Ausbeutung 2.0

„Junge Welt“, 10.07.2012
Hintergrund. Der neue Internetkapitalismus – Teil I: Über Crowdsourcing, »menschliche Wolken« und Profitmaximierung durch umfassende Prekarisierung der Lohnabhängigen

Der Menschheit ergeht es im Kapitalismus wie dem berühmten Zauberlehrling, der die Geister nicht mehr kontrollieren konnte, die er herbeirief. Sind sie erst im Prozeß der Kapitalverwertung voll inkorporiert, scheinen sich die größten Errungenschaften und Erfindungen gegen die Menschen zu wenden, zu einer feindlichen und unüberwindlichen Macht anzuwachsen, die durch marktvermittelte objektive »Sachzwänge« allen Lohnabhängigen das Leben zur Hölle machen. Diese konstitutive Tendenz kapitalistischer Herrschaft – auf deren Fundament die bürgerlichen Ideologien des Kulturpessimismus und der Fortschrittsfeindlichkeit blühen – charakterisierte auch die widersprüchliche Entwicklung des Internets, das einerseits einen ungeheuren Schub der Globalisierung und Rationalisierung kapitalistischer Warenproduk­tion beförderte, aber andrerseits seiner inhärenten Struktur nach das Kapitalverhältnis bereits zu transzendieren schien: Nichts ist augenscheinlich absurder und widersinniger, als innerhalb der Weiten des World Wide Web die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse durchsetzen zu wollen. Der Windmühlenkampf der Politik und Kulturindustrie um die Durchsetzung des »Copyrights« kann nur unter sukzessiver Verstümmelung des freien Informationsflusses im Netz fortgesetzt werden – und er bildete einen wichtigen Impuls bei der Formierung der europäischen Piratenparteien.

Globale Verwertungsketten

Abseits der Sphäre der digitalen und immateriellen Güter hat schon der Vernetzungsschub des Internet 1.0 (das primär die passive Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationskanäle ermöglichte) die ungeheure Dynamik der Globalisierung der kapitalistischen Warenproduktion überhaupt erst technisch ermöglicht, bei der globale Verwertungsketten in einem zuvor ungekannten Ausmaß aufgebaut und tatsächlich erfolgreich koordiniert und optimiert werden konnten. Die damit einhergehenden Rationalisierungsschübe ließen eine verstärkte globale Verdrängungskonkurrenz in den meisten Industriezweigen um sich greifen, mit der im Rahmen der neoliberalen Offensive der vergangenen Dekaden bereits eine extreme Umwandlung des Arbeitslebens und eine Verstärkung der Ausbeutungsrate einhergingen.

Mittels umfassender Flexibilisierung der Arbeitsabläufe, einer Dezentralisierung der Produktion, der Abschmelzung der Kernbelegschaften und dem korrespondierenden Aufbau einer Klasse prekarisierter Tagelöhner reagierten viele deutsche Konzerne durchaus erfolgreich auf die zunehmende Verdrängungskonkurrenz auf dem Weltmarkt. Gesamtgesellschaftlich eingebettet ist diese erste Phase der postfordistischen Umwandlung des Arbeitslebens in die neoliberal verbrämte totale Mobilisierung der Gesellschaft anhand der Verwertungsinteressen des Kapitals. Alle Ressourcen und Gesellschaftsbereiche der als »Leistungsgemeinschaft« ideologisierten Nation sollen im Rahmen dieses totalitären Ökonomismus in den Dienst an der Front der zunehmenden Weltmarkt- und Standortkonkurrenz gezwungen werden.

Dennoch blieben die grundlegenden Strukturen des Arbeitslebens weitgehend unangetastet. Die überwiegende Mehrheit der Lohnabhängigen macht sich immer noch jeden Morgen auf den Weg an ihren physisch tatsächlich gegebenen Arbeitsplatz, der sich in einem Betrieb, einem Bürokomplex oder einer sonstigen Institution befindet, die jenseits der Wohnung liegt. Die Trennung zwischen der Privatsphäre des Lohnabhängigen und des Arbeitslebens blieb gesamtgesellschaftlich betrachtet größtenteils bestehen. Zudem dominieren allen Prekarisierungswellen – und dem entsprechenden Phänomen der Scheinselbstständigkeit – zum Trotz immer noch abhängige Beschäftigungsverhältnisse die Arbeitswelt im heutigen Spätkapitalismus.

