Publiziert am 02.11.2005 in „junge welt“
Selbst Polens neuer Ministerpräsident geht von einer begrenzten Amtsdauer seines Minderheitskabinetts aus
Während Deutschland von einer Regierungs-, Koalitions- und Parteikrise zur nächsten taumelt, wurde am Montag in Polen die neue Regierungsmannschaft vom Präsidenten nominiert. Es handelte sich zwar nicht um die vor den Wahlen als sicher geglaubte Koalition aus rechtskonservativer PiS und liberalkonservativer PO, sondern um eine Minderheitsregierung der PiS. An und für sich betont deren Regierungschef, Kazimierz Marcinkiewicz (PiS), daß eben diese Regierung auf gar keinen Fall allzu lange bestand haben wird – aber immerhin, es ist eine Regierung. Zerstritten haben sich die beiden Parteien, die schon vor den Wahlgängen offizielle Koalitionsabsprachen getroffen haben, an der Kontrolle über den Justiz- und Polizeiapparat, den die PiS monopolisieren wollte.
Als die sicher geglaubte Koalition nicht zustande kam, gerieten die Kurse an der Warschauer Börse, der Zloty und die Zuversicht der ausländischen Investoren ins Rutschen. Der Buisness Center Club (BCC), ein Dachverband ausländischer Investoren in Polen, warnte vor einer ernsthaften Wirtschaftskrise, sollte die Minderheitsregierung mit den »Populisten« der Bauernpartei »Samoobrona« um Andrzej Lepper zusammenarbeiten und tatsächlich das praktizieren, was die PiS im Wahlkampf versprochen hatte: eine an den Interessen Polens orientierte Politik.
Um die Sorgen des Kapitals zu zerstreuen, sah sich die Führung der PiS zu energischen Gegenmaßnahmen gezwungen: Eine offizielle Pressekonfernez der zukünftigen Regierungspartei wurde in der Warschauer Wertpapierbörse abgehalten, um die »Verbundenheit der neuen Regierung mit einer an den Prinzipien der freien Marktwirtschaft orientierten Politik zum Ausdruck zu bringen«, wie Marcinkiewicz erklärte. In die Regierung wurden nicht etwa Mitglieder der PiS, sondern vor allem »unabhängige Experten« aus der »Wirtschaft« berufen. Eine letzte, am Sonntag abgehaltene Verhandlungsrunde zwischen PO und PiS fand unter Vermittlung und in den Räumlichkeiten der katholischen Kirche in Gdansk statt, zu deren Ende Marcinkiewicz betonte, daß eine Koalition mit der PO immer noch möglich sei. Die Verfassung zwinge die Politik aber nun mal, bis zum 1. November eine neue Regierung aufzustellen. Die PiS hat nun eine Regierung gebildet, die ihre baldestmögliche Auflösung zum Ziel hat. Somit herrschen in Polen doch deutsche Zustände.