Zurück ins Mittelalter

„Junge Welt“ 19.10.06
Schüler- und Lehrerproteste gegen die Eskapaden des rechtsextremistischen Bildungsministers Polens, Roman Giertych

In Polen vergeht kaum eine Woche, in der nicht Schüler oder Lehrer gegen den reaktionären Bildungsminister Roman Giertych, Vorsitzender der rechtsextremen »Liga der Polnischen Familien« (LPR), demonstrieren. Die Gründe dafür sind vielfältig. Laut dem Vorsitzenden der polnischen Lehrervereinigung (ZNP), Slawomir Broniarz, erfüllt »Herr Giertych nicht einmal die elementarsten Voraussetzungen für sein Amt. Er nutzt sein Ressort zur Realisierung seiner politischen Agenda.« Diese ist reaktionär bis neofaschistisch. So öffnete sich die LPR im Vorfeld der letzten Parlamentswahlen bewußt für antisemitische und neofaschistische Gruppen, deren Vertreter nun mit diversen Pöstchen versorgt werden. Auf Giertychs Betreiben hin wurde z. B. Piotr Farfal zum Vizevorsitzenden des staatlichen polnischen Fernsehens TVP ernannt. Farfal zählte noch im Jahr 2000 zu der Autorenschaft der extrem antisemitischen Zeitschrift Szczerbiec, des Zentralorgans der »Nationalen Wiedergeburt Polens« (NOP), der radikalsten neofaschistischen Organisation des Landes. Nun ist der angeblich »geläuterte« Neofaschist, der im Szczerbiec die »Lüge als ein Wesensmerkmal der Demokratie« bezeichnete, für die »Innenkontrolle« im polnischen Fernsehen zuständig. Ein Abgeordneter der Gdansker LPR, Grzegorz Sielatycki, rief noch vor kurzem zur »Entjudung« der polnischen Literatur auf.

Kürzlich schlug Giertych vor, Texte des verstorbenen polnischen Papstes als Schullektüre einzuführen. Eine Vorfeldorganisation der katholischen Kirche darf seit kurzem die Internetfilter in den Schulcomputern installieren. Ein neues Schulfach namens »Patriotische Erziehung« dient der nationalistischen Indoktrination der Schülerschaft. Allgemein sollen wieder Zucht und Disziplin in die polnischen Schulen Einzug halten, körperliche Züchtigungen von renitenten Schülern werden von der LPR ernsthaft erwogen. Die Lehrervereinigung will Giertych beim polnischen Verfassungsgericht verklagen, da er die alljährlichen, von der ZNP vorgeschlagenen Auszeichnungen für Lehrer mit besonderen Verdiensten all jenen Pädagogen verweigert hat, die ehemals in der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei organisiert waren.

Aktuell haben sich Giertychs Mannen die Evolutionstheorie als neues Feindbild auserkoren. Der Vater des Bildungsministers, der EU-Abgeordnete der LPR Maciej Giertych, forderte unlängst die Ersetzung der Darwinschen Evolutionstheorie in polnischen Lehrplänen durch den »Kreationismus«, eine pseudowissenschaftliche Version der göttlichen Schöpfungsgeschichte. Die polnische Akademie der Wissenschaft (PAN) reagierte mit harscher Kritik auf Giertychs Vorstoß und bezeichnete ihn als »absolut sinnfrei«. Unterstützung fand Giertych hingegen beim stellvertretenden Bildungsminister Miroslav Orzechowski, demzufolge die Evolutionstheorie nichts weiter als eine »literarische Erzählung eines ungläubigen, alten Herrn« ist. Demonstranten warteten am vergangenen Wochenende sogleich mit einer neuen Lieblingsparole auf: »Insbesondere Giertych stammt von Affen ab!«, riefen hunderte Schüler und Linke in Warschau.

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