Der Broker bestäubt

„Junge Welt“, 27.05.2010
Das Massensterben der Bienen in den USA geht weiter. Sie sind auch viel unterwegs

Ende April überbringt das Honigbienenlaboratorium des US-Landwirtschaftsministeriums seit Jahren immer dieselbe Hiobsbotschaft: Es gibt ein Massensterben. Den Winter 2009/2010 hat ein gutes Drittel der bewirtschafteten Bienenvölker nicht überstanden, besagt der aktuelle Bericht. Er basiert auf einer landesweiten Umfrage. 4331 Imker haben teilgenommen.

Normalerweise verenden in der kalten Jahreszeit zehn bis 15 Prozent der Bienen. Seit vier Jahren sind es in den USA mehr als doppelt so viele (29 bis 35,8 Prozent). Nach Möglichkeit werden die Verluste im Sommer durch Teilung der übrigen Völker ausgeglichen. Aber die aktuellen Todesraten können auf Dauer nicht kompensiert werden. Seit 2004 sank die Anzahl der Bienenvölker in den USA um bis zu 50 Prozent. Dieses Wirtschaften sei »nicht nachhaltig, « bemerkte neulich die Tageszeitung Pittsburgh Tribune aus dem agrarisch geprägten Bundesstaat Pennsylvania, und prophezeite längerfristig Auswirkungen auf »Kosten und Angebot von Nahrungsmitteln«. Der größte kommerzielle Bienenzüchter Pennsylvanias, Dave Hackenberg, bezifferte seine winterlichen Verluste an Bienenvölkern in dem Blatt auf 62 Prozent: »Das Problem wird nicht verschwinden. Die Verluste werden auch in der Zukunft weitergehen.«

Hackenberg hat eine gewisse traurige Berühmtheit erlangt als einer der ersten Imker, die in den USA die Alarmglocken wegen des mysteriösen Massensterbens läuteten. Inzwischen heißt das Phänomen in der Wissenschaft »Colony Collapse Disorder« (CCD, in Deutsch ungefähr Völkerkollaps). Der Zusammenbruch des Volkes kommt plötzlich. Vorher sind keine Krankheitssymptome auszumachen. Brut, Nachwuchs, Königin, Pollen und Honig werden von den ausgewachsenen Arbeiterbienen zurückgelassen. Sie schwärmen aus und verenden in großer Entfernung vom Bienenstock.

Die Ursachen dieses Phänomens werden untersucht, bisher ohne entscheidendes Ergebnis. Eine der am weitesten verbreiteten Hypothesen macht den exzessiven Einsatz von immer neuen Pestiziden hauptverantwortlich. An der Pennsylvania State University (PSU) wurden im vergangenen Jahr mehr als 700 Wachs-, Pollen- und Bienenkörper-Proben untersucht. 121 verschiedene Arten von Pestiziden wurden gefunden, oft auf toxischem Niveau. Nichtsdestotrotz ist die Kausalität zwischen Pestiziden und CCD bisher empirisch nicht verifiziert worden. Jeffery Pettis vom Agricultural Research Service (Landwirtschaftlicher Forschungsservice) der USA hat die Ergebnisse besagter PSU-Studie entsprechend vorsichtig kommentiert: »Wir glauben, daß subtile Interaktionen zwischen der Ernährungsweise, der Einwirkung von Pestiziden und anderen Streßfaktoren zusammenkommen und die Kolonien töten.«

Andere Studien erhärten den Zusammenhang von Krankheiten bzw. Viren und CCD. Biologen der PSU konnten schon 2007 in vielen – nicht allen – kollabierten Bienenvölkern das Israel Acute Paralysis Virus (IAPV – Israelisches Akute-Bienenparalyse-Virus) nachweisen: »Wir konnten zwar keinen kausalen Zusammenhang, aber eine starke Korrelation zwischen Virus und Bienensterben finden«, erklärte Studienleiterin Diana Cox-Foster dem Wissenschaftsmagazin Science. In einem Report des US-Kongresses ist aufgrund dieser Quelle eine »starke Korrelation zwischen dem Auftreten von IAPV und CCD« vermerkt.

Die mögliche Beschleunigung der CCD-Ausbreitung durch genetisch modifizierte Nutzpflanzen ist in den Hintergrund getreten, seit die Bienenvölker auch in Schottland massiv kollabieren, wo genmanipulierte Pflanzen deutlich seltener sind als in den USA. Im vergangenen Winter gab es übrigens auch in Deutschland ein großes Bienensterben. Das wurde aber auf die Varroa-Milben und den harten Winter zurückgeführt.

Ein langfristiger Einbruch der Bienenpopulation hätte verheerende Folgen für die globale Landwirtschaft. Rund ein Drittel der Nahrungsmittel, die wir zu uns nehmen, stammt von Pflanzen, die auf die Bestäubung durch Bienen angewiesen sind. 90 Prozent aller Nutzpflanzen weltweit werden von der Honigbiene bestäubt. Äpfel, Orangen, Erdbeeren, Zwiebeln, Karotten, aber auch Futterpflanzen wie Alfala und die Baumwolle sind auf Bienen angewiesen. »Bienen tragen zur globalen Nahrungssicherheit bei, und ihr Aussterben würde ein schreckliches biologisches Desaster auslösen«, warnte Anfang Mai der Vorsitzende der World Organisation for Animal Health, Bernard Vallat.

Streß ist die wohl überzeugendste Erklärung für das Massensterben der Bienen in den USA. Kommerzielle Imkerunternehmen karren ihre Völker je nach Bestäubungssaison über das gesamte Territorium der Vereinigten Staaten. Bei der Bestäubung der Mandelbäume in Kalifornien kommen 50 Prozent der kommerziell genutzten Bienen der USA zum Einsatz. Sie werden aus allen Landesteilen angeliefert.

Das Bienensterben hat sich bereits auf die Preise ausgewirkt. »Es gab ein Gerangel um Bienen am Ende der Mandelbestäubung in Kalifornien, « erklärte ein »Bienenbroker«, gegenüber der Pittsburgh Tribune. Der Mietpreis für ein Bienenvolk hätte sich über Nacht fast verdreifacht.

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