»Besser als gar kein Dialog«

„Junge Welt“, 31.08.2009
Nach dem Gipfeltreffen in Sotschi: Moskau und Minsk zwischen Annäherung und Konfrontation

Rußland und Belarus bemühen sich in letzter Zeit verstärkt, ihre arg zerrütteten bilateralen Beziehungen wieder zu normalisieren. Geopolitische und wirtschaftliche Differenzen – wie auch ein immer deutlicher von Moskau formulierter Führungsanspruch – führten zu etlichen Handelskriegen, energiepolitischen Auseinandersetzungen und handfesten diplomatischen Skandalen zwischen den einstmals engen Bündnispartnern. Das im April 1997 initiierte Projekt einer Union beider Staaten schien somit in weite Ferne gerückt.

Eine deutliche Annäherung – wenn nicht gar einen Durchbruch – in etlichen Streitpunkten zwischen Minsk und Moskau erwarteten viele Beobachter von dem Gipfeltreffen des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und seines belorussischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko am vergangenen Donnerstag in Sotschi. Die Wirtschaftskooperation beider Staaten, insbesondere die Zusammenarbeit im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (EAWG) und der Zollunion zwischen Rußland, Kasachstan und Belarus, standen auf der Agenda des Treffens, wie die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti berichtete.

Gemessen an den Erwartungen fielen die Ergebnisse der Gespräche eher bescheiden aus. Das wichtigste Resultat des Gipfels sei die Vereinbarung eines weiteren Treffens, bemerkte RIA-Nowosti, »das ist besser als gar kein Dialog«. Der Gipfel von Sotschi bildete die erste Zusammenkunft beider Staatschefs nach dem »Milchkrieg« vom Juni diesen Jahres, bei dem Rußland ein Importembargo für weißrussische Milchprodukte verhängte. Seit diesen handelspolitischen Auseinandersetzungen, die der Führung in Minsk ihre wirtschaftliche Abhängigkeit vom großen russischen Absatzmarkt vor Augen führten, forcierte Belarus seine Annäherung an den Westen. Das Land nimmt am EU-Programm der Östlichen Partnerschaft teil, mit dem Brüssel seinen Einfluß im postsowjetischen Raum erweitern will. Rußland wiederum forcierte den Bau von Öl- und Gasleitungen, die Belarus als Transitland für Energieträger umgehen.

»Zwischen Rußland und Belorußland sind Änderungen, aber keine strategischen Durchbrüche möglich«, zitierte RIA-Nowosti den Politologen Kyrill Koktysch: »Moskau und Minsk haben unterschiedliche Interessen.«

Tatsächlich mangelte es nicht an solchen graduellen Annäherungen vor und nach dem Gipfeltreffen von Sotschi. Vor allem bei der gemeinsamen Verteidigungspolitik kommen sich Minsk und Moskau wieder entgegen. Am Freitag ließ beispielsweise Lukaschenko eine Erklärung veröffentlichen, nach der Belarus weiterhin an seiner Teilnahme an der schnellen Eingreiftruppe der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) festhält. Die Beteiligung Minsks an dieser von Rußland forcierten, multilateralen militärischen Formationen wurde von Lukaschenko als Reaktion auf den russischen »Milchboykott« ausgesetzt. Für Ende September ist sogar das russisch-belarussische Manöver »Westen-2009« angesetzt, bei dem am 29. September Medwedew und Lukaschenko erneut in Belarus zusammentreffen werden.

Eine »strahlende« Zukunft scheint hingegen beiden Ländern auf dem Feld der Energiepolitik gewiß. Rußland will Belarus nach Angaben von dessen Finanzminister Andrej Charkowez bereits 2010 einen Kredit für die Errichtung eines Atomkraftwerks gewähren, berichtete RIA-Nowosti am 28. August. Bei ihrem Treffen in Sotschi hätten sich beide Staatschefs »grundsätzlich darauf verständigt, daß die Russische Föderation das Projekt finanziert«, so Charkowez gegenüber der Nachrichtenagentur Belta. Der erste Reaktorblock soll bereits 2018 in der nähe der Stadt Grodno in Betrieb gehen, ein zweiter Reaktorblock soll 2020 betriebsbereit sein. Die Kosten des Projekts werden auf rund vier Milliarden US-Dollar veranschlagt.

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