Selbst in der insbesondere in der BRD rasch anschwellenden Zeitarbeitsbranche handelt es sich um eben solche mit Arbeitsverträgen kodifizierte Formen abhängiger Lohnarbeit. Lohnarbeit wird auch im krisengeschüttelten Kapitalismus immer noch überwiegend an Arbeitsplätzen außerhalb der Privatsphäre verrichtet, wie es seit der Durchsetzung der Industrialisierung der Fall ist. All dies dürfte aber künftig zur Disposition stehen, denn die kommenden Umbrüche könnten die bisherigen Rationalisierungs- und Globalisierungsschübe zu einem bloßen Prolog degradieren.

»Crowdsourcing«

Wohin die Entwicklung tendiert, zeigte IBM-Personalchef Tim Ringo in einem unachtsamen Moment im April 2010 auf, als er im Gespräch mit der Fachzeitschrift Personnel Today eine Reduzierung der festangestellten Stammbelegschaft des IT-Riesen von knapp 400000 auf weltweit nur noch 100000 Angestellte bis 2017 diskutierte, die unter Anwendung der webbasierenden Rationalisierungsstrategie des »Crowdsourcing« vollführt werden könnte: »Es gäbe keine Gebäudekosten, keine Renten und keine Kosten für das Gesundheitswesen, was enorme Einsparungen bedeutet«, so Ringo begeistert. Beim Crowdsourcing wird eine ursprünglich innerhalb des Unternehmens vollführte Tätigkeit ausgelagert und an eine Gruppe (Crowd) von prekären Lohnabhängigen oder Kleinstbetrieben ausgelagert, die diese Tätigkeit dann projektbezogen und in Konkurrenz zu anderen verrichten soll, sobald die Unternehmensleitung diese ausschreibt (im Kapitaljargon als »call«, als Aufruf, bezeichnet). Ringo machte in dem Interview auch klar, daß die rund 300000 in den Planungen zum Abschuß freigegebenen IBM-Angestellten eigentlich »nicht gefeuert« würden, da man sie hiernach als »Auftragnehmer« weiterbeschäftigen würde: »Ich denke, Crowdsourcing ist sehr wichtig, du hast einen Kern von festen Angestellten, aber die große Mehrheit wird ausgelagert.« Selbstverständlich wurde dieser allzu offenherzige Vorstoß des Personalmanagers von der Konzernführung im April 2010 umgehend aufs Verbissenste dementiert. Und selbstverständlich geht IBM nun daran, mit ersten Flexibilisierungsoffensiven eben dieses Konzept umzusetzen.

Anfang Februar versetzten Pressemeldungen über geplante massive Stellenstreichungen bei IBM-Deutschland die Belegschaft des IT-Unternehmens in helle Aufregung. Bis zu 8000 der rund 20000 in Deutschland angestellten IBM-Mitarbeiter würden in den nächsten Jahren ihren Arbeitsplatz verlieren, ließen Spitzenmanager gegenüber dem Handelsblatt durchsickern. Die Konzernleitung hüllte sich bezüglich des anstehenden Kahlschlags einen Monat in Schweigen, bis IBM-Deutschland-Chefin Martina Koederitz sich am 1. März zu einem lustlosen Dementi durchrang. Die Meldungen über den Personalkahlschlag seien »spekulativ«, das Unternehmen plane »im Moment« keine Massenentlassungen. Am 30. März folgte das Dementi des Dementis, als Koederitz, angesprochen auf den Stellenabbau im Gespräch mit dem Journal VDI Nachrichten darauf insistierte, auch künftig »neue Technologien zu erproben«, die die »Arbeitsumgebung auch in Zukunft intelligenter, smarter und flexibler gestalten«. IBM habe schon in den 80er Jahren angefangen, »Heimarbeitsplätze zu entwickeln«, betonte die IBM-Chefin. Tatsächlich pflegt die Führungskaste des Hochtechnologiekonzerns ein elitäres Selbstbild, bei dem IBM als ein Schrittmacher neuer Busineßstrategien und Arbeitsstrukturen firmiert, die dann von der gesamten Branche übernommen würden. Diese Ideologie der permanenten Innovation, bei der sich IBM immer wieder »neu erfinden« müsse, gründet in der erfolgreichen Transformation des Unternehmens von einem Hardwarehersteller zu einem hochprofitablen Software- und Dienstleistungskonzern. »Big Blue«, wie der Konzern auch genannt wird, gilt in dieser Hinsicht in der Branche als Vorbild: Gerade ist etwa der krisengeplagte Hardwarekonzern HP bemüht, mittels einer massiven Entlassungswelle eine ähnliche Transformation wie IBM zu vollführen.

