Verdorrte Ernten

„Junge Welt“, 30.06.2011

Studien zu Auswirkungen des Klimawandels auf die Nahrungsmittelproduktion

Seit Monaten hat eine Dürre weite Teile Europas im Griff. Mitte Juni erklärte die britische Regierung den Osten des – für gewöhnlich sehr niederschlagsreichen – Landes offiziell zum Dürregebiet. Die zu erwartenden Ernteeinbußen werden hier auf 25 Prozent geschätzt. In Frankreich herrscht nach dem trockensten Frühling seit 50 Jahren ein regelrechter Wassernotstand. Die Ressource wurde landesweit rationiert. In manchen Prognosen brechen die Weizenexporte von 13 Millionen Tonnen im Vorjahr auf nur noch fünf Millionen Tonnen ein. Witterungsbedingte Ernteverluste sind auch in Spanien, Belgien, Deutschland, Österreich und weiten Teilen Mittelosteuropas zu erwarten.

Handelt es sich bei dieser anhaltenden Trockenheit, die der russischen »Jahrhundertdürre« von 2010 ähnelt, um ein außergewöhnliches Wetterereignis, wie es immer mal wieder auftritt, oder findet der Klimawandel bereits statt, als dessen gesicherte Folge die wachsende Zahl extremer Wetterereignisse gilt? Beim ersten Extremwetterkongreß Mitte Februar in Hamburg sagten Forscher vom Max-Planck-Institut für Meteorologie eine »Zunahme extremer Wetterereignisse wie starker Sommergewitter oder Trockenperioden« für Deutschland spätestens ab »Mitte des Jahrhunderts« voraus. Aus den USA wird bereits eine beispiellose Zahl von Wetterextremen gemeldet. Ein so massives Auftreten von Tornados, Überflutungen und Dürren wie im vergangenen April habe es »noch nie in der aufgezeichneten Geschichte« der Vereinigten Staaten gegeben, erklärte Deke Arndt vom National Climatic Data Center gegenüber der Nachrichtenagentur AP.

Extremwetterereignisse tragen – neben der Nutzung von Nahrungsmitteln für »Biokraftstoffe« – bereits ihren Teil zur Nahrungsmittelknappheit bei. In der abgelaufenen Erntesaison 2010/11 sanken die Getreideerträge um 2,8 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum ein Jahr zuvor, auch wegen der Hitzewelle in Staaten der früheren Sowjetunion sowie Dürren und Überflutungen in China, Brasilien und Australien.
In diesem Jahr sind die Ernten ebenfalls »von Dürren und Überflutungen bedroht«, wie der britische Guardian unter Bezugnahme auf eine Studie der OECD und der Welternährungsorganisation FAO meldete. Die Nahrungsmittel verteuerten sich 2010 laut OECD um 40 Prozent. Jeder weitere Anstieg der Preise hätte für die Armen der Welt »verheerende« Auswirkungen, die zu »politischen Unruhen und Hungersnöten« führten, so der OECD-Generalsekretär Angel Gurría am 17. Juni bei Vorstellung des Berichts, der von einem kurzfristigen Anstieg der Getreidepreise um weitere 20 Prozent und der Fleischpreise um 30 Prozent ausgeht. Für die kommende Dekade prognostiziert die FAO/OECD-Studie eine Verlangsamung der Wachstumsrate der globalen Agrarproduktion auf einen jährlichen Durchschnittswert von 1,7 Prozent (2,6 Prozent waren es im vergangenen Jahrzehnt).

Genauer bestimmt wurde der Anteil des Klimawandels an der Verringerung der Ernteerträge im Wissenschaftsmagazin Science vom Mai. Forscher der Stanford University um David B. Lobell ermittelten, daß die globale Maisproduktion im Jahr 2008 zirka 3,8 Prozent niedriger ausfiel, als es ohne die Folgen des Klimawandels möglich gewesen wäre. Bei Weizen läge die Differenz sogar bei 5,5 Prozent. Die Erträge von Reis und Sojabohnen seien dagegen nicht klimabedingt gesunken.

Das Team um Lobell erfaßte Ernteerträge, Temperaturentwicklung und Niederschlagsveränderungen aller getreideproduzierenden Länder zwischen 1980 und 2008. Die Erntemengen wurden auf der Grundlage von Modellrechnungen mit denen verglichen, die unter den klimatischen Bedingungen von 1980 möglich gewesen wären (Fortschritte in der Agrarproduktion wurden berücksichtigt).

Das empirische Material ergab: In nahezu allen Ländern, die Mais oder Weizen anbauen, sind die Temperaturen seit 1980 angestiegen (eine wichtige Ausnahme sind die USA, wo sie sogar leicht sanken), und das führte zu Ernteeinbußen – um etwa zehn Prozent für jedes Grad Celsius Anstieg der Durchschnittstemperatur. Die Erntemengen konnten aufgrund des technologischen Fortschritts im Agrarsektor weiter steigen, aber »zehn Jahre Klimawandel haben den gleichen Effekt wie ein Rückschlag im Technologiegewinn von etwa einem Jahr«, hieß es in dem Science-Artikel.

Verabschieden muß sich die Wissenschaft schließlich wohl von der Annahme, der Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre führe zu einem beschleunigten Pflanzenwachstum und größeren Erträgen. Jahrzehntelang galt das durch Verbrennung fossiler Energieträger freigesetzte CO2 als zusätzlicher »Brennstoff« oder »Dünger« für die Nutzpflanzen. Die implizite Hoffnung war, das könnte die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft ausgleichen. Die New York Times (NYT) berichtete Anfang Juni von Forschungen, die genau diese Hypothese ernsthaft infrage stellen. An der University of Illinois wurden Sojabohnen und Mais mit zusätzlichem CO2 besprüht und Witterungsbedingungen ausgesetzt, wie sie bei voranschreitendem Klimawandel für die nähere Zukunft zu erwarten sind. Höhere Temperaturen und verringerte Wasserzufuhr führten zu Ernteverlusten. Durch CO2-Besprühung realisierte Mehrerträge konnten diese Verluste nicht ausgleichen. Er halte es inzwischen für unwahrscheinlich, »daß die positiven Effekte des CO2 dessen negative Auswirkungen überwiegen« könnten, erklärte der Wissenschaftler Andrew D. B. Leakey gegenüber der NYT.

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