Problemfall Steinbach

„Junge Welt“ vom 12.09.06
Kalter Krieg zwischen Warschau und Berlin: Eine vom »Bund der Vertrieben« organisierte Ausstellung sorgt für die schwerste Belastung der deutsch-polnischen Beziehungen

s ist nicht gut bestellt um die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland. Nach den verstärkten Spannungen der vergangenen Tage waren beide Seiten am Rande eines EU-Asien-Gipfels in Helsinki bemüht, die Lage zumindest etwas zu entschärfen. Polens Regierungschef Jaroslaw Kaczynski sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem kurzfristig anberaumten Treffen den Fortbestand der Sonderrechte der deutschen Minderheit zu, die polnische Politiker zuvor in Frage gestellt hatten. Zudem nahm Kaczynski eine Einladung Merkels nach Berlin für den 30. Oktober an. Trotz dieser zeitweiligen Deeskalation: In der polnischen Öffentlichkeit etabliert sich für die derzeitige Eiszeit in den Beziehungen zur BRD ein neuer Begriff. Man spricht vom »kalten deutsch-polnischen Krieg«, der zu Zeit hauptsächlich auf dem Schlachtfeld der Geschichtspolitik ausgefochten wird. Fast täglich feuern deutsche Presseorgane publizistische Salven über die Oder, sind Politiker, Intellektuelle und sonstige Überbauarbeiter bemüht, die polnischen Verteidigungslinien zu durchbrechen und dem deutschen Geschichtsrevisionismus auch östlich von Oder und Neiße zu einem Siegeszug zu verhelfen.

Keimzelle

Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht die Ausstellung »Erzwungene Wege«, die maßgeblich vom »Bund der Vertriebenen« (BdV) konzipiert wurde. Sie setzt sich mit »Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert« auseinander und gilt als Keimzelle eines zukünftigen »Zentrums gegen Vertreibungen«, das in Berlin errichtet werden sollte. Doch daraus dürfte so schnell nichts mehr werden. Im Eifer des Gefechts beging Erika Steinbach, die in ganz Polen innigst gehaßte Vorsitzende des BdV, einen typisch deutschen Fehler: Sie ist viel zu früh viel zu weit vorgestürmt. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk ihre wahre, geschichtsrevisionistische Gesinnung entblößend, verschaffte sie der polnischen Seite exzellente Möglichkeiten für Gegenangriffe. Der Konzeption ihrer Ausstellung folgend, die etliche Vertreibungen des vorigen Jahrhunderts ihres geschichtlichen Kontextes beraubt und gleichberechtigt nebeneinander plaziert, konnte Steinbach auch keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Teilnehmern des Warschauer Aufstands und den nach 1945 vertriebenen Nazis erkennen. »Ich kann mich nicht erinnern und mir ist nicht bekannt, daß jemals Deutschland gefragt wurde, am Gedenkort zum Warschauer Aufstand beteiligt gewesen zu sein. Man könnte ja da auch fragen, ›warum fragt ihr uns nicht, denn wir haben Warschau doch damals zerstört‹. Deutschland hätte ja also ein gleiches legitimes Interesse daran«, erklärte Steinbach gegenüber dem Deutschlandfunk, sich polnische Einmischung in ihre Vertriebenen-Ausstellung verbietend und Täter mit Opfern zu einem einzigen geschichtsrevisionistischen Brei verrührend.

Auf den nun in allen wichtigen polnischen Medien einsetzenden Sturm der Empörung mußten auch deutsche Politiker reagieren. Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD, erklärte in der vergangenen Woche, daß Steinbach als BdV-Vorsitzende nicht mehr zu halten sei und daß sich die Pläne für ein »Zentrum gegen Vertreibungen« nach ihren Äußerungen ebenfalls erledigt hätten. Besonders empörend empfand Weisskirchen eine weitere Äußerung der BdV-Vorsitzenden, der zufolge Hitler nur die Tore aufgemacht habe, durch die Polen und Tschechien gegangen seien, um ihre schon vor Kriegsausbruch bestehenden Pläne zur Vertreibung der Deutschen umzusetzen. Mit ihren Bemerkungen habe Steinbach »ihre wahre politische Gesinnung offenbart«, so Weisskirchen, sie schiebe die Verantwortung für die Verbrechen der »Nationalsozialisten« den Opfern zu.

Punktsieg

Dieser jüngste Punktsieg für die polnische Seite ist die vorläufig letzte Etappe dieses »Kalten Krieges« zwischen beiden Ländern, der mit der Eröffnung der Ausstellung des BdV am 10. August in Berlin so richtig auf Touren kam. Etliche polnische Politiker sagten daraufhin geplante Deutschlandvisiten ab. Seit der Eröffnung der Ausstellung zogen polnische Organisationen etliche Exponate zurück, da sie im Vorfeld nur unzureichend über deren Konzeption aufgeklärt wurden. In der polnischen Öffentlichkeit wurde an der Ausstellung vor allem die kaum vorhandenen Verweise auf den grundlegenden kausalen Zusammenhang zwischen deutschem Angriffskrieg und »Vertreibung« der Deutschen bemängelt. So können Schautafeln über die Vertreibung der westpolnischen Bevölkerung ins Generalgouvernement 1939 gleichberechtigt neben der Exponaten zur Umsiedlung der Deutschen nach 1945 koexistieren und den Eindruck vermitteln, daß es sich hier um gleichberechtigte Opfergruppen handelt. Es scheint fast so, als ob es östlich von Oder und Neiße bis 1945 keine Nazis gab, kein einziges Exponat weist auf die Teilnahme der »Heimatvertriebenen« an Raubkrieg und Naziherrschaft hin.

Hierzulande greift man in Reaktion auf die polnische Kritik auf das seit der Aggression gegen Jugoslawien übliche Repertoire des Menschenrechtsimperialismus zurück. Oftmals werden die polnischen Reaktionen als Ausfluß einer autoritären, antidemokratischen Transformation der polnischen Gesellschaft dargestellt. Die FAZ sieht bei aller polnischen Kritik in den Medien und der Rückforderung von Ausstellungsstücken die scheinbar allmächtige polnische Regierung am Werk, die Medien und Organisationen ihres Landes ihren Willen aufzwingt und diese zu antideutschen Aktionen nötigt. So war es nur konsequent, als der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), gegenüber dem Spiegel erklärte, er sei sehr besorgt über die »Situation der Menschenrechte« in Polen. Er verfüge über »zuverlässige Informationen«, wonach Menschen und Organisationen, die die Ausstellung des BdV unterstützen, in Polen »massivem Druck« ausgesetzt seien. Deutsche Interessen und deutscher Geschichtsrevisionismus werden somit vom ehemaligen DDR-Dissidenten zu universellen Menschenrechten erklärt – wer sich dagegen wehrt, kann nur totalitär veranlagt sein.

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