wir haben es auch mit verstärkten Versuchen der Geheimdienste zu tun, unsere Organisation zu unterwandern, und wir haben Maßnahmen dagegen ergriffen.
Die KSM arbeitet nun in einer halblegalen Situation. Deshalb tun wir alles, um unsere interne Arbeit dieser Situation anzupassen. Der KSM ist auf alle Eventualitäten vorbereitet.
Wie sieht es bei der Kommunistischen Partei aus – muß sich die KSCM derzeit mit Repressionsmaßnahmen des tschechischen Staates auseinandersetzen? Bestehen Tendenzen, die KSCM ebenfalls zu verbieten?
Es gibt eine permanente Gefahr der Delegalisierung der KSCM. Lassen Sie mich nur einige der jüngsten Beispiele für antikommunistische Aktionen anführen, die auf das Verbot der KSCM zielen oder auf die Schaffung von Bedingungen, die dieses Ziel befördern würden. Im Februar fand z.B. mit staatlicher Unterstützung ein antikommunistisches Festival statt. Der Vorsitzende des Senats (tschechisches Oberhaus – T. K.) fungierte als der offizielle Schirmherr, und ein Teil der Veranstaltungen fand auch in den Senatsräumlichkeiten statt. Das Festival endete mit einem »Akt spiritueller Reinigung des Kinsky-Palastes von Übel und Gewalt.« Vom Balkon des Kinsky-Palastes aus verkündete Klement Gottwald, der Premierminister und Vorsitzende der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, am 25. Februar 1948 die Annahme der Rücktrittsgesuche der antisozialistischen Minister in seiner Regierung durch Präsident Edward Benes. Dieses Datum markiert den Beginn des Aufbaus des Sozialismus in der Tschechoslowakei. Besagte »rituelle Reinigung« wurde durchgeführt vom Prager Bischof Jan May, von Vizevorsitzenden der ODS und Prager Bürgermeister Pavel Bem und von Nadezda Kavalirova, die Vorsitzende der »Föderation der Politischen Gefangenen«. Kavalirova forderte bei dieser Gelegenheit öffentlich, die KSCM zu verbieten.
Ein weiteres Beispiel: Ivan Langer, der Innenminister der am weitesten rechts stehenden ODS, hat kürzlich eine Initiative zur Gründung eines »Instituts der Nationalen Erinnerung« angekündigt, das in der öffentlichen Debatte in Anlehnung an George Orwell als »Ministerium für Wahrheit« bezeichnet wird. Diese Gesetzesinitiative passierte schon die erste Lesung im Parlament. Das »Institut für Nationale Erinnerung« soll eine strikt ideologische, rechte Interpretation der Geschichte der Nachkriegstschechoslowakei produzieren. Gleichzeitig soll das Institut in die Lage versetzt werden, nicht nur auf der kulturellen und politischen Ebene effektiv Einfluß auszuüben, sondern auch die Geschichtsschreibung und die Politikwissenschaften wirksam zu formen. Sogar Gerichte und andere staatliche Stellen sollen Expertisen des Instituts einholen können, die dann »wissenschaftliche Gültigkeit« beanspruchen.
Ich will noch erwähnen, daß die Polizei derzeit gegen Vojtech Filip, den Vorsitzenden der KSCM, ermittelt. In einer Ansprache auf der 13. Sitzung des Zentralkomitees der Partei im Februar stellte Filip die Frage, ob die KSCM weiterhin in der Lage sei, revolutionäre Veränderungen der Gesellschaft zu realisieren – hierbei bezog er sich auf Lenin. Nun wird Filip beschuldigt, gegen Gesetze verstoßen zu haben, weil in der Rede die Worte Revolution und Lenin vorkamen.
Wir sollten auch die kürzlich ins Leben gerufene Senatskommission nicht vergessen, die die Verfassungstreue der KSCM untersuchen soll. Aber der krasseste Schritt zur Delegalisierung der KSCM war das Verbot des KSM im Oktober 2006.
Sie beschrieben die KSCM als die politische Kraft, die bei der Organisierung sozialen Widerstands in Tschechien federführend ist. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dieser Tatsache und der staatlichen Repression gegen die Kommunisten in der Tschechischen Republik?
Ja, selbstverständlich. KSCM und KSM bilden eine Gefahr für das kapitalistische System, weil sie an dem programmatischen Ziel einer sozialistischen Gesellschaft festhalten – einer Gesellschaft, die auf kollektivem Besitz der Produktionsmittel basiert. Beide Organisationen sind zudem für den Kapitalismus gefährlich, weil sie ganz klar sagen, daß das kapitalistische System den Kern der Probleme in unserer Gesellschaft bildet, weil sie permanent gegen imperialistische Aggressionen opponieren. Die von den USA in unserem Land geplante Militärbasis wäre ein Teil dieser imperialistischen Struktur. Das sind die Gründe für die Versuche, die KSCM zu verbieten sowie für die bereits erfolgte Delegalisierung des KSM.