Publiziert am 27.07.2005 in „junge welt“
Polen und Ukraine verstärken wirtschaftliche Zusammenarbeit. Megafusion in Stahl- und Werftenindustrie geplant
Die wirtschaftliche Kooperation zwischen Polen und der Ukraine gewinnt rapide an Dynamik. Bei Verhandlungen zwischen hochrangigen Vertretern der ukrainischen Industrievereinigung Donbas, der polnischen staatlichen Agentur zur Wirtschaftsförderung und dem Verbund der polnischen Werften, wurden die Möglichkeiten einer Megafusion im Hütten- und Werftwesen ausgelotet. Die Gespräche fanden am 18. und 19. Juli in Warschau statt.
Den Verbund der polnischen Werften bilden die jeweiligen Großbetriebe in Szczecin und in Gdynia. Dem ukrainischen Hütten- und Schwerindustriekonzern Donbas gelang es nach langen Verhandlungen (jW berichtete), den Zuschlag bei der Privatisierung der Hütte Czestochowa zu erhalten, die führend bei der Herstellung von Schiffsstahl ist. Die endgültige Entscheidung für Donbas und gegen dessen indisch-britischen Konkurrenten Mittal-Steel wurde Anfang Juli verkündet. Dieser verabredete Deal markierte die Krönung polnisch-ukrainischer Wirtschaftsgespräche in Gdynia, an denen über 100 Wirtschafts- und Regierungsvertreter, inklusive der polnischen und ukrainischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski und Viktor Juschtschenko, teilnahmen.
Mittal-Steel unterlag unter anderem auch wegen des miserablen Rufes, den der Konzern bei seinen Arbeitern hat. Der indische Konzern des in London wohnhaften »Stahlkönigs« Lakshmi Mittal, der einen Großteil der ehemaligen Schwerindustriekombinate in Polen aufgekauft hat, schaffte es innerhalb kürzester Zeit, sich ein solches Negativimage zuzulegen. So haben sich die Arbeitsbedingungen der Hütte Katowice seit deren Übernahme derart verschlechtert, daß die Arbeiter nach einem Jahr unter dem neuen Besitzer dessen Enteigung forderten. Neben mieser Bezahlung und mangelhafter Sicherheitsmaßnahmen wird die schleichende Dekapitalisierung der Industriebetiebe beklagt, die Mittal-Steel besitzt. Von den durch Mittal angekündigten Investitionen können Gewerkschafter wie Wladyslaw Molecki, Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarnosc bei Mittal-Steel, nichts wahrnehmen. Eher von Verschleiß und dem schleichenden Verfall der Industrieanlagen. Darüber hinaus werden körperliche Übergriffe und sexuelle Belästigung weiblicher Mitarbeiter durch indische Vorgesetzte beklagt.
Mit einem derart schlechten Ruf behaftet, hatte Mittal kaum Chancen, die zum Privatisierungsprozedere gehörenden notwendigen Verhandlungen mit den Gewerkschaften erfolgreich zu Ende zu führen. Keine der beteiligten Organisationen stimmte dem Sozialplan der Inder zu, und vor dem Verhandlungsgebäude demonstrierten erboste Arbeiter gegen einen möglichen Verkauf an Mittal.
Nach dem Scheitern der Gespräche war der Weg für Donbas frei. Obwohl auch die ostukrainische Oligarchie des Donez-Beckens, der dieser Konzern gehört, ebenfalls keinen allzu guten Ruf genießt, wird nach der »orangen Revolution« die polnisch-ukrainische Zusammenarbeit verstärkt in der Öffentlichkeit propagiert. So konnten während der Warschauer Gespräche am 18. und 19. Juli Lieferverträge über Schiffsstahl zwischen der Hütte Czestochowa und den polnischen Werften abgeschlossen werden.
Weitaus interessanter sind die noch unter Verschluß gehaltenen Vereinbarungen zu möglichen Fusion des Werftenverbunds mit Donbas. Der Vertreter von Donbas-Polen, Konstantyn Litwinow, gab immerhin bekannt, daß die polnischen Werften bis zu 25 Prozent an der Hütte Czestochowa übernehmen wollen, Donbas solle ebenfalls Anteile an den Werftenverbund erwerben, doch über deren mögliche Höhe schwieg sich Litwinow aus. Einen möglichen Zeitrahmen für diese osteuropäische Megafusion nannten beide Verhandlungspartner nicht.
Seit Anfang Juli steht ebenfalls fest, daß der kurz vor der Privatisierung stehende polnische Gasversorger PGNiG sich verstärkt in der Ukraine engagieren wird. PGNiG genießt eine Monopolstellung bei der Gasversorgung Polens. Das Unternehmen soll ab Herbst 2005 schrittweise privatisiert werden. Bislang wurden verstärkte polnische Investitionen in das ukrainische Gasnetz und die Verarbeitungsanlagen vereinbart. Dies soll beiden Ländern das Diversifizieren ihrer Energiequellen erlauben, so Marek Kossowski vom PGNiG. Darüber hinaus wird PGNiG über 20 Millionen US-Dollar in die Gasförderung in der Ukraine investieren. Das verstärkte Engagement des polnischen Gasversorgers in der Ukraine ist bei denselben Wirtschaftsgesprächen vereinbart worden. Die ökonomische Kooperation zwischen Polen und der Ukraine soll mit diesen »Austauschgeschäften« vertieft, die wirtschaftlichen Bindungen der Ukrainer an Rußland gelockert werden. Juschtschenko lobte bei den Wirtschaftsgesprächen das hervorragende »Investitionsklima« in Polen, Kwasniewski betonte die »neue Richtung«, die die Ukranie mit den Investitionen eingeschlagen habe.
Zumindest die ostukrainische Oligarchie, die mehrheitlich Juschtschenkos Konkurrenten Janukowitsch bei den Wahlen 2004 unterstützte und für eine engere Bindung an Rußland plädierte, scheint mit der neuen strategischen Westausrichtung der Ukraine blendend zurechtzukommen. So plant Donbas weitere Übernahmen von Stahlhütten, u. a. in Ungarn.