Das Damoklesschwert der Massenentlassungen schwebt also weiter über der deutschen IBM-Belegschaft, für die Koederitz nicht einmal die genaue Mitarbeiterzahl angeben will, da dies angeblich angesichts der hochgradigen globalen Verflechtung des Konzerns kaum noch möglich sei. Der Hinweis der deutschen IBM-Chefin auf die »Heimarbeitsplätze«, an deren Entwicklung ihr Unternehmen federführend beteiligt gewesen war, bietet auch einen Ausblick auf die Zukunft der derzeitigen Belegschaft, sollte sich die Konzernführung durchsetzen. Die neusten Webtechniken sollen hierbei eine Klasse prekarisierter Tagelöhner hervorbringen, deren Wohn- und Arbeitsplätze verschmelzen würden. Das von der Konzernführung »liquid« (flüssig) getaufte neue Organisationsmodell sieht eine massive Flexibilisierung der Arbeitsabläufe und deren »flüchtigere Organisation« (Handelsblatt vom 1. Februar 2012) vor, die durch die Auslagerung von Tätigkeitsfeldern an externe Dienstleister und insbesondere an freie Mitarbeiter bewerkstelligt werden soll. Die Masse betriebswirtschaftlich verwerteter Arbeitskraft – wie auch der hierfür notwendigen Arbeitskräfte – soll so einer Flüssigkeit gleich nahezu friktionslos den Erfordernissen des Konzerns angepaßt werden können. Das Liquid-Konzept stellt somit die Perfektionierung des neoliberalen Wunschtraums vom »atmenden Unternehmen« dar, das Lohnarbeiter nach Gutdünken heuern und feuern kann.

Massive Prekarisierung

Das Neuartige an diesem Konzept besteht darin, daß nun Organisationsstrukturen des Internets massiv auf die Arbeitsabläufe in der IT-Branche übertragen werden sollen. Das Internet scheint aus der digitalen Sphäre herauszutreten und sich in der Realität des Arbeitslebens, in dessen Strukturen zu »materialisieren«. Das Web 2.0 ist durch die Aktivität der Netzteilnehmer geprägt, der »Schwarm« gilt als dessen zentraler Akteur, das »soziale Netzwerk« bildet dessen grundlegende Kommunikationsplattform, die»Cloud« (Datenwolke) gilt als zentrales Strukturmerkmal. Und genau diese Charakteristika 2.0 – der »Schwarm«, das soziale Netzwerk und die Cloud – sollen auf die Arbeitswelt übertragen werden. Um die Ausmaße der drohenden Prekarisierungswelle voll zu erfassen, muß hier nochmals der fundamentale Unterschied zu den Umstrukturierungsschüben im Gefolge der Inwertsetzung der Techniken des »passiven« Internet 1.0 betont werden. Dieses spielte bei den bisherigen Globalisierungsschüben insofern größtenteils eine strukturell passive Rolle, als es nur die bestehenden Strukturen der Betriebsorganisation quantitativ modifizierte und erweiterte: Es ermöglichte eine größere Reichweite betriebswirtschaftlicher Organisation, eine Beschleunigung des Verwertungsprozesses, größere Effizienzgewinne oder Einsparpotentiale, ect. pp.

Das Web 2.0 wird hingegen aktiv zu der strukturellen Auflösung und Zerfaserung der gegebenen betriebswirtschaftlichen Strukturen beitragen, wie es bereits an IBMs Liquid-Konzept absehbar ist. »Big Blue« will künftig viele Softwareprojekte auf eigens eingerichteten Internetportalen (»Liquid Portal«) ausschreiben, bei denen zertifizierte freie Softwareentwickler sich anmelden können, um sich für die jeweils von IBM ausgeschriebenen Projekte zu »bewerben«. Auf diesen »Projektbörsen« – die eine Art Ebay der Lohnarbeit darstellen werden – dürfen auch die derzeit noch festangestellten IBM-Mitarbeiter um neue Aufträge »mitbieten«. Dies wird von der »Liquid Community« bereits seit einiger Zeit im Unternehmen im kleinen Maßstab praktiziert, so daß IBM bereits erste Erfahrungen mit Crowdsourcing intern sammeln konnte. Hierbei handelt es sich um rund 7000 Mitarbeiter mit freien Zeitkonten, die sich in diese »neue Arbeitsweise exakt eingefügt« hätten, wie IBM-Vizepräsident Patrick Howard im August 2011 schwärmte: »Wir schaffen 30 Prozent schnellere Auslieferung, 20 Prozent höhere Qualität, (…) und haben dabei in 30 Monaten die Kosten um 33 Prozent gesenkt.« Sollte diese massive Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitsorganisation erfolgreich sein, wird das Liquid-Konzept konzernweit voll umgesetzt werden.

