„Junge Welt“ vom 10.10.06
US-Immobilienmarkt auf Talfahrt. Ökonomen befürchten Kettenreaktion
Auf dem US-Immobilienmarkt kriselt es. Als eine »substantielle Korrektur«, die das Wirtschaftswachstum um einen Prozentpunkt hemmen werde, bezeichnete US-Notenbankchef Ben Bernanke am vergangenen Mittwoch in ÂWashington jenen Prozeß, der Ökonomen, Börsianer, Aktienbesitzer und Hausbesitzer zittern läßt. Die Auswirkungen fallender Immobilienpreise und Verkäufe können die US-Konjunktur bis 2007 belasten, befürchtet Bernanke. Mit dieser Einschätzung gehört der Zentralbanker inzwischen zu den Optimisten. Bekannte Ökonomen, wie Mark Zandi, Nouriel Roubini und Nobelpreisträger Joseph Stigliz, zeichnen ein düsteres Bild. Demnach werden die Preise von US-Immobilien im »zweistelligen Prozentbereich« einbrechen und höchstwahrscheinlich 2007 eine Rezession auslösen.
Nach Zahlen der Nationalen Vereinigung der Makler (NAR) ist im September zum ersten Mal seit elf Jahren der durchschnittliche Verkaufspreis für Häuser im Jahresvergleich gefallen. Mußte man 2005 im Schnitt 230000 US-Dollar für den Hauserwerb aufbringen, so waren es 2006 noch 225000 US-Dollar. Zudem gibt es laut NAR in den USA an die vier Millionen unverkaufter Häuser – der höchste Wert seit April 1993. Mehrere Monate in Folge sind auch die Verkaufszahlen von Immobilien rückläufig. Im Juli ging der Umsatz bei bebauten und unbebauten Grundstücken um 4,1 Prozent, im August um 0,5 Prozent zurück. Es würde sieben Monate dauern, um bei dem gegenwärtigen Verkaufstempo alle zum Verkauf stehenden Häuser auch zu veräußern – falls keine neuen gebaut würden.
Nicht nur der Bausektor, der neun Millionen US-Bürger beschäftigt, wäre vom Ende des Immobilienbooms betroffen. Bereits jetzt verzeichnen vor allem Firmen, die sich auf den Bau von Einfamilienhäusern spezialisiert haben, drastische Gewinnrückgänge.
Das US-Finanzkapital hat enorm an der spekulativen Blasenbildung auf dem Immobiliensektor verdient und den Boom angeheizt. Am 1. September publizierte das Wall Street Journal einen Artikel, in dem über Gewinnwarnungen von US-Banken berichtet wurde. Die »Drosselung« auf dem Immobilienmarkt schade deren »Geschäftstätigkeit«, so das Zentralorgan des US-Finanzkapitals. Inzwischen machen mit dem Immobilienmarkt verbundene Hypotheken, Darlehen und Konsumentenkredite knapp 33 Prozent der gesamten Aktiva des US-Finanzsektors aus – alles in allem 9,3 Billionen Dollar. Zu Vergleich: das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der BRD beläuft sich im Jahr auf etwa 2,5 Billionen US-Dollar. Laut den statistischen Aufzeichnungen der US-Notenbank gab noch nie in der Geschichte der Vereinigten Staaten eine derartige Konzentration der Finanzbranche auf den Immobilienmarkt.
Darin liegt die Gefahr für das gesamte Bank- und Kreditwesen der USA. Denn je tiefer die Immoblilienpreise fallen, desto größer wird die Zahl der »faulen«, also nicht mehr rückzahlbaren Hypothekenkredite und Darlehen. Das wird die Bilanzen verschlechtern und kann die Existenz mancher Geldinstitute gefährden. Das Land hat eine niedrige Sparquote und befinden sich seit Jahren in einem Konsumrausch, der das Wachsen der Immobilienblase beförderte. Viele US-Bürger haben Kredite zu Spekulationszwecken aufgenommen, mit denen Grundstücke und Häuser erworben wurden. Diese sollten nach einer kurzen Zeit wieder mit Gewinn veräußert werden. Über Jahre funktionierte diese Masche auch, denn die US-Wirtschaft wuchs, Profite, Löhne und damit auch Immobilienpreise stiegen. Inzwischen steigt allerdings die Zahl der Spekulanten, die auf ihren »Investitionen« sitzen bleiben. Laut einem Bericht der BusinessWeek vom März 2006 könnten die Immobilienpreise in Gegenden mit starker Spekulationstätigkeit um bis zu 30 Prozent fallen. Fallende ImmobilienÂpreise werden den Konsumrausch nachhaltig drosseln. Der private Konsum macht 70 Prozent des US-BIP von derzeit 12,4 Billionen US-Dollar aus. Viele US-Bürger haben zudem Kredite auf ihre bis dahin stets im Wert steigenden Immobilien aufgenommen und damit – trotz zuletzt leicht fallender Löhne – den Konsum mitfinanziert.
Dies alles bereitet selbst dem Wirtschaftsmagazin Economist Magenschmerzen: »Der weltweite Anstieg der Häuserpreise ist die größte Spekulationsblase der Geschichte… Immobilienmärkte schäumen über. Von Amerika, England und Australien bis Frankreich, Spanien und China. Die steigenden Immobilienpreise stützten die Ökonomie nach dem Platzen der Spekulationsblase auf den Aktienmärkten 2000. Was nun, wenn der Immobilienboom eingeht? Er ist größer als die globale Aktienmarktblase Ende der 90er und die Spekulationsblase Ende der 1920er«, warnt das Wirtschaftsblatt.