Merkels Spiel auf Zeit

„Junge Welt“, 11.07.2013
»Sommerruhe« in Euro-Zone: Kann Berlin einen abermaligen Krisenschub bis zur Bundestagswahl verzögern, ohne nennenswerte Zugeständnisse machen zu müssen

Die europäische Krisenpolitik ist zu einem Anhängsel deutscher Innenpolitik verkommen. Das Europa, in dem »weitgehend deutsch gesprochen« werde (Unionsfraktionschef Volker Kauder), ist längst machtpolitische Realität. Aktuell sind es die Erfordernisse des Bundestagswahlkampfes, denen sich die gesamte Euro-Zone unterzuordnen hat. Die Bundesregierung ringt derzeit darum, jegliche bei ihrer Wählerschaft unpopulären Zugeständnisse an die Krisenstaaten Europas zu vermeiden. Zugleich ist sie bemüht, eine unkontrollierbare Eskalation der Krise zumindest bis zu einem Zeitpunkt nach dem Urnengang im September hinauszuzögern. Die gescheiterte deutsche »Spar«-Politik soll aus wahlkampftaktischen Gründen erst einmal fortgesetzt werden.

Berlins harte Linie bekräftigte eine interne Vorlage des Bundesfinanzministeriums, die dem Spiegel Ende Juni zugespielt wurde: »Die schwache wirtschaftliche Lage in der Euro-Zone ist kein Grund, von der Doppelstrategie nachhaltiger fiskalischer Konsolidierung kombiniert mit Strukturreformen abzuweichen«, hieß es darin. Die anhaltende Rezession im Währungsraum sei nur Folge eines notwendigen »tiefgreifenden Anpassungsprozesses«, der keinesfalls abgebremst werden solle. Kanzlerin Angela Merkel habe Europa eine »Sommerruhe« verordnet, da sie »vor der Bundestagswahl keinerlei Turbulenzen in der Euro-Zone« wünsche, hieß es in der Berliner Zeitung, die die deutsche Haltung auf den Punkt brachte: »Europa steht still, wenn Merkel das will.«
Ärger im Süden
Fraglich ist, ob die global an Intensität gewinnende Krisendynamik sich diesem deutschen Befehl fügen wird. Das Scheitern des Austeritätskurses manifestiert sich nicht nur in einer Rekordarbeitslosigkeit von 12,1 Prozent in der Euro-Zone, sondern auch in weiteren nationalen Krisenschüben in der südlichen Euro-Peripherie, die Merkels »Sommerruhe« stören. So mußte Italien am 10. Juli eine weitere Abwertung seiner Bonität durch die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) hinnehmen, sie liegt jetzt mit dem Wert »BBB« nur noch knapp über Ramschniveau. Die Verschuldung des Landes sei »gefährlich hoch«, Unternehmen seien mit »vergleichsweise hohen Zinsen« konfrontiert, hieß es zur Begründung. Italien, dessen Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich um 1,8 Prozent schrumpfen wird, befindet sich in der längsten Rezessionsphase seiner Nachkriegsgeschichte.

Auch Griechenland will partout nicht zur Ruhe kommen. Merkel hatte den jüngst erhobenen Forderungen Athens nach einem weiteren Schuldenschnitt eine klare Absage erteilt. Griechenland (amtliche Arbeitslosenquote 26,8 Prozent) habe unter »der sehr reformorientierten Regierung Samaras« Fortschritte gemacht. Ein weiterer Forderungsverzicht sei nicht notwendig, da die »Schuldentragfähigkeit auch weiterhin gegeben« sei, so die Bundeskanzlerin gegenüber der Süddeutschen Zeitung Anfang Juli. Noch deutlicher wurde Unions-Haushaltsexperte Norbert Barthle gegenüber Reuters: »Es ist ärgerlich, daß Politiker in Griechenland erneut über einen Schuldenschnitt spekulieren.«

Nach aufreibenden Verhandlungen bewilligte die Euro-Gruppe unter strengen Auflagen die Auszahlung einer weiteren Kredittranche in Höhe von 6,8 Milliarden Euro an Athen (jW berichtete). Inzwischen sorgt der französische Vorschlag vom Montag, wonach der »Euro-Rettungsschirm« ESM direkt griechische Banken rekapitalisieren solle, für Unmut. Griechenland bekäme dann »bessere Bedingungen auf den internationalen Kapitalmärkten«, so Europa-Minister Thierry Repentin im Handelsblatt. Dies ist eine klare Kampfansage an Bundesfinanzminister Schäuble, der zuerst die Anteilseigner, Sparer und vor allem die Heimatstaaten taumelnder Banken zur Kasse bitten will, bevor die Mittel des ESM fließen dürften.
Zinsen nahe Null
Die taktischen Auseinandersetzungen zum Krisenkurs erstrecken sich auch auf die Geldpolitik. Die Europäische Zentralbank (EZB) wollte am 4. Juli mit einem klaren Signal zur Fortsetzung ihrer expansiven Geldpolitik für Beruhigung der Finanzmärkte sorgen, die auf die Ankündigung einer etwaigen Zinswende in den USA mit Kursabschlägen und Renditeerhöhungen reagierten. Sein Vorhaben, den Leitzins in der Euro-Zone von 0,5 Prozent auf 0,25 Prozent zu senken, konnte EZB-Präsident Mario Draghi aber nicht durchsetzen: Sowohl Bundesbankpräsident Jens Weidmann als auch das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen konnten den Widerstand der Nordländer gegen dieses Vorhaben erfolgreich mobilisieren, berichtete Spiegel online. Weitere Leitzinssenkungen gelten innerhalb der Wählerschaft der schwarz-gelben Regierungskoalition als höchst unpopulär. Statt dessen sprach Draghi davon, daß das Zinsniveau im Euro-Raum dauerhaft auf dem derzeitigen Niedrigniveau verbleiben werde.

Inzwischen schlägt das »Spar«-Diktat in EU-Europa, dessen Wirtschaft laut Internationalem Währungsfonds (IWF) in diesem Jahr um 0,6 Prozent schrumpfen werde, inzwischen auch auf die eigene Konjunkturentwicklung durch: So sind die BRD-Exporte in die Euro-Zone im Mai um 9,6 Prozent unerwartet stark zurückgegangen. Da inzwischen auch die Ausfuhren in die Absatzmärkte außerhalb Europas (Schwellenländer, USA und Fernost) krisenbedingt um 1,6 Prozent schrumpften, konnte Deutschlands Exportindustrie die Umsatzverluste in der Euro-Zone nicht mehr durch eine weitere Expansion in Drittländern kompensieren. Die Folge: Im Mai ging der Output des produzierenden Gewerbes in der BRD gegenüber dem Vorjahr um 3,4 Prozent zurück. Es dürfte bei diesem Spiel auf Zeit knapp werden für die Bundeskanzlerin.

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