Bei dem »externen« Crowdsourcing soll das auf projektbezogene Jobvermittlung spezialisierte Internetportal Top-Coder zum Zuge kommen, bei dem sich global bereits etwa 400000 freie Programmierer als Nutzer angemeldet haben. Hierbei erstellt der betreffende Programmierer ein Profil seiner Fähigkeiten, wie auch auf anderen Online-Plattformen, um dann an dem allgemeinen Konkurrenzkampf um Aufträge teilnehmen zu können. IBM wird somit in einem ersten Schritt bestimmte Ausschreibungen beim Top-Coder-Portal plazieren, das im Firmenjargon als »Liquid Ressource« bezeichnet wird. Das entsprechende Portal gleicht somit Facebook, nur daß hier die von IBM zertifizierten Fähigkeiten der Beschäftigten und deren frühere Leistungsbewertungen eingesehen werden können. Perspektivisch will der Konzern diese Art des webgestützten Tagelöhnertums in der gesamten Branche popularisieren, indem die entsprechenden Portale auch selbst aufgebaut und anderen Unternehmen zur Nutzung angeboten werden sollen – gegen eine Gebühr, die zur weiteren Einahmequelle wird. Der künftige IBM-Projektleiter aus der Kernbelegschaft könnte diesen Vorstellungen gemäß, auf etlichen Jobportalen sich seine freien Mitarbeiter aus verschiedenen Portalen für ein Projekt einfach »zusammenklicken« – ganz so, wie wir uns derzeit Favoritenlisten oder Einkaufslisten auf Internetportalen zusammenstellen.

Jobportale wie Top-Coder oder Twago stellen somit eine Art pervertiertes soziales Netzwerk dar, auf dem die prekarisierten Lohnabhängigen ihre Ware Arbeitskraft feilbieten müssen – und deren einzige Kommunikationsform die gnadenlose Konkurrenz untereinander bildet. Im Idealfall sollen die an die Portale gerichteten »Calls« (die Projektaufträge) der IT-Konzerne »offen« sein. Dies bedeutet, daß jeder auf dem Portal gemeldete Programmierer an der Realisierung des Projekts teilnehmen kann und nur die beste Lösung auch entlohn wird. Die Konsequenzen dieser Form des »Crowdsourcing« schilderte die Ver.di-Betriebszeitung bei IBM: »Das ist für den Aufgabensteller – hier die IBM – besonders lukrativ, denn der kann aus den fertigen angebotenen Lösungen genau die aussuchen, die ihm am besten gefällt und am billigsten ist. Natürlich wird nur diese eine fertige Lösung bezahlt. Vielleicht kriegt noch der Zweitplazierte etwas, aber die anderen gehen leer aus. Sie haben dann umsonst gearbeitet.«1

»Human Cloud«

Das soziale Netzwerk – von den Medien spätestens seit dem Ausbruch des »arabischen Frühlings« als das Mittel menschlicher Emanzipation schlechthin idealisiert – wandelt sich bei Einverleibung in den Verwertungsprozeß zu einem buchstäblich »asozialen Netzwerk«, das Konkurrenz und Ausbeutung auf eine neue Stufe stellt. In einer furchtbaren Ironie wird so das soziale Netzwerk dazu mißbraucht, die konkurrenzvermittelte Vereinzelung der lohnabhängigen Monaden auf die Spitze zu treiben, deren Wohnung nun auch zum Arbeitsplatz wird.

