„Junge Welt“, 16.02.07
Lukaschenko: Scharfe Angriffe Moskaus gegen Minsk. Belarus auf Partnersuche im Westen
Die Führung der Republik Belarus intensiviert in letzter Zeit ihre Bemühungen, sich geopolitisch neu auszurichten. Im Zentrum dieses außenpolitischen Strategiewechsels stehen fast schon verzweifelt anmutende Versuche, die ökonomische Abhängigkeit des Landes von Rußland zu lindern und den zunehmenden politischen Druck des Kreml durch neue Allianzen zu neutralisieren. Seit dem Jahreswechsel erhöhte Moskau die Preise für die nach Belarus exportierten Energieträger drastisch und führte – trotz bestehender Zollunion zwischen beiden Ländern – Exportzölle auf diese ein.
Seit dem »Gasstreit« mit Moskau, in dessen Verlauf auch die Versorgung Europas kurzzeitig unterbrochen wurde, greift der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko fast täglich die ehemaligen russischen Bündnispartner verbal an. Während eines Gesprächs mit Gennadi Sjuganow, dem Vorsitzenden der Russischen Kommunistischen Partei (KPRF), ging er am 30. Januar mit der Kremlführung hart ins Gericht: »Auch in der Amtszeit des ersten Präsidenten von Rußland wurden Steine gegen Belorußland geworfen. Aber damals konnten wir uns verständigen. Jetzt, unter der gegenwärtigen Führung Rußlands, wird nicht erst seit einem Jahr eine massive Attacke gegen Belorußland geführt.«
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters vom 6. Februar bezeichnete Lukaschenko die »einseitige Ausrichtung nach Moskau« als einen schweren Fehler. Nun sei er bereit, »Schritte in Richtung Westen« zu unternehmen. Zudem machte der belarussische Präsident klar, daß es die russischen Preiserhöhungen für Rohstoffe samt der von Moskau eingeführten Exportzölle sind, die das Land zur außenpolitischen Neuausrichtung zwingen. Laut Lukaschenko erleide Belarus durch diese russischen Maßnahmen einen wirtschaftlichen Schaden von fünf Milliarden US-Dollar jährlich. Wiederum drohte er, den Transit von Energieträgern zu besteuern und Gebühren für »Dienstleistungen im Verteidigungsbereich« zu erheben. Die einstmals von beiden Staaten angestrebte Union stellt für den belarussischen Präsidenten nur noch dann eine Option dar, wenn Rußland auf weitere Preiserhöhungen verzichtet.
Doch hiervon kann keine Rede sein, da in dem während des Gasstreits ausgehandelten Kompromiß zwischen Belarus und Rußland festgeschrieben wurde, daß die Preise und Zölle zweimonatlich neu verhandelt werden können. Für Alexander Fadejew, den Leiter der Abteilung Weißrußland des Moskauer GUS-Instituts, ist somit ein weiterer Handelskrieg unumgänglich. Gegenüber der Nachrichtenagentur RIA-Novosti erkläre er, daß Lukaschenko die »Entschlossenheit der russischen Staatsführung« bei der Durchsetzung marktwirtschaftlicher Preise unterschätze.
Im genannten Interview bezeichnete Lukaschenko sein Land nun als »eine Brücke zwischen dem Westen und dem Osten«. Zugleich gab sich der in der EU als »letzter Diktator Europas« titulierte Staatspräsident auch keinen Illusionen hin und benannte die Gründe für die Angriffe des Westens gegen seine Person: »Diesen Druck gibt es nicht, weil ich ein so schlechter Mensch wäre, sondern weil wir eine Politik realisieren, die sich von der Politik in Polen und den baltischen Ländern unterscheidet.«
Dennoch scheint Lukaschenko entschlossen, sich auf eine Intensivierung der Beziehungen zum Westen einzulassen. »Unser Land hat seine Bereitschaft zur offenen Zusammenarbeit mit Europa auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt und gemeinsamen Interessen mehrmals bekräftigt«, so zitiert RIA-Novosti den belarussischen Präsidenten anläßlich des Antrittsbesuchs der neuen französsichen Botschafterin am vergangenen Dienstag. Belarus steht vor der Wahl zwischen Pest und Cholera – zwischen der Kapitulation vor der russischen Staatsoligarchie oder dem Ausverkauf an westliche Konzerne.