Kampf um Macht

„Junge Welt“, 08.12.06
Ukraine: Premier setzt im Parlament die Entlassung der vom Präsidenten eingesetzten Außen- und Innenminister durch

Der Machtkampf zwischen rußlandfreundlichen und prowestlichen Kräften in der Ukraine geht in eine neue Runde. Am Mittwoch wurde der ukrainische Außenminister Boris Tarasjuk von einer Regierungssitzung ausgeschlossen und durch einen Wachmann aus dem Regierungsgebäude geführt, da er nicht auf der Teilnehmerliste der Kabinettssitzung stand, wie der von Präsident Viktor Juschtschenko ernannte Außenminister den Medien erklärte. Der auf eine Westintegration der Ukraine bedachte Präsident darf laut Verfassung neben dem Außenminister auch den Innen- und Verteidigungsminister des Landes vorschlagen, sowie die Richtlinien dieser Politikfelder mitprägen.

Die einstweilige Aussperrung von Tarasjuk ist der vorläufige Höhepunkt von Auseinandersetzungen, die schon am Freitag entbrannten, als das von prorussischen Kräften dominierte Parlament auf Initiative des ukrainischen Premiers Viktor Janukowitsch die Absetzung des Außenministers beschloß. Zudem konnte der an Moskau orientierte Janukowitsch im Parlament die Entlassung von Innenminister Juri Luzenko durchsetzen, der ebenfalls als ein enger Verbündeter von Präsident Juschtschenko gilt. Somit verbleibt Verteidigungsminister Anatoli Grizenko als letzter prowestlicher Politiker und Verbündeter des Präsidenten in der ukrainischen Regierung.

Präsident Juschtschenko, der die Absetzung des Außenministers als verfassungswidrig bezeichnete, ernannte Tarasjuk am Dienstag erneut zum Außenminister. Außenminister und Präsident beriefen sich zudem auf ein Gerichtsurteil des gleichen Tages, das ihrer Lesart zufolge die Entlassung Tarasjuk für nichtig erklärte. Nach seiner Aussperrung vom Mittwoch kündigte Tarasjuk an, dagegen Beschwerde vor Gericht einzulegen.

Die an Rußland orientierte Mehrheit im ukrainischen Parlament vertrat bei der Parlamentsdebatte am Freitag hingegen die Meinung, daß die Verfassung es dem Parlament nicht ausdrücklich verbiete, den Außenminister zu entlassen. Zudem interpretierte Justizminister Olexander Lawrinowitsch den Gerichtsbeschluß, auf den sich Janukowitsch und Tarasjuk bezogen, gänzlich anders. Laut dem von Premier Janukowitsch ernannten Justizminister habe das Gericht die Entscheidung lediglich einstweilig ausgesetzt. Eine endgültige Entscheidung werde für Montag erwartet, so der prorussische Politiker.

Die gegenwärtige Verfassung der Ukraine räumt dem Parlament das Recht ein, Minister zu entlassen. Da der Präsident aber auch ein »Vorschlagrecht« für die Posten der Außen- Innen- und Verteidigungsminister hat, entstand eine verfassungsrechtliche Grauzone, die nun von den prorussischen Kräften der Ukraine zur Offensive gegen die letzten Machtzentren der westlich orientierten Präsidentenpartei genutzt wird. Ironischerweise ist die Anfang 2006 in Kraft getretene Verfassung, die auf die Errichtung einer parlamentarischen Demokratie abzielt, das Ergebnis der »orangen Revolution«, die Ende 2004 mit westlicher Unterstützung Viktor Jusch­tschenko ins Präsidentenamt hievte. Die prorussischen Kräfte um die »Partei der Regionen« des Premiers Janukowitsch scheinen die Spielregeln dieser Demokratieform um einiges besser zu beherrschen, als ihre westorientierten Gegenspieler.

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