Inzwischen macht das Schlagwort des »Cloud Working« in der Branche die Runde, um aus betriebswirtschaftlicher Perspektive die Möglichleiten des Web 2.0 auf den Begriff zu bringen. Mit dem IT-Begriff der »Cloud« (Wolke) werden die Daten, Programme und Dienstleistungen bezeichnet, die ein Benutzer im Internet aufbewahrt – etwa durch webgestützte E-Mail-Clients, soziale Netzwerke, Videoportale, Foto- und Musikdienste, usw. Nahezu jeder von uns hinterläßt solch eine Wolke von persönlichen Daten im Internet. Die in den asozialen Netzwerken der Lohnarbeit gegeneinander konkurrierenden Menschen sollen im Idealfall Teil einer »Wolke« aus lebendiger Arbeitskraft werden, die um die Kernbelegschaft eines Konzerns konjunkturabhängig fluktuiert. Diese menschliche Wolke, die »Human Cloud« von freien Mitarbeitern, bleibt nur noch vermittels der Subunternehmen, Jobportale und der entsprechenden Zertifizierungen an das Unternehmen »angedockt«. Mit diesem Prozeß geht auch eine regelrechte Zerfaserung der Unternehmensstrukturen einher, die aufgrund einer Vielzahl von Subunternehmen, Dienstleistern und Jobportalen im Konzernumfeld an Eindeutigkeit und Kontur verlieren. Künftig sollen somit möglichst viele Arbeitsabläufe in Form von »offenen Calls« auf Projektbasis an diese Tagelöhner in der »Human Cloud« ausgeschrieben werden, die sich wie ein »Schwarm« auf diese Calls stürzen und in Konkurrenz zueinander dem Konzern ihre Lösungen anbieten, von denen dieser die besten auswählen kann. Hier würde ein »Schwarm des Kapitals« kreiert, der enorme Effizienzgewinne ermöglichte. Das System ist zudem auf direkte weltweite Konkurrenz ausgelegt, bei dem der Standort der einzelnen Cloud-Mitglieder keine Rolle spielt. Deswegen erwägt die IBM-Führung die Einführung globaler Arbeitsverträge. Und deswegen ist die IBM-Deutschland-Chefin Koederitz schon heute der Ansicht, die genaue Anzahl ihrer Mitarbeiter in Deutschland aufgrund der globalen Verflechtung ihres Unternehmens nicht beziffern zu können.

Im Grunde stellen diese Überlegungen die Konsequenz des neoliberalen Appelles an die »Selbstverantwortung« der Lohnabhängigen dar. Diese würden so tatsächlich zu den »Unternehmern ihrer selbst« werden, die nun wirklich für alle Voraussetzungen ihrer Lohnarbeit aufzukommen hätten: Ausbildung, Gesundheit, Renten, Arbeitsplatz, Arbeitsmittel, usw. – während die Zuspitzung der Konkurrenz untereinander und die Form der Heimarbeit die Organisierung von Gegenwehr stark behindern würden. Auch in Deutschland gibt es übrigens erste Versuche, »Human Clouds« aufzubauen. So kann das Portal clickworker.com bereits 100000 Nutzer verzeichnen, die prekär Korrekturaufgaben, Text­erstellung oder Internetrecherche übernehmen. Kein Wunder also, das IBM-Personalchef Ringo schon 2010 so begeistert war. Die Zeitschrift Personnel Today, der Ringo das besagte Interview gab, berichtete zudem von einem gigantischen gesamtwirtschaftlichen Potential für diese neuen Formen der prekären webbasierenden Arbeitsvermittlung in den USA: »Outsourcing-Experten erklärten, daß Arbeitgeber im privaten wie öffentlichen Sektor dieses Modell verstärkt in Erwägung zögen, um die Personalkosten im Gefolge der Rezession zu senken.« Tendenziell können nahezu alle Formen der Büroarbeit – und auch viele Dienstleistungen – in die »Cloud« ausgelagert werden. Wie eine solch umfassend prekarisierte »schöne neue Arbeitswelt« aussehen würde, schildert der im Auftrag der Gewerkschaft Ver.di produzierte Kurzfilm »Gar kein Wolkenkuckucksheim«. Der Film entwickelt ein Zukunftsszenario, bei dem Lohnabhängige in den meisten Branchen bereits zu Cloud-Workern zugerichtet wurden.

Der anstehende Umbruch in der Sphäre der Lohnarbeit resultiert letztendlich aus einem qualitativen Umschlag in der Dialektik von Kapitalverwertung und Produktivkraftentfaltung der Technologien des Web 2.0. Bislang bildeten diese neuen Technologien ein Objekt der Kapitalverwertung, als hier von Unternehmen wie Facebook neue Märkte erschlossen wurden. Nun werden diese neuartigen technologischen Möglichkeiten zum Subjekt der Akkumulationsbewegung, indem sie gesamtwirtschaftlich zur Optimierung der Kapitalverwertung in allen möglichen Branchen eingesetzt werden sollen.

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