„Junge Welt“ 04.11.06
Innenpolitische Krise in Kirgisistan verschärft sich. Opposition und Fliesenleger fordern Rücktritt von Präsident und Premier
Seit dem 2. November hat sich die seit Wochen schwelende innenpolitische Krise in Kirgisistan dramatisch zusgepitzt. Auf einer von der oppositionellen Dachorganisation »Für Reformen!« organisierten Massendemonstration in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek forderten Tausende Demonstrationsteilnehmer den Rücktritt von Präsident Kurmanbek Bakijew und Premier Felix Kulow. Laut Polizeiangaben beteiligten sich 6000 Menschen an der Demonstration, die Opposition sprach hingegen von über 40000 Teilnehmern, während unabhängige Beobachter die Demonstration auf 20000 Teilnehmer schätzen. In den Abendstunden des 2. Novembers gingen die in dem Oppositionsbündnis »Für Reformen!« organisierten 20 Gruppen und Parteien dazu über, im Zentrum von Bischkek Zelte aufzubauen. Laut der Nachrichtenagentur RIA-Nowosti wurden über 40 Zelte vor dem kirgisischen Regierungssitz, dem »Weißen Haus«, aufgebaut, um dort eine Dauerdemonstration durchzuführen, die so lange fortgesetzt werden soll, bis die Forderungen der Opposition erfüllt sind.
Zur aktuellen Eskalation führte vor allem der Streit um eine Verfassungsreform, die das gegenwärtige Präsidialsystem Kirgisistan in eine parlamentarische Demokratie transformieren sollte. Bakijew würde einen starken Machtverlust erleiden, insbesondere das Recht verlieren, das Parlament aufzulösen, sollte der Verfassungsentwurf Realität werden, dessen Vorlage zur Parlamentsabstimmung der Präsident verzögert.
Die Oppositionellen werfen Bakijew zudem vor, nicht entschieden gegen die Korruption im Lande vorzugehen und bei der wirtschaftlichen Erholung des verarmten Landes versagt zu haben. Viele der zur Zeit gegen den Präsidenten demonÂstrierenden Gruppen und Oppositionsführer gehörten zu seinen engsten Mitkämpfern, als er im Zuge der »Tulpenrevolution« im März 2005 an die Macht kam. Laut einen Bericht der New Your Times vom 30. März 2005 waren Vorfeldorganisationen US-amerikanischer Außenpolitik an der Finanzierung und Organisierung der »Tuplenrevolution« federführend beteiligt.
Wegen seiner günstigen geopolitischen Lage wetteifern Rußland und die USA um möglichst großen Einfluß in dem zentralasiatischen Land, das in Reichweite Afghanistans, Chinas und des Iran liegt. Beide Großmächte unterhalten Militärbasen in Kirgisistan. Obwohl er mit amerikanischer Unterstützung an die Macht gelangte, richtete Bakijew seine Außenpolitik sehr schnell in Richtung Rußland aus. Symbolisch hierfür stehen die monatelangen Verhandlungen um die Pachtzahlungen für die US-Militärbasis in Kirgisistan. Die USA müssen seit Juli 150 Millionen US-Dollar an jährlicher Pacht zahlen, während es vorher nur zwei Millionen waren. Die Pacht für die russische Militärbasis wurde hingegen nicht erhöht.
Rußland und Kirgisistan intensivierten in den vergangenen Monaten ihre wirtschaftliche und militärpolitische Zusammenarbeit. Anfang Oktober fanden im Rahmen der militärischen Kooperation beider Länder Antiterrorübungen im südlichen Kirgisistan statt, an denen auch Rußlands Verteidigungsminister Sergej Iwanow teilnahm. Im Energiesektor werden überdies mehrere russisch-kirgisische Gemeinschaftsprojekte, vor allem Wasserkraftwerke, realisiert.
Am Morgen des 3. November beschuldigte der kirgisische Regierungschef Kulow während einer Parlamentssitzung die Opposition, die Besetzung strategischer Objekte im gesamten Land zu planen. Zuvor war den Abgeordneten die Aufnahme einer Oppositionsversammlung vorgespielt worden, in der die Oppositionellen angeblich eine Machtergreifung in den Provinzen planten. StaatsÂsekretär Aadachan Madumarow verwies darauf, daß in der Aufnahme »von einer großen Summe Geld die Rede ist«. »Es wird klar, daß sich ausländische Staaten am Versuch beteiligten, die Situation zu destabilisieren«, betonte er. Spitzenvertreter der oppositionellen Bewegung »Für Reformen« bezeichneten diese Informationen hingegen als »eine schmutzige Provokation der Behörden«.